© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/23 / 23. Juni 2023

Fakenews aus anderen Zeiten
Bad Kleinen 1993: Deutsche Massenmedien konstruieren einen Skandal um die GSG 9
Jürgen W. Schmidt

Im Juni 1993 glaubten Verfassungsschutz und BKA dicht vor einem großen Schlag gegen die Führungsebene der RAF zu stehen. Birgit Hogefeld galt zusammen mit Wolfgang Grams als Spitze der „dritten Generation“ der RAF, der seit Mitte der achtziger Jahre die Verantwortung für die Morde an neun Menschen zugeschrieben wurde. Doch aufgrund von Kommunikationspannen scheiterte am 27. Juni 1993 nach der Festnahme von Hogefeld der Zugriff auf Grams. Dieser bemerkte die heraneilenden GSG 9-Beamten und feuerte blindwütig und unprovoziert auf sie. Er verletzte einen Beamten tödlich sowie einen anderen schwer und beging danach, selbst angeschossen, Selbstmord. Seitens des Verfassungsschutzes versuchte man nun gegenüber der Presse zu mauern, um den in die Verhaftungsaktion involvierten V-Mann Klaus Steinmetz nicht zu „verbrennen“. 

Leyendecker bekannte später „handwerkliches Versagen“

Da verkündete mit sorgenschwangerem Gesicht der „Monitor“-Sendungsleiter Klaus Bednarz von der ARD am Abend des 1. Juli 1993 eine schwere Beschuldigung bezüglich des Todes von Polizistenmörder Wolfgang Grams: „Alles deutet auf Exekution. Ein ungeheuerlicher Vorgang, der in der Geschichte der Bundesrepublik – soweit zumindest bekannt – nicht seinesgleichen hat“. 48 Stunden darauf liefen Vorabmeldungen des Spiegel an, ein Terrorfahnder habe sich in Gewissensnot anonym der Presse anvertraut, weil angeblich GSG-9-Beamte Grams aus Rache für den Tod des Polizeibeamten Michael Newrzella förmlich exekutiert hätten. Anstatt seinen unterstellten Beamten beizustehen, glaubte Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) nun Haltung beweisen zu müssen und trat, eigentlich grundlos, am 4. Juli 1993 zurück. Daß er damit nur Öl ins Feuer der Pressebehauptungen goß, ahnte der biedere Seiters nicht. Zwei Tage später entließ, gleichfalls grundlos, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den Generalbundesanwalt Alexander von Stahl und machte damit den vorgeblichen GSG-9-Skandal so richtig rund. 

Die bundesdeutschen Medien hatten wieder einmal nachdrücklich ihre Bedeutung als selbstangemaßte „vierte Macht im Staat“ bewiesen. Doch weder dem damals renommierten Investigativjournalisten Hans Leyendecker noch Klaus Bednarz, welche beide ganz erhebliche Zweifel an der Integrität der GSG 9 gesät hatten, gelang es, die von ihnen geäußerten Beschuldigungen zu beweisen. Letztlich stellte sich der Tod des Terroristen Grams eindeutig als Suizid heraus, und Leyendecker bezeichnete seinen Spiegel-Artikel knapp zwanzig Jahre später als „verheerenden Fehler“ und äußerte über den Inhalt seines damaligen Artikels: „Das war Hochmut, Dummheit, handwerkliches Versagen.“ Bad Kleinen war kein Versagen der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden, sondern, wie sich leider erst viel zu spät herausstellte, ein Versagen führender bundesdeutscher Medien.