© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/23 / 16. Juni 2023

Basis des Wirtschaftswunders
75 Jahre Deutsche Mark: Währungsreform brachte den Deutschen fünf Jahrzehnte Stabilität
Dirk Meyer

Am Sonntag, dem 20. Juni 1948 standen Millionen Deutsche Schlange vor den Lebensmittel-Ausgabestellen, um 40 D-Mark „Kopfgeld“ – inflationsbereinigt heute 113,20 Euro – abzuholen. Erst am Freitag davor wurde über die Währungsreform informiert. Die Herstellung der Banknoten erfolgte in den USA ab September 1947 unter höchster Geheimhaltung. Sie war notwendig, um im Vorfeld der Umstellung Transaktionen zu verhindern, denn es ging zentral um eine Beseitigung des kriegsbedingten Geldüberhangs, um langfristig die Grundlage für eine funktionsfähige Marktwirtschaft zu schaffen.

Für Verträge (Löhne, Mieten) galt zwar ein Anschlußkurs von 1 zu 1. Doch die Sparer waren Verlierer: Deren Bargeld (10 zu 1) und deren Bankguthaben (100 zu 6,5) wurden radikal abgewertet. Über Nacht füllten sich allerdings die zuvor leeren Regale, doch die durch die Lebensmittelmarken zurückgestaute Inflation entlud sich sofort in entsprechenden Preiserhöhungen. Ludwig Erhards Wirtschaftswunder kam kurzfristig durch die Notwendigkeit staatlicher Bewirtschaftungsmaßnahmen ins Stocken. Nach einer Periode der Anpassung wurden die Erfolge einer freien Marktpreisbildung jedoch breit sichtbar.

Die währungspolitische Grundlage bildete die Bank deutscher Länder (ab 1957 Bundesbank) mit der Unabhängigkeit von der Regierung und einer auf Geldstabilität ausgerichteten Politik. Dies verhinderte zum Beispiel die „Operation Goldfinger“, mit der Finanzminister Theo Waigel (CSU) 1997 eine Höherbewertung der damals 3.407 Tonnen schweren Goldreserven der Bundesbank erreichen wollte. Dieser Trick sollte dem Bundeshaushalt eine Gewinnzuführung bescheren. Die stabile D-Mark war auch geduldete Parallel- bzw. Zweitwährung in der Türkei und den Staaten des Ex-Jugoslawiens. In den Inflationsländern Polen und Ungarn wurde in den 1980er Jahren von einigen sogar in D-Mark gespart. Montenegro hatte nie eine eigene Währung, sondern nutzte ungefragt zunächst die D-Mark und ab 2002 den Euro. Die „Blaue Fliese“ (100-DM-Schein) war in der DDR eine gern genommene Währung.

Aufwertung verbilligte Importe und minderte den Inflationsdruck

Erheblichen Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung als Exportnation hatte die Aufwertung der D-Mark gegenüber Auslandswährungen. So sank der Wert eines Dollars von 4,20 DM (1950) auf 1,76 DM (1998) und der eines britischen Pfunds (GBP) von 11,70 DM auf 2,91 DM. Mit der D-Mark verbilligten sich die Importe, was den Inflationsdruck minderte. Zugleich erzielten Exportgüter in DM-Preisen mehr Fremdwährung – das reale Austauschverhältnis verbesserte sich. Die in Auslandswährung gestiegenen Preise erschwerten aber die Exporte, was die Anstrengungen zu Produktivitätswachstum und innovativen Produkten forcierte. Zudem wurde der Urlaub im Ausland mit der D-Mark laufend erschwinglicher.

Mit dem Niedergang des Bretton-Woods-Systems fester Wechselkurse während des Vietnamkriegs kam die Idee eines Währungsverbundes auf, mit dem drei Ziele verfolgt wurden: Gegengewicht zum Dollar, wirtschafts- und währungspolitische Koordination der EWG-Länder, Einhegung der aufwertenden D-Mark. Die Entwicklung reichte vom Werner-Plan (1970), dem Fonds für Währungszusammenarbeit (EFWZ 1973), dem Europäischen Währungssystem (EWS 1979) mit festen, aber anpassungsfähigen Wechselkursen bis hin zum Vertrag von Maastricht (1992), der den Euro ab 1999 als Buchgeld und ab 2002 als Bargeld vorsah.

Die Bundesrepublik hatte bereits Erfahrungen mit zwei Währungsunionen: mit der Bank deutscher Länder (1948–1957) und der deutsch-deutschen Währungsunion 1990. Beides waren Fiskalunionen auf der Basis eines Bundesstaates mit engen kulturellen und gesellschaftlichen Bindungen. Dies war Garant dafür, daß die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Bundesländern durch einen „Finanzausgleich“ gelindert werden konnten, ohne dabei die Akzeptanz der Nettozahler zu verlieren. Diese Merkmale fehlen der Europäischen Währungsunion (EWU). Das Nicht-Beistandsgebot und das Verbot der monetären Staatsfinanzierung sollten die Euro-Staaten stattdessen zur Haushaltsdisziplin zwingen.

Wäre eine Rückkehr vom Euro zur D-Mark möglich?

Doch diese Zusicherung im Maastrichter Vertrag hielt nicht. Rettungsschirme für de facto insolvente Euro-Staaten (ab 2010/2012), Staatsanleihekäufe zur Stützung des Kapitalmarktzugangs hochverschuldeter Staaten (verstärkt ab 2015) und EU-Schulden mit Gemeinschaftshaftung (ab 2020; deutscher Anteil mindestens 25 Prozent) haben zu einer Fiskalunion mit erheblichen Netto-Transfers in die Problemstaaten geführt. Zugleich wurde die Unabhängigkeit der EZB infolge der Staatsanleiheankäufe – aktuell die Hälfte der Bilanz des Eurosystems ausmachend – stark geschwächt, was derzeit die Inflationsbekämpfung erschwert.

Wäre daher eine Rückkehr zur D-Mark möglich? Diese Frage stellt sich, will man ein „Weiter so“ mit der Gefahr eines unfriedlichen Zusammenbruchs der Eurozone etwa im Falle einer Insolvenz Italiens (Staatsverschuldungsquote 145 Prozent des BIP) vermeiden. Die politische Wirkung eines deutschen Austritts wäre aber verheerend. Der EU-Binnenmarkt stände in Frage. Eine Aufwertung von vielleicht 30 Prozent würde die Exportwirtschaft treffen, eine längere Rezession wäre wahrscheinlich.

Ein weiteres Problem wären die deutschen Target-Forderungen in Höhe von 1.082 Milliarden Euro gegenüber dem Eurosystem – das entspricht zwei Drittel des gesamten deutschen Netto-Auslandsvermögens, die infolge von Exportüberschüssen, EZB-Anleihekäufen und anderen Kapitalbewegungen entstanden sind. Diese dürften uneinbringbar sein. Überlegenswert wäre deshalb eine Neuordnung im Konsens – eine Nord/Süd-Euro-Währungsunion oder ein Parallelwährungssystem mit zusätzlichen nationalen Währungen.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. 2002 erschien sein Buch „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise (Springer Fachmedien).





Ergänzung des Euro durch D-Mark-Parallelwährung?

Da ein deutscher Euro-Austritt unrealistisch ist, scheint eine Ergänzung der Einheitswährung durch nationale Parallelwährungen die einzige Option für eine „Rückkehr“ zur D-Mark zu sein. Dafür sind aber einige EU-Vertragsänderungen notwendig. Zudem müßte es eine automatische Beendigung der Euro-Mitgliedschaft im Euro bei dauerhaften Verstößen gegen die Schuldenregeln geben. Eine Parallelwährung hätte mehrere Vorteile:

• Euro-Guthaben bleiben bestehen, deshalb keine Gefahr von „Bank Runs“ und Kapitalflucht bei der Währungsumstellung

• Altverträge in Euro haben weiterhin Bestand

• freie Wahl der Währung für neue Verträge

• nationale Notenbanken können eine eigenständige Geldpolitik betreiben

Es ergäben sich aber auch Probleme, etwa kann die Rückzahlung von Euro-Altschulden  für Weich-Währungshalter schwierig werden. Hinzu kommen Abschreibungen der EZB bei den Target-Forderungen. Die Lösung: Das Bargeld, Sichtguthaben und Spareinlagen werden in Euro fortgeführt, alle anderen Forderungen und Verbindlichkeiten sind auf die nationale Währung umzustellen. (my)