© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/23 / 23. Juni 2023

Pechstein gibt Kufe, die Ampel schlittert
CDU: Eine Unionskandidatin in Polizeiuniform spricht über Probleme mit Einwanderern / Die Ampel fordert dienstrechtliche Konsequenzen
Christian Vollradt

Im Nachgang scheint das wichtigste Thema des Programm-Konvents der CDU eine Polizeiuniform zu sein. Claudia Pechstein, bei der Bundestagswahl 2021 Direktkandidatin im Wahlkreis Berlin-Köpenick (den Linken-Urgestein Gregor Gysi mit deutlichem Abstand gewann), vor allem aber erfolgreichste deutsche Eisschnelläuferin und Sportpolizistin, war am vergangenen Wochenende dabei, als das Adenauerhaus zur Debatte um die künftige Ausrichtung der Partei geladen hatte. Pechstein sprach über die Bedeutung des Engagements für den Breitensport. Und daß sie es äußerlich erkennbar als Polizeihauptmeisterin tat, hätte wahrscheinlich niemanden aufgeregt, wenn sie sich auf dieses Thema beschränkt hätte. 

Doch die meisten Bundespolizisten ziehen keine schnellen Runden auf dem Eis, sondern sind beruflich an den Grenzen des Landes, an Flughäfen und Bahnhöfen häufig mit den negativen Folgen einer unkontrollierten Einwanderung konfrontiert. Pechstein erlaubte sich also einen Schwenk auf dieses Thema, forderte die konsequentere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber und stellte einen Zusammenhang zwischen Migration und einem wachsenden Unsicherheitsgefühl vor allem von Frauen im öffentlichen Raum her. Damit geriet ihr Auftritt in Uniform bei der CDU-Parteiveranstaltung zum Skandal. Vor allem aus den Reihen der Ampel-Parteien kamen Forderungen nach dienstrechtlichen Konsequenzen; die prüfe man, hieß es aus dem Bundespolizeipräsidium.

Wüst wendet sich  gegen Merz, der keilt zurück

Die anderen geladenen Diskussionsgäste aus Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, Sozialverbänden und Wissenschaft gerieten da in den Hintergrund. Daß ein Grünen-Politiker wie Ralf Fücks schulmeisterte, die CDU müsse sich klar nach rechts abgrenzen, gehörte zu den denkwürdigen Momenten. Nach Regionalkonferenzen und einer Mitgliederbefragung war dieser Konvent der nächste Schritt auf dem Weg zum neuen Grundsatzprogramm der CDU. Das soll laut Zeitplan 2024 fertiggestellt werden. Die weitere Arbeit erfolgt nun in den Fachkommissionen, bevor der fertige Entwurf an die Mitglieder versandt und auf dem 36. Parteitag nächstes Jahr beschlossen werden soll. Die Intention dieses langen Prozesses: Die Union möchte das Image des in den Merkel-Jahren träge dümpelnden Tankers loswerden und als eine Mitmach-Partei rüberkommen, in die sich die Mitglieder einbringen können, in der um Inhalte gerungen wird.

Überlagert wird das derzeit – außer von der Debatte um den Pechstein-Auftritt – jedoch von erneuten innerparteilichen Grabenkämpfen. Die Aufbruchstimmung, die sich viele von Parteichef Friedrich Merz erhofft hatten, zündete nicht wie erhofft. Von der rasant gestiegenen Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung kann die CDU nicht wie erwartet profitieren. Stattdessen steigen die Umfragewerte der AfD, deren Wählerpotential Merz eigentlich halbieren wollte, so seine Ankündigung bei Amtsantritt. Und nun bringt sich mit Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst ein Gegenspieler in Stellung. Wüst hatte nicht nur mit der ostentativen Ordensverleihung an Angela Merkel deren altem Widersacher Merz eine lange Nase gedreht. Just vor dem Programmkonvent meldete er sich in einem Zeitungsbeitrag und einem Interview zu Wort, mahnte eine Politik der Mitte für seine Partei an, die sich von überkommenen Idealbildern lösen müsse und lobte Merkels Pragmatismus. Auf keinen Fall dürfe man dem „spalterischen Populismus“ hinterherlaufen. 

Merz wiederum revanchierte sich, als er in einem Fernsehinterview am Sonntag unverhohlen auf die schlechten Zufriedenheitswerte der – von Parteifreund Wüst geführten – Düsseldorfer schwarz-grünen Landesregierung und die hohen Umfrageergebnisse der AfD dort verwies. Egal ob das „Herz der CDU in der Mitte schlägt“ (Wüst), die Zeichen stehen jedenfalls auf erhöhten Blutdruck.