© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/23 / 23. Juni 2023

„Wir bleiben positiv gestimmt“
Südafrika: Brutale Überfälle, Viehdiebstahl und eine kaputte Infrastruktur machen den Bauern zu schaffen / Farmersprecher Henk van de Graaf im Gespräch
Curd-Torsten Weick

Immer wieder lief der Hund des Farmer-Ehepaares Pierre und Belinda de Kock, beide in den Fünfzigern, am Sonntag, den 4. Juni gegen 18 Uhr ins Haus und zurück. Dies erregte die Aufmerksamkeit einer Landarbeiterin. Im Gebäude fand diese dann Belindas Leiche im Schlafzimmer. „Die Leiche von Pierre de Kock wurde in der Garage gefunden, ermordet mit einer Stichwunde am Hals. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint nichts im Haus zu fehlen, und es gab noch keine Festnahmen“, erklärte Polizeisprecher FT van Wyk. Vor diesem Hintergrund rief die Hilfsorganisation AfriForum Landwirte und Landbewohner dringend auf, sich für die Wachen in ihrer örtlichen Nachbarschaft oder auf dem Bauernhof zu engagieren: „Die einzige Möglichkeit, diese schrecklichen Angriffe einzudämmen, besteht darin, daß die Gemeinden mobilisieren und ihre Vorbereitungen verstärken.“ Denn an dem Wochenende seien nicht nur Pierre und Belinda de Kock auf ihrer Farm außerhalb von Piketberg (Westkap) ermordet worden, sondern auch Hennie und Anneke Claassen auf ihrer Farm außerhalb von Ohrigstad (Limpopo), die zuvor brutal gefoltert wurden. Angesichts dieser Vorfälle sprach die JUNGE FREIHEIT mit Henk van de Graaf vom südafrikanischen Farmerverband TLU SA.

Wie sehen sie die Sicherheitslage der Landwirte in Südafrika?

Henk van de Graaf: Seit 1994 wurden mehr als 2.200 Menschen auf den Farmen ermordet. Die meisten von ihnen sind weiße Farmer, aber auch einige schwarze Farmer und Farmarbeiter wurden Opfer von Farmmorden. Die Zahl der Überfälle auf Farmen ist weitaus höher. Wir haben Aufzeichnungen über mehr als 6.000 Übergriffe auf den Farmen, aber wir wissen, daß es noch viel mehr sind, weil viele der Übergriffe der Polizei nicht gemeldet werden, weil das Vertrauen in den südafrikanischen Polizeidienst fehlt. 

Bei einem Besuch auf einer Farm in der Nähe von Kapstadt erklärte der Farmer, er sei bereits dreimal überfallen worden. In seinem Haus sind alle Räume mit einer vergitterten Tür gesichert. Was hält die weißen Farmer auf dem Land??

Van de Graaf: Die weißen Farmer sind seit mehreren Jahrhunderten in Südafrtika. Viele der Farmen sind seit mehreren Generationen im Besitz der Familie. Wir sind Südafrikaner geworden. Wir haben kein Heimatland, in das wir zurückkehren könnten. Wir lieben das Land. Die Farmer haben eine Leidenschaft für ihre Farmen, ihr Land und für die Versorgung der Nation und der Welt mit Nahrungsmitteln, da wir auch viele landwirtschaftliche Produkte exportieren. Einige Farmer haben jedoch die Landwirtschaft in Südafrika aufgegeben und sind in die USA, nach Australien, Georgien, Rußland und sogar Brasilien gegangen. Es gibt auch SA-Landwirte in anderen Teilen Afrikas, wie Sambia und Tansania.

Der besuchte Farmer erklärte, daß es hauptsächlich gut ausgerüstete und gut informierte Banden aus dem Süden Namibias seien, die die Farmen überfallen. Haben Sie auch diese Erfahrung gemacht?

Van de Graaf: Wir wissen auch von gut organisierten Banden, die über die simbabwische Grenze kommen, ebenso wie aus Lesotho. Wir wissen auch, daß jeder Überfall sehr gut geplant und mit militärischer Präzision ausgeführt wird. Leider werden nur sehr wenige dieser Morde aufgeklärt, so daß wir uns kein genaues Bild davon machen können, wer hinter all diesen Angriffen und Morden steckt. 

Was sind die Interessen der Banden?

Van de Graaf: Meistens wird etwas gestohlen, und die Polizei stellt dann das Motiv als Raub dar. In anderen Fällen wird nichts gestohlen, aber der Bauer und seine Familie werden schwer gefoltert, bevor sie ermordet werden. Die Farmer und ihre Familien werden als „weißer Abschaum“ beschimpft, so daß wir glauben, daß eine Menge Rassismus im Spiel ist. Außerdem beschuldigen Regierungsbeamte und radikale schwarze Politiker die Farmer, sie hätten das Land gestohlen. Nach vielen dieser Angriffe verlassen die Farmer oder ihre Familien die Farm. Diese Angriffe sind auch eine Form der Einschüchterung, um die Farmer von ihrem Land zu vertreiben, damit es von Schwarzen besetzt werden kann. 

Wie groß ist das Problem des Viehdiebstahls?

Van de Graaf: Eigentlich wissen wir das nicht so genau. Viele Bauern zeigen Viehdiebstähle nicht mehr an, weil die Polizei nicht mehr ermittelt. Sie sagen, daß sie nicht genug Personal haben. Tatsache ist jedoch, daß jedes Jahr Vieh im Wert von mehreren Millionen Euro gestohlen wird. Auch der Diebstahl von Ernten ist ein Problem, das sich nur sehr schwer messen läßt. 

Können sich die Bauern auf die Polizei verlassen?

Van de Graaf: Leider in den meisten Fällen nicht. Die Polizei hat zu viele Generäle und zu wenige Wachtmeister und Unteroffiziere. Diese haben nicht genügend fahrtüchtige Fahrzeuge. Zudem sind die Telefone der Polizeibüros kaum besetzt und viele haben kein Interesse an ihrer Arbeit. Die Ausbildung nach 1994 entspricht nicht mehr dem Stand der Zeit, so daß sie schlecht ausgebildet sind. Es gibt einige ältere Polizisten, die ihr Bestes geben, aber sie erreichen das Rentenalter. Innerhalb von fünf Jahren können wir kaum noch von einem effektiven Polizeidienst sprechen. Und in vielen Fällen ist die Polizei unverhohlen rassistisch gegenüber hauptsächlich Weißen und weißen Farmern.

In Südafrika gibt es etwa 30.000 weiße Farmer und 200.000 schwarze Farmer. Worin bestehen die Unterschiede zwischen ihnen?

Van de Graaf: Die meisten weißen Landwirte sind kommerzielle Landwirte, die im großen Stil Produkte für die Märkte erzeugen. Viele der schwarzen Bauern sind Subsistenzbauern, die nur für sich selbst produzieren und keine Produkte an die Märkte liefern. Es gibt auch aufstrebende Farmer, die versuchen, kommerzielle Farmer zu werden. 

Jahrelang stand das ANC-Programm der „entschädigungslosen Enteignung“ von Farmern im Rahmen der Landreform auf der Tagesordnung. Wie ist der Stand der Dinge?

Van de Graaf: Es ist immer noch Teil ihrer Politik. Sie haben versucht, die Verfassung des Landes zu ändern, aber das ist im Parlament nicht gelungen. Daraufhin änderten sie das bestehende Enteignungsgesetz, um eine entschädigungslose Enteignung zu ermöglichen. Dieses Gesetz wurde vom Parlament verabschiedet, und sobald Präsident Cyril Ramaphosa seine Unterschrift unter das Gesetz setzt, wird es in Kraft treten. 

Präsident Ramaphosa ist selbst ein Landwirt. Hat er nicht ein Herz für die Landwirte und ihre Angestellten, die das Land ernähren?

Van de Graaf: Wir dürfen nicht vergessen, daß er der Vorsitzende einer sozialistischen/kommunistischen Partei ist. Er hat sich an die Politik der Partei zu halten. Wir als Organisation haben mehrmals versucht, einen Termin mit ihm in landwirtschaftlichen Fragen zu bekommen. Wir haben nicht einmal eine Antwort auf unsere Anfragen erhalten. Wenn er also ein Herz für die Landwirte hat, dann erfahren wir das nicht. 

Es gibt in Südafrika immer Stromengpässe? Was bedeutet das für ihre tägliche Arbeit?

Van de Graaf: Stromengpässe (sogenannte Lastabwürfe) gibt es bei uns erst seit 2007, aber es wird von Tag zu Tag schlimmer. Der allgemeine Stromversorger Eskom kann nicht genug Strom erzeugen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Kraftwerke wurden nicht regelmäßig gewartet. Jetzt sind sie alt und gehen regelmäßig kaputt. Es wurden auch Verträge mit Kohleminen abgeschlossen, die weit über den regulären Tarifen lagen. Und in vielen Fällen werden Kabel und andere Geräte gestohlen. Wir befinden uns derzeit in Phase sechs des Lastabwurfs, was bedeutet, daß wir nur 12 von 24 Stunden Strom haben. Die Landwirte können nicht richtig bewässern, und auch die Kühlkette steht unter starkem Druck. Auch unsere Kommunikation kommt zum Erliegen, da die meisten Mobilfunktürme wegen des Diebstahls von Batterien keine Signale mehr aussenden können. Wenn der Strom ausfällt, funktionieren auch die Sicherheitssysteme der Landwirte nicht, was zu mehr Überfällen auf landwirtschaftliche Betriebe und zu mehr anderen Formen der Kriminalität führt. 

Welche anderen Probleme belasten die Landwirte?

Van de Graaf: Der völlige Zusammenbruch der Infrastruktur ist ein großes Problem. Viele der Straßen in den ländlichen Gebieten sind so verfallen, daß die Landwirte ihre Erzeugnisse nicht mehr zu den Märkten bringen können. Das Eisenbahnsys-tem des Landes ist nicht mehr existent, da sowohl Kabel als auch die Schienen selbst gestohlen und als Schrott verkauft werden.

Wie ist die Stimmung unter den Farmern angesichts der vielen Probleme? 

Van de Graaf: Wir bleiben positiv gestimmt. Denn wir haben gelernt, mit diesen widrigen Verhältnissen umzugehen. Dazu gehören auch Dürren und Überschwemmungen. Aber gerade die unsicheren politischen Rahmenbedingungen machen alles viel schwieriger.






Henk van de Graaf ist stellvertretender Direktor bei TLU SA.





Transvaal Landwirtschaftliche Union SA

Die Transvaal Landwirtschaftliche Union (TLU) wurde im Jahr 1897 gegründet. Sie vertrat die Bauern der damaligen Provinz Transvaal. Seit 1994 haben sich die Namen aller Provinzen geändert. Im Jahr 2000 wurde TLU zu einer nationalen Organisation mit Mitgliedern in ganz Südafrika. Daraufhin änderte sie den Namen in Transvaal Landwirtschaftliche Union Südafrika (TLU SA) und vertritt dort circa 70.000 kommerzielle Farmer. Hauptziele der TLU SA sind der Schutz der privaten Eigentumsrechte und der Sicherheit der südafrikanischen Bauern.

 www.tlu.co.za