© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/23 / 23. Juni 2023

Mehr Euro für ein Faß ohne Boden
7. Brüsseler Konferenz zur Unterstützung Syriens und dessen Nachbarn: 5,1 Milliarden Euro sollen die Not lindern
Marc Zoellner

Rasche Einigung erzielten die Teilnehmer der „7. Brüsseler Konferenz“, als die Tagesordnung auf die dringend benötigte humanitäre Hilfe für die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge zu sprechen kam: „Heute sagt die Europäische Kommission für die Jahre 2023 und 2024 2,12 Milliarden Euro für die syrischen Flüchtlinge und Aufnahmestaaten in der gesamten Region zu“, verkündete der aus Ungarn stammende EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, Olivér Várhelyi, vergangenen Donnerstag in seiner Eröffnungsrede. 

Mit diesen Darlehen könnten den Syrern „grundlegende Dienstleistungen, hochwertige Bildung, Lebensunterhalt, Gesundheitsversorgung, Wasser- und Sanitärversorgung“ bereitgestellt werden. Die Konferenz, so Várhelyi, bekräftige „auch in diesem Jahr die politische und finanzielle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, um den wachsenden Bedürfnissen aller von der Syrienkrise Betroffenen gerecht zu werden.“

Furcht vor steigender Ernährungsunsicherheit

Auf Einladung der Europäischen Union trafen sich vergangene Woche Vertreter von über siebzig Nationen und Hilfsorganisationen in Brüssel, um zum siebten Mal in Folge über die „Unterstützung der Zukunft Syriens und der Region“, wie die Konferenz betitelt war, zu debattieren. Die Ausgangslage der Konferenz war nach Angaben der Veranstalter eine erschreckend desaströse: Der im März 2011 ausgebrochene syrische Bürgerkrieg, der mit Protesten gegen die Alleinherrschaft des noch immer regierenden Machthabers Baschar al-Assad begann, dauere nunmehr schon länger als zwölf Jahre an. Über 300.000 Zivilisten seien bislang als Kriegstote zu beklagen. 

Hinzu kämen mindestens 13 Millionen Flüchtlinge, etwa die Hälfte davon ins Ausland Geflohene. Ein Großteil der syrischen Wirtschaft liege brach, unzählige Wohnsiedlungen seien zerstört, eine politische Lösung habe sich trotz der schon 2015 beschlossenen Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats nicht finden lassen. Anfang Februar dieses Jahres traf den Norden Syriens sowie den Süden der Türkei, in welchem viele syrische Flüchtlinge leben, überdies ein verheerendes Erdbeben mit rund 60.000 Toten.

„Die Situation für syrische Flüchtlinge ist nicht einfacher geworden, ganz im Gegenteil“, mahnte Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. „Bereits 90 Prozent der in Syrien lebenden Syrer leben in Armut; 60 Prozent leiden unter Ernährungsunsicherheit. Sie wissen kaum, woher ihre nächste Mahlzeit kommt.“ 

Noch zur 6. Brüsseler Konferenz von vergangenem Mai berichtete der EU-Kommisssar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarčič, von „über 14,6 Millionen Syrern“, die in Syrien auf internationale Hilfe angewiesen seien, „1,2 Millionen mehr als im Jahr 2021. Und Millionen weitere Menschen benötigen auch in ihren Gastländern in der Region kontinuierliche Unterstützung.“ Vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs lebten in Syrien gut 21 Millionen Menschen, derzeit sind noch rund 17 Millionen Syrer in ihrem Heimatland ansässig – jeder dritte als Binnenvertriebener.

Mit 6,4 Milliarden US-Dollar, umgerechnet rund 5,9 Milliarden Euro, hatte die 6. Brüsseler Konferenz vergangenes Jahr ihren Höhepunkt an Spendenbereitschaft erreicht. Dieses Jahr kamen von sämtlichen Beteiligten, unter denen sich auch Industriestaaten außerhalb der EU, der Golf-Kooperationsrat (GCC) sowie verschiedene UN-Organisationen befanden, 5,6 Milliarden US-Dollar (5,1 Milliarden Euro) zusammen. Als Hauptgrund der schleppenden Geberwilligkeit wurde von vielen Beteiligten der Ukrainekrieg benannt, welcher humanitäre Ressourcen binde. Gleichwohl machte sowohl der GCC deutlich, in der Vergangenheit mehr als acht Milliarden US-Dollar an Syrien gestiftet sowie über drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen zu haben, als auch Saudi-Arabien, welches in seiner Bilanz seit 2011 auf 7,7 Milliarden US-Dollar komme. Die Spendenakquise der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union errechnet sich inklusive diesem Jahr auf rund 30 Milliarden US-Dollar, wie die EU-Kommission berichtet.

Beim Umgang mit Assad scheiden sich die Geister

Noch immer stellt der Adressat der Gelder das größte Problem der Konferenz und ihrer Gebernationen dar, denn gerade die EU beharrt auf einer wortgetreuen Umsetzung der UN-Resolution 2254. Vom Sicherheitsrat auch mit den Stimmen Rußlands und Chinas einstimmig beschlossen, sieht diese unter anderem eine zu bildende Übergangsregierung aus Vertretern der Assad-Regierung sowie der nicht-islamistischen Opposition vor, welche eine neue Verfassung auszuarbeiten hätte, auf deren Grundlage binnen achtzehn Monaten neue Wahlen in Syrien abzuhalten seien. 

Entsprechend unterhält die EU mit der Assad-Regierung keinerlei diplomatische Beziehungen; die Hilfsgelder sollen demnach einzig humanitären Organisationen sowie den syrischen Anrainerstaaten Türkei, Irak, Jordanien und Libanon sowie Ägypten zukommen.

Der GCC befindet die Situation vor Ort hingegen differenzierter, insbesondere seit der erneuten Aufnahme Syriens in die Arabische Liga im vergangenen Monat. „Wir haben eine grundsätzliche Auffassung zu Syrien“, erklärte der Vertreter des GCC in Brüssel mit Hinweis auf die Truppenpräsenz der USA im Land. „Diese fußt auf der Wahrung der Integrität Syriens, der Nichteinmischung von außen sowie der Achtung der UN-Resolutionen.“ Deutlich wurde das GCC-Mitglied Katar in dieser Frage: „Solange die politische Krise nicht abgeschlossen ist, werden die humanitären Bedürfnisse weiter ansteigen“, so deren Abgesandter. Für die arabischen Staaten liegt die Lösung des Gordischen Knotens zumindest derzeit in der Normalisierung ihrer Beziehungen zu Baschar al-Assad.

Parallel dazu setzt Rußland darauf, daß die Arbeit an einem Fahrplan zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Syrien und der Türkei fortgesetzt werde, sagte Michail Bogdanow, russischer Sondergesandter des Präsidenten für den Nahen Osten und Afrika und stellvertretender Außenminister, nach Angaben der Nachrichtenagentur Tass.

„Ein Treffen zwischen vier Ländern, der Türkei, Syrien, Rußland und dem Iran, findet auf der Ebene der stellvertretenden Außenminister statt. Wir arbeiten an der Frage der Normalisierung der Beziehungen zwischen Damaskus und Ankara“, habe der Diplomat erklärt.

Laut der Nachrichtenagentur Tass betonte Bogdanow, daß dieser Prozeß auf koordinierten Prinzipien des gegenseitigen Respekts und der territorialen Integrität, Einheit und Souveränität Syriens beruhe. „Sie wissen, daß bereits am 10. Mai in Moskau ein Treffen zwischen den Außenministern Rußlands, Syriens, der Türkei und des Irans stattgefunden hat. Wir wurden beauftragt, einen Fahrplan für diesen Prozeß der Normalisierung der grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen Syrien und der Türkei auszuarbeiten. Wir hoffen, daß wir auch bei dieser Arbeit vorankommen werden“, erklärte der Gesandte.

Entsprechend fand Mitte dieser Woche in Astana ein internationales Treffen zu Syrien statt. An den Gesprächen im Rahmen des Astana-Formats nahmen Delegationen der Garantiemächte Rußland, Türkei und Iran sowie Vertreter der syrischen Regierung und Opposition teil. Zudem Vertreter aus Jordanien, Libanon, dem Irak sowie der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen. 

„Wir befinden uns an einem Wendepunkt, mit erneuter diplomatischer Aufmerksamkeit für Syrien. Wenn diese Chance genutzt wird und die Akteure sich koordinieren und zusammenarbeiten, bin ich überzeugt, daß es möglich ist, voranzukommen“, zeigte sich der Norweger in Brüssel leicht optimistisch.