© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/23 / 23. Juni 2023

Die Pannen-Heldin
Kino: Die Komödie „No Hard Feelings“ mit Jennifer Lawrence unterhält auf „Keinohrhasen“-Niveau
Dietmar Mehrens

Schon in den „Tribute von Panem“-Filmen nach den Romanen von Suzanne Collins war sie eine Überlebenskünstlerin. Jetzt ist sie es wieder: Jennifer Lawrence muß in der Rolle der Maddie zwar keine mörderischen Gladiatorenkämpfe überstehen, sondern nur den ganz gewöhnlichen Härten des Alltags trotzen. Aber wie jeder weiß, können auch die es gewaltig in sich haben: Die junge Frau droht ihr Haus, das Erbe ihrer Mutter, zu verlieren, weil sich im Flur die Rechnungen stapeln. Und dann wird ihr durch eine gemeine Abschleppaktion auch noch die Grundlage ihres Broterwerbs entzogen: ihr Auto. Maddie betätigt sich in ihrer Heimatstadt als Fahrerin des Transportdienstleistungsunternehmens Uber.

Da sie konservative Werte und Moralvorstellungen wegen ihres verlogenen Vaters – Maddie ist das Resultat einer flüchtigen Affäre – über Bord geworfen hat, kommt ihr das unmoralische Angebot der Eltern des College-Aspiranten Percy (Andrew Feldman) gerade recht: Die beiden Helikopter-Eltern Allison (Laura Benanti) und Laird (Matthew Broderick) suchen nach einer „Professionellen“, die ihren verzärtelten Sohn unter ihre Fittiche nimmt und in die Geheimnisse der Liebe einweist. Der 19jährige steht vor seinem ersten Semester in Princeton, hatte noch keinen Alkoholrausch, keine Freundin und natürlich auch keine sexuelle Erfahrung. Die meiste Zeit verbringt er im Internet. Das virtuelle Leben stellt bei ihm, wie bei vielen Jugendlichen, die reale Welt längst in den Schatten. Wie soll er, fragen sich die besorgten Eltern, so an der Uni bestehen? 

Jede Menge Klamauk und intime, berührende Momente

Maddie, die ihre Liebhaber wechselt wie andere ihre Socken, scheint ideal geeignet für den bezahlten Liebesdienst. Als Lohn für ihre Bemühungen winkt der 32jährigen ein schicker Buick, den sie für ihre Uber-Fahrten bestens gebrauchen kann. Aber natürlich gibt es noch eine wichtige Bedingung. Allison formuliert sie so: „Niemand darf davon wissen!“ Schnurstracks begibt sich die Auftragsliebhaberin in die Auffangstation für herrenlose Hunde, in der Percy seiner altruistischen Arbeit nachgeht, und stellt rasch fest: So einfach, wie sie sich das vorgestellt hat, wird es nicht, Percy „rumzukriegen“.

Was nach einer abgedroschenen Geschichte aus Hollywoods Komödienstadl klingt, ist tatsächlich ein vergleichsweise gut geschriebener Film, der auf dem schmalen Grat zwischen platter Pennälerposse à la „American Pie“ und anspruchsvoll-satirischem Charakterdrama à la „Harold und Maude“ wandelt. Letzterer, der Klassiker von 1971, war zwar deutlich subversiver und provozierte, zumindest nach damaligen Maßstäben, erheblich mehr. Gleichwohl ist „No Hard Feelings“ ein durchgehend unterhaltsamer Film, der jede Menge Klamauk mit intimen, berührenden Momenten – natürlich steckt hinter Maddies Hedonismus eine verletzte Seele – zu verbinden versteht.

Das ist angesichts der nur bedingt originellen Variation bekannter Handlungsmuster schon ein Erfolg. Und der verdankt sich in erster Linie der Präsenz seiner Hauptdarstellerin. In manchem erinnert „No Hard Feelings“ an die Tragikomödie „Silver Linings“ (2012), in der Jennifer Lawrence ebenfalls für den weiblichen Part einer holprig verlaufenden Liebesgeschichte besetzt war. Allerdings agiert die 32jährige aus Kentucky diesmal wesentlich wuchtiger und dominiert nahezu jede Szene. Auch wer Anglizismen verachtet, wird dafür kaum eine bessere Vokabel finden als „Frauenpower“.

Was die Qualität, allerdings auch das sittliche Niveau des Drehbuchs anbelangt, das Regisseur Gene Stupnitsky zusammen mit John Phillips verfaßte, läßt sich der Film mit Til Schweigers „Keinohrhasen“ (2007) vergleichen: oft derb und zotig, nicht frei von Anzüglichkeiten und Nacktszenen, bei denen die Hauptdarstellerin ganzen Körpereinsatz zeigt, aber auch voller auf die Goldwaage gelegter Dialoge und entsprechend treffsicherer Pointen. Damit ragt der Film aus Hollywood-Dutzendware spürbar heraus und dürfte dafür sorgen, daß die „Panem“-Heldin, die diesmal eine Pannen-Heldin ist, auch acht Jahre nach dem letzten Film der Dystopie-Reihe im Gespräch bleibt.


Kinostart ist am 22. Juni 2023