© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/23 / 16. Juni 2023

Europa als potenzierte Schweiz
Die Schweizer Juristin Regula Heinzelmann versucht sich an einer politischen Neukonzeption einer europäischen Staatengemeinschaft
Albrecht Rothacher

Regula Heinzelmann ist eine Schweizer Juristin und verspricht den Entwurf der Organisation eines europäischen Staatenbundes als Alternative zur real existierenden EU. Schon Charles de Gaulle wollte ein Europa der Vaterländer, freilich unter französischer Vorherrschaft, da er den Brüsseler Bürokraten und ihren Anhängern als Vaterlandslosen („Apatrides“) gründlich mißtraute. Es blieb jedoch bei jenem wohlfeilen Slogan vieler rechter EU-Kritiker ohne ernsthafte Umsetzungsversuche. Man darf also gespannt sein.

Schnell stellt sich jedoch heraus, daß der versprochene Staatsvertragsentwurf nur die letzten 33 Seiten des Buches ausmacht. Das Gros sind politische Meinungsbeiträge, von der Kritik an der Coronapolitik, am Islamismus, der Migrationspolitik, den Einschränkungen der Meinungsfreiheit, der Klimapolitik, dem Monetarismus, bis zu den ungeliebten Großkonzernen, Banken und dem Freihandel, die sich in großen Strecken wie ein persönlich gefärbtes Programm einer rechtskonservativen europakritischen Partei lesen. Und siehe da: die Autorin ist nicht umsonst Gründerin der Schweizer „Partei Neues Europa“ (PNEU). Je nach Gusto mag man vielem zustimmen oder auch nicht. Eine schöne Idee ist zum Beispiel die Politikerhaftung für Steuergeldverschwendung. Widersprüche können jedoch nicht ausbleiben. So soll der Lobbyismus verboten werden. Andererseits werden Forderungen einer Lobby zum Phosphat-Recycling nachdrücklich befürwortet. 

Das Konstrukt ist so harmonisch und effizient wie ein AfD-Parteitag

Heinzelmanns Staatenbund, den sie „Europe works together“ (EWT) nennt, soll mit der Schweiz und Großbritannien und weiteren aus der EU ausgetretenen Staaten und Provinzen von Gibraltar bis zur russischen Grenze bestehen, basisdemokratisch verfaßt, mit starken Grundrechten, möglichst wirtschaftsautark und umweltfreundlich, und mit einer gemeinsamen Verteidigung. Nicht unsympathisch, eine potenzierte Schweiz also. Aber wie soll sie funktionieren? Es soll eine EWT-Exekutive, an deren Spitze ein direkt gewählter Präsident steht, ein Parlament und ein Gericht geben. Die Exekutive besteht aus sechs Departments: Justiz mit der Aufsicht über das gesamte Rechtswesen, Verteidigung und Polizei, Verkehr, Wirtschaft und Wettbewerb, Umwelt und Energie, Wissenschaft und Kultur, das auch die Schulen und Universitäten überwacht. Dabei fällt auf, daß diese „Departments“ zum Teil weitaus stärkere Kompetenzen haben als die Generaldirektionen der aktuellen EU-Kommission. 

Das Parlament soll zur Hälfte direkt gewählt und zur anderen Hälfte als Ständekammer von Delegierten der Klein- und Mittelbetriebe beschickt werden. Alle Entscheidungen können Volksabstimmungen unterworfen werden und gelten nach einem negativen Bescheid für das entsprechende Land nicht mehr. Ein EWT-Gericht führt die Aufsicht über die nationalen Gerichte, und schließlich soll es nach dem Ende des Euro doch auch eine EWT-Zentralbank geben, die die Geldpolitik für verschiedene, undefiniert bleibende Währungszonen betreibt und sogar Filialgeschäfte tätigen soll. 

Für wichtige Entscheidungen, wie zum Beispiel Kriegserklärungen, vereinigen sich Exekutive, Parlament und Gericht zu einer Großen Versammlung, die freilich auch wieder Volksentscheidungen unterworfen ist, und schließlich schwebt über allem zur Kontrolle noch ein ebenfalls direkt gewählter Aufsichtsrat. Das Ganze sieht so harmonisch und effizient aus wie ein AfD-Parteitag. Und wie im verruchten Vertrag von Lissabon soll es auch einen Grundrechtskatalog geben, der so detailliert ist, daß er sogar die Aids-Prophylaxe in Sex-Klubs und Pornofilmen vorschreibt.

In Summe drängt sich nach der Lektüre dieses ambitionierten Werks der Eindruck auf, daß dieser Staatenbund auf vermeintlicher Grundlage eines Europa der Vaterländer von der aktuellen EU so unterschiedlich doch nicht ist, nur um einige Nuancen komplizierter und entscheidungsunfähiger. 

Regula Heinzelmann: Politische Neugestaltung Europas – dringender denn je. Eine neue Organisation Europas. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2023, broschiert, 202 Seiten, 22,80 Euro