© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/23 / 09. Juni 2023

So überflüssig wie ein Kropf
Wirtschaftsliteratur: Der australische Politikprofessor John E. King wirbt für die Theorien des Postkeynesianismus / Verzerrte Wirklichkeit
Joachim Starbatty

Unter Postkeynesianismus versteht man, so erklärt John E. King, Emeritus der La Trobe University in Melbourne, eine Denk­richtung, die auf John Maynard Keynes’ Hauptwerk „Die Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ (1936) aufbaut und dessen Inhalt in spezifischer Weise interpretiert. Es lohnt sich daher, zunächst einmal einen Blick auf Keynes’ Allgemeine Theorie selbst und auf die hinter diesem Werk stehende Weltsicht zu werfen.

Die „Allgemeine Theorie“ ist im Zuge der großen Depression in den 1930er Jahren entstanden. Die damalige Massenarbeitslosigkeit ließ sich nicht über sinkende Löhne und den Einsatz der Geldpolitik beheben. Daher hat Keynes den Staat als „deus ex machina“ eingeführt, der über die Steuerung von Staatsausgaben und -einnahmen für Vollbeschäftigung sorgen sollte. Wenn die Gesamtnachfrage nicht hoch genug sei, die gesamtwirtschaftliche Kapazität auszuschöpfen, solle der Staat Maßnahmen ergreifen, die zwar Kaufkraft schaffen, aber nicht die wirtschaftliche Kapazität ausweiten.

Postkeynesianer wie King begrüßen Lohnsteigerungen, da diese die Gesamtnachfrage erhöhen. Sie plädieren für eine Stärkung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften und für stärker regulierte Arbeitsmärkte. Sie befürworten eine aggressive Lohnpolitik, da so Unternehmen zu produktivitätssteigernden Investitionen gezwungen würden. Firmen, die dazu nicht in der Lage wären, müßten dann solche Lohnsteigerungen entweder über steigende Preise an die Konsumenten weitergeben können oder den Gang zum Konkursrichter antreten.

Es erstaunt, daß die Postkeynesianer Joseph Schumpeters Kritik an Keynes ignoriert haben. Schumpeter sieht in Keynes’ Allgemeiner Theorie ein Konstrukt seiner spezifischen Weltsicht. Keynes hat diese bereits in seinem Essay „The End of Laissez-Faire“ (1925) skizziert. Die entscheidenden Determinanten in Keynes’ Welt sind:

• der sinkende Grenzhang zum Konsum – bei steigendem Einkommen steigt die Nachfrage nach Konsumgütern unterproportional,

• die Liquiditätsvorliebe – Zinsen können nicht unter das Niveau sinken, das für Vollbeschäftigung nötig wäre,

• die sinkende Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals – Investitionen von heute und morgen werfen geringere Erträge ab als frühere Investitionen.

Diese Determinanten hat Keynes nicht theoretisch abgeleitet; er hat sie als Setzungen seiner Allgemeinen Theorie vorgegeben. Wenn die Annahmen relativ sinkender Konsumneigung bei steigendem Einkommen und geringerer Produktivität zukünftiger Investitionen aus Keynes’ Konzept eliminiert werden, fällt es wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die Postkeynesianer haben diese Setzungen offensichtlich nicht empirisch überprüft. King merkt auch an, daß ihnen Schumpeters Figur des dynamischen Unternehmers fremd geblieben sei. Verständlich, denn sonst hätten sie ihre Weltsicht begraben müssen.

Daß die Postkeynesianer die Welt verzerrt wahrnehmen, zeigt auch Kings Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Buches. Darin attackiert er den „neuen Merkantilismus“ Deutschlands und sein exportgetriebenes Wachstumsmodell. Über eine Politik der Lohnzurückhaltung und eine so verbesserte internationale Wettbewerbsfähigkeit hole sich Deutschland Beschäftigung ins Land. Vor Einführung des Euro ist die D-Mark mehrfach aufgewertet worden. Nach seiner Einführung stiegen stattdessen die Exportüberschüsse. Ein Blick in die Außenhandelsstatistik hätte King aufklären können. Weil starke und schwache Länder zusammengebunden wurden, ist der Euro für die einen zu niedrig, für die anderen zu hoch bewertet. Die einen importieren Beschäftigung, die anderen exportieren sie.

Keynes hat in seiner Allgemeinen Theorie sogar eine Manipulation der Währung zur Hebung nationaler Beschäftigung empfohlen. Genau diese Form der „Beggar my Neighbour Policy“ ist die Konsequenz des Euro-Regimes. Die Klagen darüber sind im EU-Parlament zu hören: „Wir wollen unsere Jugend nicht auf dem Altar Europas opfern.“ Ein Postkeynesianismus, der an Keynes’ zeitgebundenem Konzept festhält und die wirtschaftliche Wirklichkeit verzerrt wahrnimmt, ist so überflüssig wie ein Kropf.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom. Er war Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und EU-Abgeordneter.

John E. King: Postkeynesianismus – Eine Einführung. Promedia Verlag, Wien 2022, broschiert, 240 Seiten, 22 Euro