© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/23 / 16. Juni 2023

Es gibt immer ein erstes Mal
Exklusive Insa-Umfrage für die JF: Mehr als 40 Prozent sehen die AfD als potentielle Regierungspartei / Große Ost-West-Unterschiede / Stoff für die laufende Debatte um mögliche AfD-CDU-Koalitionen
Werner Becker

Friedrich Merz will auf Nummer Sicher gehen. Daß ihn auch wirklich jeder versteht. „Solange ich Parteivorsitzender der CDU bin, wird es keinerlei Zusammenarbeit mit dieser Partei geben.“ Gemeint ist die AfD, und es beschleicht immer mehr Beobachter das Gefühl, je häufiger der CDU-Chef den AfD-Bann ausspricht, desto wackeliger wird die „Brandmauer“. 

Schon jetzt stimmen AfD und CDU auf kommunaler Ebene, insbesondere im Osten, immer wieder für die gleichen Anträge. Jüngstes Beispiel: Der langjährige Bürgermeister der thüringischen Stadt Altenburg, Michael Brychcy (CDU), betont, daß er selbstverständlich in Sachfragen auch mit der örtlichen AfD zusammenarbeite. Schlaglöcher in seiner Stadt hätten schließlich keine Parteifarben. Merz hin, Merz her. Dem Willen der Wähler werde „sich auch die CDU nicht dauerhaft verweigern können, wenn sie sich nicht selbst überflüssig machen will“. Die Debatte ist nicht mehr zu stoppen.

Doch wollen das die Bürger überhaupt? Ist die AfD eine Partei, die wie jede andere auch für Regierungskoalitionen in Frage kommt? Und: Wollen die AfD-Wähler, daß die Partei Verantwortung übernimmt? Antworten darauf gibt jetzt eine Insa-Umfrage, die exklusiv im Auftrag der JUNGEN FREIHEIT durchgeführt wurde. Die Ergebnisse haben es in sich.

FDP-Wähler sehen AfD-Regierungsbeteiligung entspannt

So sind 42 Prozent der befragten Wähler mittlerweile der Meinung, die AfD sollte in Hinblick auf Koalitionen wie alle anderen Parteien auch behandelt werden. Lediglich 43 Prozent sind gegenteiliger Meinung. Dieses Kopf-an-Kopf-Rennen hätte es wahrscheinlich vor ein paar Jahren noch nicht gegeben. Die auch aus anderen Umfragen bekannte Tendenz, die AfD zunehmend als normale Partei wahrzunehmen, schlägt sich auch hier nieder. Und auch eine andere Konstante findet sich in den neuen Zahlen wieder: der Ost-West-Unterschied.

So gibt es in den östlichen Bundesländern, inklusive Berlin, bereits eine absolute Mehrheit dafür, die AfD bei Koalitionsverhandlungen grundsätzlich mit einzubeziehen. 52 Prozent sind dafür, 39 Prozent sind dagegen. Im Westen sieht es umgekehrt aus. Hier sind 31 Prozent für eine normale Behandlung der Partei, 46 Prozent sind dagegen. Je rund 15 Prozent in Ost und West waren sich nicht sicher oder wollten keine Angaben machen. Wenig überraschend: Wähler, die sich „rechts der Mitte“ einordnen, wünschen sich eher einen normalen Umgang mit der AfD (72 Prozent) als diejenigen, die sich in der „Mitte“ (39 Prozent) oder „links der Mitte“ (32 Prozent) sehen. 

Der Wunsch, die AfD als potentiellen Koalitionspartner nicht grundsätzlich auszuschließen ist insbesondere bei den Wählern von Union und FDP ausgeprägt. 58 Prozent der Liberalen und 40 Prozent der Unions-Anhänger sind der Ansicht, die AfD sollte in Hinblick auf Koalitionen wie alle anderen Parteien auch behandelt werden. Bei  den Wählern von CDU und CSU gibt es allerdings eine knappe Mehrheit gegen eine normale Behandlung der AfD.

Am wenigsten können sich SPD- und Grünen-Unterstützer mit je etwa 20 Prozent mit dem Gedanken anfreunden, die AfD an Koalitionsverhandlungen teilhaben zu lassen. Erstaunlich gespalten sind die Anhänger der Linkspartei. 38 Prozent sind für einen normalen Umgang mit der AfD, 40 Prozent sind dagegen. Gut möglich, daß gerade diese Wähler nicht vergessen haben, wie lange die SED-Nachfolger von der Macht ferngehalten wurden.

Nun ist es das eine, eine hypothetische Regierungsbeteiligung anzustreben. Das andere ist jedoch, auf welcher Position die AfD an der Macht teilhaben soll? Und die AfD wäre nicht die AfD, wenn sie sich mit dieser Frage nicht parteiintern schon ausführlich beschäftigt hätte. Die einen warten auf „Meine Kanzlerin Alice Weidel“, als Grafik-Kachel gern gesehener Gast unter jedem Beitrag der Partei in den sozialen Netzwerken, die anderen wollen eine „Fundamentalopposition“, um nicht zu einer angeblichen „CDU 2.0“ zu werden. 

Weidel: Wunsch der Wähler kann nicht ewig mißachtet werden

Zumindest die AfD-Wähler haben eine klare Meinung: Nur ein Prozent von ihnen lehnt jede Form der Regierungsbeteiligung strikt ab. Auch sonst herrscht unter AfD-Unterstützern, die soziologisch nicht identisch mit den Parteimitgliedern sind, erstaunlicher Pragamatismus.Fast die Hälfte der AfD-Anhänger wäre auch für eine Regierungsbeteiligung, wenn die Partei nicht Ministerpräsident oder Kanzler stellt. 29 Prozent wollen die AfD nur an der Macht sehen, wenn sie auch den Regierungschef stellt, und 18 Prozent warten darauf, daß die AfD allein regieren kann. Gar nicht regieren ist jedenfalls keine Alternative für die Alternativen. 

Das sieht auch Weidel so. Daß 42 Prozent der Deutschen die Partei nicht mehr pauschal von Regierungskoalitionen ausschließen wollen, sei ermutigend. „Wenn die bislang Regierenden versagen, ist es Zeit für einen Wechsel. Das ist demokratische Normalität. Die Bürger haben das offenkundig besser verstanden als die etablierten Parteiideologen, die den immer deutlicheren Wunsch der Wähler nach einer Regierung mit AfD-Beteiligung noch mißachten“, betonte die Partei- und Fraktionsvorsitzende gegenüber der jungen freiheit.