Gleich zwei aufeinanderfolgende Ereignisse versetzten die Sicherheitskräfte in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland in Alarmbereitschaft. Am vergangenen Freitag kam es in der Essener Innenstadt abends zu Massenschlägereien. Dabei wurden auch zwei Polizisten verletzt. Um die gewaltsamen Auseinandersetzungen wieder einzudämmen, waren eine Hundertschaft und ein Hubschrauber im Einsatz. Dabei wurden unter anderem Baseballschläger, Dachlatten und Messer sichergestellt. Bei den Beteiligten handelte es sich laut Polizei um „größere Personengruppen mit syrischer und libanesischer Nationalität“. Eine genaue Anzahl wurde nicht mitgeteilt. Auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT bestätigte die Polizei lediglich, daß neben der Feststellung der Personalien auch Platzverweise ausgesprochen wurden.
Die Bild-Zeitung spricht bereits von einem „Clan-Krieg im Revier“. „Jetzt heißt es Sippe gegen Sippe, alle gegen alle“, zitierte die Zeitung einen beteiligten Libanesen. Bei einer Massenschlägerei mit Syrern am Tag zuvor in Castrop-Rauxel sei einer von ihnen mit dem Messer verletzt worden. Einer ihrer „Paten“ habe nun über WhatsApp dazu aufgerufen, „den Syrern jetzt einmal klarzumachen, wer das Sagen hat und wie brutal wir sein können“.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte am Sonntag, die Kriminalität syrischer und libanesischer Großfamilien nicht länger kleinzureden. „Wo Clans massiv auftreten, muß auch der Staat massiv auftreten“, forderte der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Michael Maatz. „Die Konzepte dazu haben wir. Sie sind in den letzten Jahren in Essen und in anderen Ruhrgebietsstädten mit hoher Clan-Kriminalität von der Polizei entwickelt und mit großem Erfolg umgesetzt worden. Aber seit dem Regierungswechsel zu Schwarz-Grün kommt selbst führenden Regierungsvertretern das Wort Clan-Kriminalität nur noch selten über die Lippen. Damit setzt die Politik ein fatales Signal, die von den Clans ausgehende Gewalt werde nicht mehr mit allem Nachdruck verfolgt.“ Weiter forderte Maatz, daß „die Täter nicht nur ermittelt, sondern auch konsequent abgeurteilt werden“.
Wie wenig dieses Milieu jedoch bereits vor der Ära der schwarz-grünen Landesregierung zu befürchten hatte, belegt etwa ein Fall aus dem September 2018: Damals wurde eine Polizistin bei der Kontrolle einer Essener Shisha-Bar von mehreren Männern brutal angegriffen und schwer verletzt. Kurz darauf wurde ein 17jähriger libanesischstämmiger Tatverdächtiger in Gewahrsam genommen. Später erschienen dessen Bruder und Vater auf der Wache und forderten lautstark seine Freilassung. Dabei drohten sie, ihre „Familie“ zu mobilisieren. Am Morgen danach wurde der 17jährige wieder freigelassen, was mit fehlenden Haftgründen erklärt wurde. Drei weitere Beteiligte wurden 2020 vom Amtsgericht zu Freiheitsstrafen verurteilt, zweimal zu einem Jahr, einmal zu acht Monaten. Alle Strafen wurden jedoch zur Bewährung ausgesetzt.
Als 2014 mehrere hundert überwiegend libanesischstämmige Jugendliche pro-israelische Demonstranten auf dem Essener Bahnhofsvorplatz unter Rufen wie „Tod den Juden“ über Stunden hinweg mit Steinen und Stangen bewarfen, beschränkte sich die Polizei auf vereinzelte Festnahmen. Nach dem Einsatz warb die Kontaktbeamtin der Polizei bei den libanesischen Gemeinden um Verständnis für die Maßnahmen. Später ergab eine Anfrage im Landtag, daß die meisten Angreifer straflos davongekommen sind.