© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/23 / 09. Juni 2023

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Bildungsbericht in loser Folge: Der Deutsche Lehrkräftepreis ging dieses Jahr an die Freie Grundschule Wernigerode. Die „Tagesschau“ berichtet ausführlich, das kleine Schulorchester müht sich nach Kräften, und dann kommen Begründung und Verleihung und die gerührte Schulleiterin. Wie üblich in solchen Fällen wird gelobt, daß man in Wernigerode die traditionellen Fächergrenzen überwinde, ein Geist des Miteinanders herrsche und natürlich kreative Lernformen im Vordergrund stehen. Selbstverständlich hat das alles nichts mit der pädagogischen Realität zu tun. Die ist dadurch gekennzeichnet, daß an einer anderen Schule in einer anderen Stadt in einem anderen Bundesland fast die Hälfte der ABC-Schützen nicht in die zweite Jahrgangsstufe versetzt werden kann, in manchen Klassen Verständigung auch per Zeichensprache erfolgen muß, ein großer Teil der Kinder beim Übergang in die Sekundarstufe immer schlechter liest, die Leistungen des deutschen Nachwuchses in den MINT-Fächern deprimierend sind, manche Eltern aus dem bunten Bevölkerungsteil Schwierigkeiten mit dem deutschen Wort „Schulpflicht“ haben und Lehrer immer häufiger Selbstverteidigungskurse nachfragen, um sich im Ernstfall der Attacken von Schülern wie Erzeugern zu erwehren. Und wenn man sich solchermaßen ein Bild verschafft hat und fragt, warum von alldem in Wernigerode an der Freien Grundschule keine Rede ist, dann sollte man die Lage und die Größe des Ortes klären und zuletzt einen Blick auf die Schülerschar werfen, die so gar keinem Diversitätskriterium entspricht.

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Das Ziel der Ampelkoalition, via Selbstbestimmungs- und Familienrecht die „Entbiologisierung der engagierten Zivilgesellschaft“ voranzutreiben, ist insofern entlarvend, als diejenigen, die um das Leben jedes Feldhamsters kämpfen und jeden Eingriff in die Genstruktur einer Gemüseart für bedrohlich halten und samt Klima gleich noch die Natur retten wollen, von der „Ökologie des Menschen“ (Benedikt XVI.) so gar nichts verstehen.

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Philip Eppelsheim hat in einem Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ausgabe vom 5. Juni) die skandalöse Solidarisierung von blutroten und grünen Politikern mit Lina E. und die verstörende Einseitigkeit der Gefahrenanalyse der roten Bundesinnenministerin zum Thema gemacht. Es fehlt auch nicht der Hinweis auf die strukturelle Gewalt der „antifaschistischen“ Szene und die fatale Duldung von „bullenfreien“ Räumen in deutschen Großstädten, die man willig irgendwelchen „autonomen“ Szenen überläßt. Es bleiben nur zwei Defizite: Eppelsheims Bereitschaft, das Mantra von der rechten Gefahr zu wiederholen, und das Fehlen einer in die Tiefe gehenden Analyse des seit Jahrzehnten anhaltenden Einflusses toxischer linker Narrative auf den meinungmachenden Bereich der deutschen Gesellschaft.

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Offenbar ist Friedrich Merz nicht zu raten und also nicht zu helfen.

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„Je kritischer wir Deutsche mit uns selbst, je ernster wir mit den Illusionen und Irrungen, mit den Sünden und Fehlern unserer Geschichte umgehen, je mehr wir uns der Wandlung öffnen, die unser nationales Bewußtsein … bis in die Tiefen erfaßt, desto entschiedner müssen wir zu unserer nationalen Identität und Kontinuität stehen. Täten wir es nicht – etwa in der Resignation, daß die Ära Hitler Deutschland und seine Geschichte doch unrettbar verunehrt und für immer zerbrochen habe –, dann wäre das nicht ein Akt der Buße, sondern nationaler Selbstmord. Hitlers verbrannter Erde würden wir die Verdorrung der nationalen Seele folgen lassen … Mit solchem Krampf ist weder Gott gedient noch seinen Menschen.“ (Eugen Gerstenmaier, evangelischer Theologe, während der NS-Zeit in der Bekennenden Kirche und im Widerstand, nach 1945 Mitbegründer der CDU, deren stellvertretender Bundesvorsitzender und Bundestagspräsident, 1965)

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Der Maler Arthur – eigentlich Egbert Paul – Kampf (1864–1950) gehörte zu den bedeutendsten Vertretern der sogenannten Düsseldorfer Schule. Seine Werke, vor allem die Historienbilder, wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hochgeschätzt. Das galt auch für die NS-Prominenz, und Hitler ließ Kampf während des Zweiten Weltkriegs auf die „Gottbegnadeten-Liste“ setzen. Das für sich genommen genügt heute, ihn als Unperson zu behandeln und jedenfalls mit allem Nachdruck die Umbenennung der Arthur-Kampf-Straße in Aachen zu verlangen. Einen hübschen Kontrapunkt setzt da die Entscheidung des britischen Premiers Rishi Sunak aus seiner Zeit als Schatzkanzler, in Downing Street 10 ein Bild Kampfs aufhängen zu lassen. Es trägt jetzt den Titel „Portrait of Cecil Arthur Tooke“ und zeigt einen britischen Matrosen in Uniform mit verschränkten Armen und entschlossenem Gesichtsausdruck, der dem Betrachter selbstbewußt entgegenschaut. Tooke war bei Kriegsbeginn 1914 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und wie andere Schicksalsgenossen von Kampf gemalt worden. Es ist nicht bekannt, was Sunak zu seiner Wahl bewogen hat, aber es könnte der Gedanke gewesen sein, hier komme jene Kraft und Entschlossenheit zum Ausdruck, die für den britischen Nationalgeist typisch sei.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 23. Juni in der JF-Ausgabe 26/23.