Der Versuch von konservativen und freiheitlichen Kräften, das von ihnen als „Stromfressergesetz“ bezeichnete Regierungsvorhaben mit einer Volksabstimmung zu stoppen, ist gescheitert. Mit fast 60 Prozent stimmte die Mehrheit der Schweizer am Sonntag für ein neues Klimaschutzgesetz. Während die Grünen das Referendum als „Sieg für das Klima“ feiern, herrscht bei der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP) Ärger. „Jetzt braucht es dringend neue Kernkraftwerke. Das Ja zum Stromfresser-Gesetz stürzt die Schweiz in eine Energiekrise. Neben explodierenden Kosten drohen verheerende Strommangellagen. Deshalb ist der Ersatz der bestehenden Kernkraftwerke und der Bau neuer Kernkraftwerke sofort in die Hand zu nehmen“, teilte die SVP unmittelbar nach Bekanntwerden des Ergebnisses mit.
Nachdem das CO2-Gesetz vor zwei Jahren noch abgelehnt worden war, votierten diesmal 59,1 Prozent mit Ja. Damit ist im Prinzip der Ausstieg aus fossiler Energie besiegelt. Mit dem Klimaschutz-Gesetz sind milliardenschwere Förderprogramme vorgesehen, um Heizungen mit fossilen Brennstoffen sowie Elektrowiderstandsheizungen zu ersetzen. Priska Wismer, Abgeordnete der Mitte-Partei (vormals Christlichdemokratische Volkspartei der Schweiz (CVP)), sprach von einem „konkreten Ja“ zum Pariser Klimaabkommen, „zum Ziel Netto Null 2050“. „Und jetzt können wir uns weiter auf den Weg dahin machen.“ Man werde geeignete Maßnahmen ergreifen und habe „jetzt die Chance, die Leute zu unterstützen, die sich freiwillig auf diesen Weg begeben.“
Doch die Schweiz ist nicht nur in dieser Frage gespalten. Immerhin 40 Prozent stimmten gegen das Gesetz, doch die Grünen ficht das nicht an. „Das deutliche Resultat gibt uns Rückenwind in einer Situation, die schwierig war. Der Abstimmungskampf wurde nicht von der Klima-Debatte beherrscht, sondern man sprach nur noch über Strompreise oder die Abhängigkeit vom Ausland. Es ist gut, daß wir aufzeigen konnten, daß die größte Abhängigkeit vom Ausland durch die fossilen Energien besteht“, sagte der Parteivorsitzende Balthasar Glättli.
Hauseigentümerverband vermißt sachkritische Diskussionen
Insgesamt profitierten die „Ja“-Befürworter von den Öko-Hochburgen in den Ballungsgebieten. In der größten Stadt Zürich stimmten 62 Prozent für das Gesetz, in Genf waren es sogar 74 Prozent, und in der Industriemetropole Basel waren immerhin 57 Prozent für die Vorlage. Ganz anders sah es in den ländlichen Regionen aus. In sieben Kantonen sprachen sich teilweise deutlich mehr als 50 Prozent für ein „Nein“ aus.
Allen Protesten zum Trotz, die Befürworter haben sich am Ende durchgesetzt. „Sie müssen ihr Versprechen einlösen, daß dieses Gesetz für die Bürgerinnen und Bürger weder höhere Kosten noch Verbote, noch staatliche Bevormundung bringen wird“, betonte SVP-Parteipräsident Marco Chiesa ernüchtert. Seine Partei befürchtet, daß die Strompreise explodieren werden und die Versorgungssicherheit akut gefährdet sei. Einmal mehr zeige sich ein bedenklicher Stadt-Land-Graben. „Die links-grünen Städte diktieren, und die unterlegene Landbevölkerung muß die Folgen ausbaden: Verschandelung der Landschaft durch Windkraftanlagen, Solarpanels, Stromleitungen und Staumauern. Die ländliche Bevölkerung ist zudem auf das Auto angewiesen und wird damit doppelt bestraft“, erklärte Chiesa. Zunächst einmal will die Regierung viel Geld in die Hand nehmen. So stellt sie 205 Millionen Euro jährlich bereit, mit denen Hausbesitzer beim Tausch von Heizungen unterstützt werden sollen.
Enttäuscht nahm vor allen Dingen der Haus-eigentümerverband Schweiz (HEV Schweiz), der 340.000 Mitglieder vertritt, zur Kenntnis, daß sich das Schweizer Stimmvolk „für zusätzliche Belastungen der Wohnkosten, eine weitere Umverteilung von Steuergeldern sowie für die Fokussierung auf den versorgungstechnisch alles andere als gesicherten Sekundär-Energieträger des elektrischen Stroms ausgesprochen“ habe. „Die konsequente Verharmlosung der zweifellos folgenreichen Bestimmungen aus den Zwischenzielen des neuen ‘Klimaschutzgesetzes’ vermochte leider bei der Mehrheit der Stimmenden mehr zu verfangen, als die von der Immobilienbranche aufgezeigten Folgekosten für das Wohnen und die erhöhten Risiken im Energiebereich.“ Vor allem die im neuen „Klimaschutzgesetz“ „verborgenen Kostentreiber“ seien seitens der „Befürworter und fast aller Medien durch die Verweigerung einer sachkritischen Diskussion konsequent ausgeblendet“ worden, so der Verband.