© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/23 / 23. Juni 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Füll nur fleißig deine Waben
Paul Rosen

Im Bundestag geht es in diesen Tagen außerordentlich fleißig zu. Die Rede ist nicht etwa von Abgeordneten, sondern von Insekten und speziell von einer Art, die bei den Deutschen in höchstem Ansehen steht: die Honigbiene. Zwölf Bienenvölker mit rund sechs Millionen Tieren leben auf dem Dach des Jakob-Kaiser-Hauses am Reichstag, die im vergangenen Jahr rund 200 Kilogramm Honig der Sorte „Bundestagsblüte“ produziert haben sollen. 

Die frühere Grünen-Abgeordnete Bärbel Höhn hatte die Idee, am Bundestag Bienenvölker anzusiedeln zu lassen. Die für Kinder bestimmte Bundestags-Informationsseite kuppelkucker.de findet die Aufstellung der Bienenstöcke toll: „Das ist schön für die Abgeordneten. Sie bekommen nämlich jedes Jahr ungefähr 30 Kilo Honig. Der Bundestag gibt den Bienen ein Zuhause, um darauf aufmerksam zu machen, daß wir alle Bienen schützen sollten.“

Um den Schutz der Bundestags-Bienen ist es allerdings nicht so weit her. Für die Tiere ist der Standort auf dem Jakob-Kaiser-Haus bei der derzeitigen glühenden Hitze alles andere als optimal. Die enorme Hitze auf dem Dach bedeutet puren Streß, da die Insekten ihre Stöcke mit einem durch Flügelschlagen angetriebenen Lüftungssystem kühlen müssen – und viele Bienchen dürften dabei wegen Überanstrengung schnell ihr Leben lassen. Auch auf vielen anderen Dächern in Berlin-Mitte stehen Bienenvölker. Es handelt sich um eine regelrechte Modewelle.

Überhaupt ist das Halten von Honigbienen in Großstädten mit einem Fragezeichen zu versehen. Normalerweise werden Bienenkästen mit den Völkern auf Feld und Flur aufgestellt, wo sie Blüten von Obstbäumen bestäuben und Blumenblüten anfliegen. In Städten ist ihre natürliche Nahrung relativ knapp, und der Honigertrag von Blumenbeeten ist vergleichsweise gering. Die heutigen Honigbienen, die von Imkern gehalten werden, haben mit denen in der Natur vorkommenden Bienen nichts mehr zu tun. Die Züchtung leistungsstärkerer Bienen ist verhältnismäßig einfach: Es reicht, die Bienenkönigin durch eine andere mit besseren Eigenschaften auszutauschen, und in kurzer Zeit ist das ganze Volk im Turbo-Modus, da Sommerbienen nur ein paar Wochen leben und dann durch aus Eiern der neuen Königin geschlüpfte Bienen ersetzt werden.   

Durch den Turbo-Bieneneinsatz in Städten ist die Situation für Wildbienen existenzbedrohend geworden. Wildbienen sind beziehungsweise waren in menschlichen Siedlungen häufig anzutreffen. Ihre Völker sind verhältnismäßig klein, und Wildbienen sind nicht hochgezüchtet, sondern suchen wie seit Millionen von Jahren nach den Pollen. Und dann müssen sie erleben, daß die Turbo-Bienen schneller waren und alles abgeräumt haben. Wenn der vom Bundestag beauftragte Imker meint, die Bienen beim Parlament seien eine schöne Möglichkeit, auf die Artenvielfalt und Biodiversität in der Stadt aufmerksam zu machen, so kann ihm nur geantwortet werden: Das Gegenteil ist richtig. Denn wie so oft heißt gut gemeint noch lange nicht gut gemacht.