Mit seiner jüngsten Rede, die Friedrich Merz gegen die angeblich „ausländerfeindliche und antisemitische“ AfD richtete, wirkte der CDU-Vorsitzende seltsam aus der Zeit gefallen, weil seine haßerfüllte rhetorische Keule die Befindlichkeiten der deutschen Kollektivpsyche heute weniger denn je trifft. Habe sich doch, wie der weit links angesiedelte Freiburger Zeithistoriker Ulrich Herbert Jahrzehnte der „Vergangenheitsbewältigung“ bilanziert, „ein weitreichender Konsens“ herausgebildet, wonach die Bundesdeutschen nun den Nationalsozialismus und seine Verbrechen „ganz überwiegend mit einer Abscheu und Beschämung“ wahrnehmen, die mittlerweile zu ihrer „Grundidentität“ gehöre (Forschung & Lehre, 3/2023). Ihr eigentliches Problem im Umgang mit Nationalsozialismus, Holocaust, Israel und Antisemitismus liege daher darin, daß er weiterhin „zu sehr betroffenheitsorientiert“ sei. Öffentlich zelebrierte „Betroffenheitsbekundungen“ verbänden sich darum regelmäßig mit Desinteresse an den Geschehnissen. So glaube etwa eine Mehrheit von dazu Befragten, der Holocaust sei ein „industrieller Prozeß“ gewesen. Tatsächlich wurde mehr als die Hälfte der jüdischen Opfer nicht vergast, sondern erschlagen oder erschossen. „Mehr Wissen und weniger Haltung“ sollte also den öffentlichen NS-Diskurs bestimmen.