Treffen sich zwei Juristen und fangen an zu streiten. Was wie der Anfang eines Witzes klingt, ist aktuell traurige Realität bei der Führungsriege der Christdemokraten. Denn obwohl sich CDU-Parteichef und Oppositionsführer im Bundestag Friedrich Merz und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst beim Sommerfest der nordrhein-westfälischen Landesvertretung demonstrativ freundlich zuprosteten, knirscht es im Hintergrund gewaltig.
Wüst hat sich eine Woche zuvor in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geäußert. Unter dem Titel „Das Herz schlägt in der Mitte“ schrieb er: „Eine moderne Volkspartei entspringt der und adressiert die politische Mitte. Die Schönheit der reinen Lehre sollen andere genießen.“ Seine Partei stehe für eine „pragmatische Politik, um die Probleme der Zeit anzugehen“. Wer sich mit Populisten gemein mache, stürze sich selbst ins Chaos.
Merz, der trotz seiner unmißverständlich formulierten Brandmauer in Richtung AfD immer wieder durch Kritik an Gendersprache, dem Rundfunk oder im Kontext der Berliner Silvesternacht nach rechts blinkt („kleine Paschas“) und mit Blick auf den Sieg des AfD-Kandidaten Robert Sesselmann bei der Landratswahl in Sonneberg die Grünen als „Hauptgegner in dieser Bundesregierung“ bezeichnete, verstand das als Angriff gegen sich. Laut der Zeit soll der Sauerländer von einem „Fehdehandschuh“ und einer „Kriegserklärung“ gesprochen haben. Wenige Tage später feuerte der Parteichef im ZDF öffentlich gegen den renitenten Hendrik Wüst zurück. In NRW seien die Bürger mit der Landesregierung ebenso unzufrieden, wie die Bundesbürger mit der Ampel.
Merz liegt bei den CDU-Stammwählern vorn
Brisant dabei: Beide könnten 2025 Kanzler werden. Derzeit liegt die Union in bundesweiten Umfragen mit 29 Prozent deutlich vorne. Als Oppositionsführer im Bund hat Merz das Kanzleramt im Blick. Als die Rheinische Post Wüst kürzlich fragte, ob er gerne Kanzler werden würde, antwortete er: „Meine Aufgaben liegen aktuell in Nordrhein-Westfalen.“ Das ist kein Nein. Bei den eigenen Stammwählern ist Merz der Beliebtere. Laut einer Umfrage von Insa im Auftrag der Bild-Zeitung rangiert er mit 66,5 Zustimmungspunkten vor Wüst, der 61,3 Punkte bei den Unions-Wählern bekommt. Parteiübergreifend ist es genau andersrum. 47,0 Punkte für Wüst, 42,3 für Merz. Vor allem bei Frauen kommt der NRW-Landesvater, der im bevölkerungsreichsten Bundesland mit den Grünen koaliert, besser an.
Im Koalitionsvertrag vom Juni 2022 ist der grüne Einfluß spürbar. Zwar heißt es da: „Da, wo ein Asylantrag abgelehnt wurde und es keine weiteren aufenthaltsrechtlichen oder humanitären Bleibegründe gibt, muß die Ausreise durch eine freiwillige Rückkehr oder eine Rückführung erfolgen. Priorität hat für uns die konsequente und rechtmäßige Abschiebung von Straftätern und Gefährdern.“ Doch an anderer Stelle steht auch: „Nordrhein-Westfalen ist ein weltoffenes Einwanderungsland. Unser Bundesland macht aus, daß wir Stärke in Vielfalt sehen. Chancengerechtigkeit, Menschenrechte und gelebte Humanität stehen im Mittelpunkt unserer Integrations-, Migrations- und Flüchtlingspolitik. Sozial, kulturell und nicht zuletzt wirtschaftlich profitiert Nordrhein-Westfalen von Einwanderung.“ Die Landesregierung will nach eigenen Angaben die Zusammenarbeit mit jenen Migranten-Organisationen verstärken, die „Demokratiebildung und Antirassismusarbeit zu ihrer Zielaufgabe machen“.
Auch Friedrich Merz sagte unlängst auf dem kleinen CDU-Parteitag: „Deutschland ist ein Einwanderungsland.“ Dennoch schrieb er kurz darauf mit Blick auf die Änderung des Aufenthaltsgesetzes durch die Ampel-Regierung im Bund: „Die Umgestaltung des Landes durch die Ampel schreitet munter voran. Ob die Mehrheit der Bevölkerung das auch so gut findet wie die Grünen?“
Auffällig bedeckt hält sich aktuell der bayerische Ministerpräsident, Markus Söder (CSU). Dabei ist er mit 69,1 Punkten in der Insa-Befragung Spitzenreiter in der Gunst der Unions-Wähler.Vor den Streithähnen Merz und Wüst. Auch bei den Wählern anderer Parteien rangiert er mit 46,8 Punkten nur hauchdünn hinter Wüst mit 47 und deutlich vor Merz (42,3). Wenn zwei Juristen sich streiten, freut sich am Ende vielleicht der dritte.