© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/23 / 16. Juni 2023

Filmkritik Eleonore – Der gläserne Tod
Aus der Gruft auferstanden
Werner Olles

In ganz Europa wütet die Pest. Eleonore (Liv Ullmann), die Ehefrau des Ritters und begüterten Schloßherrn Richard (Michel Piccoli), verletzt sich bei einem Reitunfall so schwer, daß sie kurz darauf stirbt. Noch am Todestag seiner verunglückten Frau heiratet Richard die schöne, junge Cathérine (Ornella Muti), die ihm im Lauf der nächsten Jahre zwei Söhne schenkt. Dennoch kommt der unglückliche Witwer nicht über den Tod seiner ersten Frau hinweg. Vor Trauer und Schmerz verbringt er die Nächte in ihrer Gruft.

Als eines Tages plötzlich ein mysteriöser Fremder im Schloß auftaucht und ihm verspricht, die Tote wieder in die Welt der Lebenden zurückzuholen, ist Richard überglücklich und sagt sofort zu. Doch mit Eleonores Rückkehr kommt auch das Grauen über das Gut des Ritters und die Umgebung. Nicht nur die Pest rückt in die ritterlichen Ländereien ein, auch die verwirrte Eleonore entwickelt sich als Untote zu einer Art Würgeengel, der sich von unschuldigen Kinderseelen ernährt. Dem Wahnsinn nahe, sieht Richard nur noch einen Ausweg, um dem Unheil, das über die Familie und das Land gekommen ist, endlich ein Ende zu bereiten …

„Eleonore – Der gläserne Tod“ („Léonor“, Frankreich, Spanien, Italien 1975) nach einer Vorlage des deutschen Romantikers Ludwig Tieck, inszeniert und geschrieben von Juan Luis Bunuel, dem Sohn des großen Surrealisten Luis Bunuel, ist eine gelungene Mischung aus mediävalem Drama, romantischem Schauerstück und apokalyptischem Mittelalter-Historienfilm. Während Bunuel, kongenial begleitet von dem Kameramann Luciano Tovoli und dem Komponisten Ennio Morricone, es in der ersten Hälfte des Films langsam und behutsam angehen läßt, entwickelt sich die Handlung im zweiten Teil zu einem pechschwarzen, faszinierend-irrationalen Spuk in geheimnisvollen Farbtönen, phantastisch-morbiden Andeutungen und dem mythischen Nebelschleier vergangener Jahrhunderte. Dabei geht es um Verlust, Obsessionen, unbewältigte Trauer, unstillbare Sehnsucht und dämonische Finsternis. Old-School-Horror vom feinsten eben, der die Wirkung von Magie und Zauberei als Erlösung aus einer enttäuschenden Gegenwart feiert. Bunuel versteht es meisterhaft, sich seine Versatzstücke aus den unterschiedlichsten Themen- und Motivkreisen zu holen, um Übernatürliches real erscheinen zu lassen.

DVD/Blu-ray: Eleonore – Der gläserne Tod. Pidax Historien-Klassiker 2023, Laufzeit  etwa 94 Minuten