© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/23 / 16. Juni 2023

Schwer steuerbare Asylmaßnahmen
EU: Die Reform des Migrationspaktes soll illegale Migration bekämpfen / Wachsende Kritik wird laut
Felix Hagen

Der neue EU-Migrationspakt ist kaum beschlossen, da bildet sich bereits eine Abwehrfront gegen das Abkommen, mit dem die Migrationspolitik der Union umgekrempelt werden soll. Denn so richtig glücklich mit dem Maßnahmenpaket, das EU-Innenkommissarin Ylva Johansson als „historischen Schritt“ bezeichnete, sind in der EU viele nicht. Der Linken ist er zu sehr auf Abschottung aus, die Rechte kritisiert ihn als „Umvolkungspakt“, wie es der Vorsitzende des flämischen Vlaams Belang, Tom Van Grieken, ausdrückte. 

Während der Ratssitzung am vergangenen Donnerstag in Luxemburg einigten sich die Innenminister der EU Mitgliedsstaaten auf eine Verhandlungsposition zur Asylverfahrensverordnung und zur Verordnung über die Steuerung von Asyl und Migration. Ein hart verhandelter Kompromiß, der am Ende trotzdem nicht alle Anwesenden überzeugen konnte. Ungarn und Polen stimmten gegen den ausgehandelten Weg, der Hauptkritikpunkt der beiden Visegradstaaten: Strafzahlungen für die verweigerte Aufnahme von zugeteilten Flüchtlingen.

Polen und Ungarn kritisieren die „Pflicht zur Solidarität“ 

Diese Zahlungen sind Teil des neuen Verteilungssystems. Neuankömmlinge an den Außengrenzen des Blocks sollen künftig in zwei Kategorien eingeteilt werden. Wer klar erkennbar gute Aussichten auf Asyl hat, soll schnell von der Grenze weiter in aufnehmende Staaten verteilt werden. Wer weniger gute Chancen hat, soll an Ort und Stelle interniert und dort auf das Ergebnis seines Antrags warten. 

Wer abgelehnt wird, kann, ein Novum in der EU-Asylgeschichte, auch offiziell in Länder abgeschoben werden, die nicht sein Herkunftsland sind. Diese Regelung blieb bis zum Schluß ein erbittert umstrittener Punkt, besonders die deutsche Seite befürchtete, damit letztlich Pushbacks zu legitimieren. Erst eine Koalition aus zehn Ländern, angeführt vom besonders energisch verhandelnden Italien konnte hier den deutschen Widerstand brechen. Die Abschiebungen aus den Sammellagern in Drittstaaten war bereits im Vorfeld als Herzstück der italienischen Verhandlungsposition kommuniziert worden. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni dürfte sich in den nächsten Tagen in der Heimat als Interessenvertreterin der italienischen Anliegen feiern lassen, denn verklausuliert steht diese Regelung vor allem für die Möglichkeit der Italiener, abgelehnte Asylbewerber auch nach Tunesien oder sogar Libyen abschieben zu können. 

Außerhalb Italiens stößt der Pakt auf deutlich weniger Gegenliebe. Neben den bereits genannten beiden Migrationsrebellen Polen und Ungarn kündigte in den nordeuropäischen Ländern vor allem die politische Rechte deutlichen Widerstand gegen das Paket an. Hauptkritikpunkt auch hier: Wer keine Asylbewerber aufnehmen will, muß zahlen. Etwa 20.000 Euro beträgt die Kopfpauschale pro Ablehnung, die als „finanzieller Beitrag“ verbrämt wird. Diese „Pflicht zur Solidarität“ soll jährlich etwa 30.000 Migranten umverteilen, ein rotes Tuch auch für Marine Le Pens Rassemblement National in Frankreich: „Die EU will illegale Migration legalisieren. Daß nur zwei Mitgliedsstaaten dagegen aufbegehren, ist bemerkenswert“, klagt die EU-Abgeordnete des RN, Patricia Chagnon, im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Aus ihrer Sicht ein Verrat der gewählten Staatenlenker: „Siebzig Prozent der Franzosen wollen Einwanderung reduzieren, aber Macron hat sich nicht gegen den Pakt ausgesprochen.“ Aus Chagnons Sicht führe der Pakt letztlich zur „Zunahme von Migration“. Ihre Partei werde sich daher für „ein Referendum über die Annahme des Pakts“ aussprechen. Auch der polnische Innenminister Bartosz Grodecki zeigte sich entrüstet. Solidarität könne nie „verpflichtend sein“, seine Regierung werde sich im Europäischen Parlament für eine Ablehnung des Paktes stark machen. 

Dort stehen den Verhandlern von Kommission und Rat in der Tat schwere Stunden bevor. Denn neben der Rechten sind auch einige Linke mit dem vereinbarten Kompromiß unzufrieden. In einem Statement auf ihrer Homepage bezeichnete die Fraktion „the Left“ im EU Parlament die Übereinkunft der Minister als „schändlichen Verrat an der europäischen Geschichte“, die Minister hätten einen „Angriff auf das Asylrecht“ begonnen und sich dabei zum „Handlanger der extremen Rechten“ gemacht.

Bis zum Juni 2024 soll das Paket auch im Parlament abgesegnet sein, denn dann stehen EU-Parlamentswahlen an ,und die komfortable Mehrheit im Parlament für eine Zustimmung zu dem Paket könnte je nach Wahlausgang deutlich zusammenschrumpfen. Ein genaues Datum für die Debatte im Europäischen Parlament ist allerdings noch nicht bekannt. 


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