© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/23 / 23. Juni 2023

Ein unwilliger Grenzposten
Große Investitionen: Die EU buhlt um die Zuneigung des Maghrebstaates
Mathias Pellack

Tunesien werde „nicht Europas Grenzschutz sein“, erklärte Präsident Kais Saïed bei einem Treffen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den Regierungschefs Italiens und der Niederlande ungehalten. Mit den Worten „Der von einigen diskret gemachte Vorschlag, Migranten im Austausch für finanzielle Unterstützung hier anzusiedeln, ist unmenschlich und inakzeptabel“ schlägt er einen Pflock in das abzusteckende Verhandlungsgebiet. Tunis weiß um die Probleme und die Finanzstärke der Europäer.

Von der Leyen, Giorgia Meloni und Mark Rutte waren Mitte Juni nach Tunesien gereist, um Lösungen gegen die wieder anschwellende Massenmigration aus Afrika zu finden. Nach dem Treffen, bei dem die EU insgesamt 1,6 Milliarden Euro anbot, lobte von der Leyen die guten Beziehungen zu Tunis nachdrücklich. „Tunesien ist ein Partner, den wir in der Europäischen Union sehr schätzen.“ Sie erklärte: „Wir werden Tunesien beim Grenzmanagement unterstützen.“ Beide Seiten hätten ein Interesse daran, „das zynische Geschäftsmodell des Menschenschmuggels zu zerschlagen.“

Der von Brüssel angebotene „umfassende Partnerschaftspakt“ enthält allein 900 Millionen Euro zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Die Bedingungen nannte von der Leyen öffentlich nicht. Das Angebot entspricht der dreifachen Summe, mit der Brüssel Tunis zuletzt jährlich unterstützte. Weitere Gelder sagt die EU für eine unterseeische Stromverbindung zu, um tunesische Solarenergie in die EU-Netze zu leiten. Für Migration stellt Brüssel Tunesien dieses Jahr 100 Millionen Euro für das Grenzmanagement, aber auch für Such- und Rettungsmaßnahmen, die Bekämpfung der Schleuserkriminalität und die Rückführung von Migranten in Aussicht. Das Treffen geht auf eine Initiative der italienischen Ministerpräsidentin zurück. Meloni plant weiter, eine internationale Konferenz über Migration und Entwicklung in Rom abzuhalten. 

Am 18. und 19. Juni folgten die Innenminister Deutschlands und Frankreichs, Nancy Faeser und Gérald Darmanin, in die tunesische Hauptstadt. Faeser wolle daran arbeiten, legale Migrationswege zu schaffen und Migrationsabkommen zu schließen, sagte die SPD-Politikerin. Das Innenministerium spricht davon, „Talentpartnerschaften“ vor allem zu Ausbildungs- und Arbeitszwecken in Deutschland einzurichten. Auch „Rückführungsprozesse“ wolle sie ansprechen. Die Rückführung nach Tunesien funktioniere zwar, „aber nicht in dem Ausmaß, wie wir uns das wünschen würden“, sagte Faeser in Tunis. Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland sollen demnach freiwillig zurückkehren. Dazu gibt es verschiedene Programme der Bundesregierung, die finanzielle Unterstützung im Heimatland anbieten. Diese sollen beschleunigt werden. Ein vergleichbares Abkommen schloß die EU 2016 mit der Türkei.

Wegen der Kürze der Seeverbindung zu den vor der tunesischen Küste gelegenen italienischen Inseln reisen viele Afrikaner, die in EU-Ländern einwandern wollen, über das Mittelmeerland.