© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/23 / 23. Juni 2023

Komm mit ins Regenbogenland!
Aufbruch in ein neues Zeitalter: Das „New Age“-Denken und die LGBTQ-Ideologie hängen eng zusammen. Sollen wir alle in das Korsett einer neuen Universalreligion gepreßt werden?
Dietmar Mehrens

Um zu wissen, was kommt, mußte man nur die Zeichen der Zeit erkennen. Zeichen wie das vom 14. bis 18. März 1986. Da fand in Berlin ein „Kongreß zur Androgynität des Menschen“ statt. Auf dem Programm standen Veranstaltungen zu Themen wie „Auf dem Weg zu einer androgynen und matriarchalischen Gesellschaft“ oder „Sexuelle Varianten wie Transsexualität, Transvestitismus, Homosexualität usw. aus der Sicht der Dynamischen Psychiatrie“. Veranstaltet wurde der Kongreß von einem ominösen Zentrum für Dynamische Psychiatrie. Dessen religiös-ideologische Grundausrichtung war der Glaube an ein neues Zeitalter (New Age). Dieses soll nach Überzeugung seiner Anhänger auf das seinem unaufhaltsamen Ende zusteuernde christliche folgen und im Sternzeichen des Wassermanns stehen.

Begründet wird das mit astrologischen Berechnungen. Die gesamte abendländische Geschichte wurde aufgrund des Erkennungszeichens der ersten Christen mit dem Etikett Fische-Zeitalter versehen und damit zum Zelleninsassen eines spekulativ-astrologisch begründeten religiösen Überbaus heidnischen Ursprungs („Im Zeitalter von Wassermann und Regenbogen“, JF 23/22).

Symbol dieses neuen Zeitalters: der Regenbogen. Das Tempo und die bedingungslose Konsequenz, mit denen dieser in den letzten Jahren als Banner eines neuen, „woken“ Selbstverständnisses der westlichen Demokratien zunächst im privat- und zivilgesellschaftlichen Sektor, zuletzt aber auf Veranlassung linker Machthaber auch von staatlichen Stellen installiert worden ist, sorgt vielerorts immer noch für Verblüffung, zunehmend aber auch für Skepsis. „Was soll das?“ fragen sich viele, die die Hintergründe nicht kennen. Sie sehen keine Veranlassung dafür, in derart penetranter Manier wie zuletzt bei der für uns Deutsche peinlich verlaufenen Fußball-WM durch ein zusätzliches Symbol für Selbstverständlichkeiten zu werben. Denn der Staat des Grundgesetzes, also unsere Bundesrepublik, ist ein Rechtsstaat, der die Menschenwürde schützt, ohne daß diese eigens eingeworben oder eingefordert werden muß. Artikel 3 GG untersagt Diskriminierung. Menschen mit Behinderung – in einem weit gefaßten Sinn des Wortes also auch Menschen, die aufgrund ihrer individuellen Prägung oder Veranlagung auf natürlichem Wege keine Familie gründen können – dürfen nicht benachteiligt werden.

Doch die sich selbst als „queer“ bezeichnende Identitätsgruppe, die seit ihren Anfängen einen Stammplatz innerhalb der internationalen linken Bürgerrechtsszene hat, will viel mehr. Mit den aggressiv vorgetragenen Forderungen der an die vorderste Front ihrer politischen Organisationen gespülten Aktivisten der Bewegung – Volker Beck, Kevin Kühnert, Saskia Esken, Nancy Faeser, Jens Spahn, Sven Lehmann, um nur einige prominente Namen zu nennen – ist längst klargeworden, daß es um die totale Umkrempelung unserer auf christlichen Grundüberzeugungen und Werten basierenden Gesellschaft geht. Es lohnt sich ein Blick auf die Genese der Regenbogenbewegung, um zu verstehen, was sie umtreibt, welchen ideologischen Überbau sie mit sich herumträgt und was letztendlich ihre Ziele sind.

Zunächst muß man sich klarmachen – dazu diente die eingangs skizzierte Kongreßankündigung –, wie untrennbar LGBT-Kult und New-Age-Okkultismus ideologisch miteinander zusammenhängen. In der Geschichte von San Francisco, dem westkalifornischen Sündenbabel der homosexuellen Subkultur, in dem sich auch ihr Chef-Philosoph Michel Foucault mit Vergnügen herumtrieb, finden sich eindeutige Spuren dafür, daß New Age und „Gay Rights Movement“ praktisch identische Bewegungen sind. Mit Hippie-Look, Blumenkinder- und Flowerpower-Ästhetik, repräsentativ festgehalten in dem von LSD-Rauscherfahrungen geprägten Plattencover von „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, dem legendären Beatles-Album von 1967, sind sie emblematisch ununterscheidbar.

Auch der Regenbogen, ab Ende der Siebziger als Fahne offizielles Symbol der Gay-Rights-Bewegung, ist von Anfang an ein vielfach reproduziertes Erkennungszeichen, das auf Modeartikeln und Bannern anzutreffen war. Die heute als „Pride“-Paraden bekannten Aufmärsche gehen zurück auf den 27. Juni 1970. An dem Tag marschierte in San Francisco die sogenannte Gay-Liberation-Bewegung über die Polk Street. Es folgte ein „gay-in“ im Golden Gate Park. In New York gab es am 28. Juni eine Parallelveranstaltung. Ein Jahr später organisierten LGBT-Aktivisten einen größeren Protestmarsch, die „Age of Aquarius Parade“. Der Wassermann („Aquarius“) stand bei der Geburt der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung also gleichsam Pate. Von Anfang an ist deshalb auch der Regenbogen das Symbol des „Christopher Street Gay Liberation Day“, der sich als Bezeichnung für die Parade durchsetzte.

Ebenso verstand man sich von Anfang an, im Schulterschluß mit einem als Pazifismus getarnten Sozialismus, der immer schon die Proletarier aller Länder vereinigen wollte, als globale Bewegung. Allerdings dürfte der Einfluß des heidnischen New-Age-Denkens auf den ökofeministisch-geschlechtsrevisionistischen Komplex der Gegenwart den meisten Anhängern dieser linken Strömungen gar nicht klar sein, weil sie mit Marx dem Atheismus zuneigen. Wie stark der esoterisch-ideologische Nukleus jedoch bis zu den Rändern der Bewegung strahlt, zeigen die jüngsten Triumphe des New-Age-Kults auf den Kampfplätzen Planetrettung und Geschlechtsidentität.

Wer genau hinsieht, stößt in der linksgrünen Öko-Szene permanent auf Verbindungen nicht nur zu ihrem gesellschaftspolitischen Vorposten, dem Gender-Fanatismus, sondern auch zur New-Age-Religion selbst: Transparente, auf denen Mutter Erde gehuldigt wird, schmücken „Fridays for Future“-Stände; auf Klimacamps kann man sich vor der großen Demo einer „Lachyoga“-Übung unterziehen; und in Aktionstrainings der Klimaretter der „Letzten Generation“ kann man „Erderfahrungen“ sammeln, indem man sich im Rahmen einer Meditationsübung zwanzig Minuten lang auf den Boden legt und energetisch aufladen läßt, wie Michael Dienstbier für die JF recherchierte. Auch der Slogan „Think global, act local“ des New-Age-Propheten Fritjof Capra ist noch sehr präsent. Der esoterisch angehauchte Physiker bezeichnete grüne Politik in Deutschland als Erfolgsmodell und forderte, dem Vorbild der deutschen Grünen zu folgen. Capra wörtlich: „Die spirituelle Dimension der grünen Politik wird [...] in Einklang mit der kulturellen Orientierung grünen Denkens stehen müssen, das heißt, sie wird posthumanistisch, postpatriarchal und postmodern sein müssen.“

Die Kinnlade fällt einem herunter, wenn man sich anschaut, wieviel von dem Kokolores, der in den Achtzigern in solchen Schwurbelsätzen daherkam, heute als alternativlose Politik verkauft wird. Erschreckend vieles, bei dem heute die Ampel auf Grün steht, hat nämlich seinen gedanklich-ideellen Ursprung bei den Adepten des neuen Zeitalters. Obwohl das New-Age-Denken also tief eingeschrieben ist in die grüne DNA, als religiöse Sekte hat die Ökofundamentalisten in Anbetracht ihrer realpolitischen Aushängeschilder kaum jemand auf dem Schirm. Es empfiehlt sich daher, das Parteiprogramm der Grünen neben die Agenda der Wassermann-Esoteriker zu legen, um dann eins zu eins die Übereinstimmungen abzuhaken.

Transformation ist einer der Kernbegriffe bei Fritjof Capra. Gemeint ist zuallererst der Wandel, der Paradigmenwechsel, hin zu einem neuen Bewußtsein. Auf die Transformation des Individuums soll die gesellschaftliche Transformation folgen. Der Begriff findet sich 56mal im aktuellen Grünen-Wahlprogramm. Ricarda Lang, das neue Gesicht der Öko-Fundamentalisten, sprach am 29. Juni 2022 in der ARD-Sendung Maischberger ganz offen von der „größten Transformation der Menschheitsgeschichte“, die ihre Partei in Angriff genommen habe. In der arg verfrühten Biographie der aktuellen Außenministerin ist auf Seite 97 zu lesen: „Annalena Baerbock ist der Überzeugung, daß die Klimakrise einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit darstellt. [...] Der Mensch stehe vor dem Übergang in ein neues Zeitalter, in dem nicht mehr fossile Stoffe wie Kohle, Öl und Gas verbrannt werden müssen, um daraus Energie zu gewinnen.“ 

Das englische Wort „woke“ für „erwacht“ oder „erleuchtet“ verweist auf die Vorreiter-Funktion der in das neue Denken Eingeweihten, die die Nicht-Eingeweihten auf Kurs bringen müssen. Das große Erwachen einer großen Zahl von Menschen ist in der New-Age-Lehre die Grundvoraussetzung für die Transformation. Auch der Globalismus ist eine Parallele: Da im New-Age-Denken alles eins und mit allem verbunden ist, gelten Grenzen und Nationen als Relikte des alten Zeitalters. Capra spricht von einer „Menschheitsfamilie“. Daraus resultiert auch das enthemmte Duzen im öffentlichen Raum („Bereit, weil Ihr es seid“ war der Wahlkampfslogan der Grünen). Wer zur selben Familie gehört, braucht keine Distanz zum Nächsten.

Im Konzept des New Age ist die sichtbare Welt von einer kosmischen Spiritualität erfüllt, mit der der Mensch in Einklang leben müsse. Mutter Erde (alias Göttin Gaia) ist Gegenstand quasi-religiöser Verehrung, die Energiegewinnung per Kernspaltung ein Angriff auf ihre Integrität. Das weibliche, ausgleichend-sanfte Prinzip gilt der New-Age-Bewegung dabei als das bessere. Die Göttin Gaia (Mutter Erde) ist die Verkörperung dieses Prinzips. Patriarchales Denken mit dominanten, konfliktorientierten Männern ist typisch für das alte Zeitalter. Homo- und Transsexualität entsprechen dem Androgynitäts-Ideal des New Age (androgyn bedeutet männlich-weiblich). Es wird die Überwindung von Gegensätzen und Dualismen angestrebt. Wo in der Aufhebung der Geschlechtergrenzen die Gegensätzlichkeit überwunden ist, realisiert sich das Ganzheitlichkeitsprinzip des neuen Zeitalters.

Zudem ist die globale, digitale Vernetzung eine Grundvoraussetzung für das kommende Zeitalter, in dem alles miteinander verbunden ist. Der Transhumanismus spiegelt die Vorstellung eines kosmischen Übermenschen, der im New-Age-Denken präfiguriert ist. Antirassismus und Antikolonialismus sind Ausdruck des Kampfes gegen alte patriarchale Muster und die Abrechnung mit den Irrtümern des Fische-Zeitalters. Auch die Liberalisierung der Drogenpolitik darf nicht verwundern: Im New-Age-Denken sind Drogen ein wichtiges Mittel zur Erlangung eines höheren (kosmischen) Bewußtseins. Drogen wirkten auf die „Chemie des Gehirns“ und könnten so erwünschte Metamorphosen auslösen.

Provokant formuliert: Der New-Age-Kult ist das aufgelöste Rätsel unserer gegenwärtigen Verfallsgeschichte. Es könnte allerdings sein, daß sich die großen Transformatoren im Gefühl des sicheren Sieges ein wenig voreilig aus der Deckung gewagt haben. Widerstand ist noch möglich.