© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/23 / 16. Juni 2023

Weltweiter Milliardeneinsatz für neue Chipfabriken
Deglobalisierung: Aus Angst vor China sollen mehr Halbleiter in den USA und der EU hergestellt werden / Erste Absetzbewegung aus Taiwan?
Paul Leonhard

Corona-Krise, Deglobalisierung, Konflikt mit Rußland und China – die EU soll unabhängiger von weltweiten Lieferketten werden. Für das Ziel einer europäischen Halbleiterindustrie sind 43 Milliarden Euro an Brüsseler Fördergeldern vorgesehen. Das sind 96 Euro pro Kopf der 447 Millionen EU-Einwohner. Ob das reicht? Die USA mobilisieren mit ihrem Chips and Science Act von 2022 bis Ende des Jahrzehnts 280 Milliarden Dollar an Subventionen und Steuererleichterungen – umgerechnet 786 Euro pro Kopf. Im Militärbudget (2022: 877 Milliarden Dollar) sind weitere Quersubventionen „versteckt“.

Doch wenn China nicht mehr liefern will und Taiwan, Südkorea und Japan bei einem Ostasien-Konflikt nicht mehr liefern können, dann stände in Europa und Amerika die Wirtschaft still. Intel ist zwar mit einem Jahresumsatz von 76 Milliarden Dollar (2021) – nach Samsung (83 Milliarden/Südkorea) – der zweitgrößte Halbleiterkonzern der Welt. Der US-Konzern hat Werke in Arizona, New Mexico, Ohio, Oregon sowie Irland und Israel. Es gibt auch Intel-Montagefabriken in China, Malaysia und Vietnam, denn dort ist die Fertigung viel billiger. Aber einfachere Standard-Chips kommen seit zwei Jahrzehnten fast nur noch aus Asien.

Und die sind – anders als Erdgas, die Steinkohle und das Öl aus Rußland – auch für viel Geld nicht schnell zu ersetzen. Zudem wächst der globale Chip-Bedarf. Viele Elektronikteile sind Wegwerfprodukte mit begrenzter Lebensdauer. Andererseits verlangt die sich immer weiter entwickelnde Nano-Technologie ständig verbesserte Fertigungsanlagen. Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) ist mit einem Umsatz von 57 Milliarden die Nummer drei der Halbleiterkonzerne und gleichzeitig der größte Chip-Auftragsfertiger der Welt. Ohne TSMC-Teile verläßt kein Auto oder Computer das Fließband – aber was ist, wenn Peking den bis 1945 japanischen Inselstaat heim ins Reich der Mitte holen will?

Das britische Hongkong und das portugiesische Macau wurden 1999 chinesische „Sonderverwaltungszonen“ – doch die Mehrheit der 23,9 Millionen Taiwanesen will nicht unter Pekinger KP-Herrschaft leben. Aber wie lange läßt sich der Status quo noch aufrechterhalten? Erste Absetzbewegungen sind erkennbar: Im Dezember 2022 wurde bekannt, das TSMC für sein neues Werk Fab 21 in Arizona statt zwölf nun 40 Milliarden Dollar investiert. Ab 2024 sollen gängige N5-Chips und ab 2026 mit 4.500 Mitarbeitern anspruchsvolle N3-Chips hergestellt werden – obwohl die Lohnkosten in North Phoenix doppelt so hoch sind wie in Taichung oder Tainan. Und nach dem ersten Joint Venture mit Sony und Denso in Kumamoto (Japan 3DIC R&D Center) will TSMC eventuell eine weitere Fabrik im Land der aufgehenden Sonne errichten. Ein gemeinsames Forschungszentrum für künftige N2-Chips in Tsukuba nördlich von Tokio gibt es seit 2021. Die Hälfte der Gesamtinvestitionen von 8,6 Milliarden Euro hat das Tokioter Industrieministerium (Meti) übernommen.

Fabriken in Mitteldeutschland ökonomisch nicht begründbar?

Die für Sachsen geplante große TSMC-Ansiedlung soll hingegen keine High-Tech-, sondern gängige N20-Chips fertigen, erklärte TSMC-Manager Kevin Zhang auf einem Firmensymposium in Amsterdam, das auf die Autoindustrie ausgerichtet war. Man wolle „nahe bei unseren Kunden sein, und in Europa besteht die Hälfte unseres Geschäfts aus Mikrocontrollern“. Deswegen präferiere man für eine europäische Fabrik „bewährte Fertigungsverfahren“ – sprich: Die taiwanesische Spitzentechnik wird nach Amerika und Japan „gerettet“. Die endgültige Entscheidung über die TSMC-Ansiedelung soll im August fallen – es wäre das dritte Chip-Megaprojekt in Mitteldeutschland.

Doch während bei Themen wie Klima, Ukraine oder Zuwanderung die Milliarden unbegrenzt fließen, ringen bei echten Zukunftstechnologien EU, Bund und Bundesländer um die Höhe der Staatszuschüsse: etwa für Intel in Magdeburg sowie für Infineon und TSMC in Dresden. Die Taiwanesen werden wohl drei bis vier Milliarden Euro verlangen. Und „wir hoffen, daß keine Bedingungen an die Förderung geknüpft sind“, erklärte TSMC-Chef Mark Liu vorige Woche. Zudem gebe es „Besorgnisse“ bezüglich der Lieferketten in Deutschland und der Verfügbarkeit von Fachkräften.

In Magdeburg streiten sich Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) und der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Reint Gropp, über die von Intel verlangten Milliarden-Subventionen. Die lägen bei einer Million Euro pro entstehendem Arbeitsplatz und damit so hoch wie die für die neue Infineon-Fabrik, die bei Gesamtinvestitionen von fünf Milliarden Euro den Steuerzahler eine Milliarde Euro kostet. Doch Infineon, 1999 von Siemens ausgelagert und an die Börse gebracht, ist ein Dax-Konzern. Aber inzwischen fordern die Amerikaner – von Joe Biden „subventionsverwöhnt“ – höhere Zuschüsse, weil die Investitionskosten plötzlich nicht mehr mit 17, sondern mit 27 Milliarden Euro kalkuliert werden.

Die 6,6 Milliarden Euro Steuergelder würden nicht mehr reichen, nun ist von zehn Milliarden Euro die Rede. Auch fordert das US-Unternehmen niedrigere Preise für Strom und Wasser. In Dresden verbrauchen die drei großen Halbleiterproduzenten Bosch, Globalfoundries (bis 2009 AMD) und Infineon knapp die Hälfte des Wassers der gesamten Stadt. Und das Steuergeld für die Ansiedlung von Chip-Fabriken wäre in Bildung und Forschung besser angelegt gewesen, findet Ökonomieprofessor Gropp: Denn „während wir über Milliarden für einen US-Konzern diskutieren, werden die Universitäten zu massiven Einsparungen gezwungen“, so der IWH-Chef im Handelsblatt.

Intel gehe nach Magdeburg, weil es dort Milliarden vom Bund, viel Platz und billiges Land gebe. Intel schade allerdings dem „Start-up- und Innovationsstandort“ Magdeburg, weil es künftig zwar hochbezahlte Jobs für Universitätsabsolventen gebe, diese aber „dann keine neuen Unternehmen mehr gründen oder an Innovationen forschen“ würden. Und „einen Subventionswettlauf gegen die USA, China und den Rest der Welt können wir nicht gewinnen“, warnt Gropp. Auch Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut sieht es ähnlich: „Es ist eine politische Entscheidung der EU, eine europäische Halbleiterindustrie aufzubauen. Ökonomisch läßt sich das nicht begründen“, so der Dresdner Wirtschaftsprofessor im MDR. Aber vielleicht mit einem Blick in die EU: Die Intel-Projekte in Frankreich, Irland, Italien, Polen und Spanien lassen sich bei Verzicht auf Magdeburg sicher auch erweitern.


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