© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/23 / 16. Juni 2023

Grüße aus … Brüssel
Den Appetit verdorben
Albrecht Rothacher

Zu den Attraktionen der europäischen Hauptstadt zählen die Mittags- und Abendveranstaltungen der politischen Stiftungen und Länderbüros, wo man sich bei Speis und Trank mit Abgeordneten, Eurokraten und solchen, die es werden wollen, locker zu EU-Themen austauschen kann.

So besuchte ich das Baden-Württemberg-Haus – es gab lasche Brezeln mit Apfelsaft – für eine Diskussion zur verfahrenen Vertragslage zwischen der EU und der Schweiz. Der diplomatische Diskurs zwischen einem Wiener ÖVP-Abgeordneten, einer Schweizer Botschafterin und dem Kabinettschef des für die EU verhandelnden Kommissars Maroš Šefčovič verlief reichlich verschwurbelt. Immerhin wurde klar, daß die Verhandlungen vor zwei Jahren von der Schweiz abgebrochen worden waren, daß sich Württemberg um die Fortsetzung des gedeihlichen kleinen Grenzverkehrs sorgt und die Schweiz den zügellos urteilenden Europäischen Gerichtshof als Schiedsstelle sowie die hemmungslose EU-Freizügigkeit ablehnt. Zur Strafe wurde sie aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 geworfen, was wiederum allen leid tut. Klar, die große EU springt mit der Schweiz um, wie China mit Laos.

Ich verlasse erschüttert den gastlichen Ort des Büffets für die selbsternannten Klima- und Weltenretter.

Abends bewarb sich die Stadt Mannheim in dieser gastlichen Stätte mit seinem scheidenden OB Peter Kurz (SPD) und seiner grünen Stellvertreterin, einer gelernten Ökopublizistin mit wirren Haaren namens Diana Pretzell, mit seinem Grünen Deal – immerhin die Stadt mit der größten Industriedichte Deutschlands. Schon bis 2030 will man dort klimaneutral werden, denn der Klima-Weltuntergang ist nahe. Also weit früher als die Ampel in Berlin (2040) oder die EU-Kommission (2050). Das Menü reicht von Photovoltaik-Pflichten auf allen Neubauten und Schuldächern, begrünten und zurückgebauten Parkplätzen und den Öffis bis zu vielen neuen Managern und externen Beratern in der Stadtverwaltung. Dazu will man für die Vorbildrolle strengere Gesetze („Um Bürger und Industrie mitzunehmen“!) und viele Milliarden aus Brüssel. 

Doch die zuständige Abteilungsleiterin der Kommission hält sich trotz schwafeligen Eigenlobes sehr bedeckt. 100 EU-Städte wollen angeblich mitmachen. Doch es sprach nur ein Vertreter Lyons, der sich auf Fahrradwege, Busse und Öko-Baustoffe beschränkte. In der großen Vorreiterrolle in der industriellen Selbstzerstörung blieb Mannheim also allein, auch wenn ein grüner Staatssekretär aus Stuttgart androhte, BaWü wolle zum „Muschterland“ des Green Deals werden.

Ich verlasse erschüttert den gastlichen Ort vor der Eröffnung des lukullischen Büffets für die selbsternannten Klima- und Weltenretter. Die Vorstellung eines Verarmungsniveaus von 1930 für meine nordbadische Nachbarstadt hat mir gründlich den Appetit verdorben.