© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/23 / 09. Juni 2023

„Klimagerechte Bauleitplanung“
Immobilienmarkt: Nur 295.300 statt 400.000 Wohnungen fertiggestellt / Stadtentwicklung ohne Einfamilienhäuser?
Marc Schmidt

Die Ansage war gewaltig: 400.000 neue Wohneinheiten pro Jahr, davon 100.000 Sozialwohnungen – das hat Olaf Scholz versprochen, allerdings noch als Kanzlerkandidat anläßlich des „Deutschen Mietertages“ im Wahljahr 2021. Auch im Ampel-Koalitionsvertrag sind auf Seite 88 diese Zahlen zu finden, sogar von „sozialer Eigenheimförderung“ und einer „Bau- und Investitionsoffensive“ ist dort die Rede. Doch all das waren falsche Versprechen: 2022 wurden nur 295.300 Wohnungen gebaut. Das waren lediglich 1.900 oder 0,6 Prozent mehr als 2021. 2020 wurden – trotz Corona-Krise – noch 306.400 neue Wohnungen fertiggestellt.

Und trotz anhaltendem Massenzuzug steht die Bauindustrie vor dem Kollaps. Steigende Zinsen, die grüne und geopolitische Inflation, die Verunsicherung der Bauherren über künftige Gebäudestandards und ein Fiasko bei den Förderzusagen der Staatsbank KfW haben zu einem um ein Fünftel geringeren Auftragseingang im Bauhauptgewerbe geführt. Seit Jahren erhöht die Politik auf Landes- und Kommunalebene – egal ob schwarz, rot oder grün geführt – die Anforderungen und Baustandards, was den Wohnungsbau am Stadtrand wie die Nachverdichtung in großen Städten erschwert. Als Begründung wird das Weltklima und die Reduzierung der Flächenversiegelung angeführt.

Entsprechend setzen immer mehr Kommunalpolitiker auf „planerische Elemente“ – zu Lasten von Bauindustrie und Familien. Bereits 2021 setzte der grüne Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord, Michael Werner-Boelz, sein Wahlversprechen von 2019 um und verhinderte durch Änderungsbeschlüsse den Neubau von Einfamilienhäusern in seinem Stadtbezirk. Hamburg-Nord hat 315.000 Einwohner, und deren jährlicher CO2-Ausstoß soll laut „Klimaschutzkonzept“ bis 2045 von 1,8 Millionen Tonnen auf unter 200.000 Tonnen sinken – unter anderem durch „Energetische Quartierskonzepte und die Beratung von Bauherr:innen“.

Das 280 Autobahnkilometer entfernte westfälische Münster hat zwar gleich viele Einwohner – aber mit 303 Quadratkilometern mehr als fünfmal soviel Fläche. Dennoch sollen auch hier faktisch keine Einfamilienhäuser mehr gebaut werden. Denn die Studentenstadt rief nach einer „Fridays for Future“-Kundgebung 2019 den „Klimanotstand“ aus – und das heißt: Bis 2030 soll „Klimaneutralität“ erreicht werden, die Treibhausgasemissionen müssen im Vergleich zu 1990 um 95 Prozent sinken. Dies sei „eine große Herausforderung“, gibt die Stadtverwaltung selbst zu.

Münster soll schon bis 2030

„klimaneutral“ gemacht werden

Dafür gehört Münster zu den „100 Climate-Neutral and Smart Cities“ der EU – zusammen mit Aachen, Dortmund, Dresden, Heidelberg, Frankfurt/Main, Leipzig, Mannheim und München. Passend dazu formulierte die Stadtverwaltung einen „Leitfaden klimagerechte Bauleitplanung“, der sich explizit gegen Einfamilienhäuser, aber auch Garagen positioniert. Und der neue Leitfaden sei nichts Besonderes, sondern er fände intern bereits seit Jahren in ähnlicher Form Anwendung. Die resultierenden Planungen für 13.200 Wohneinheiten würden auch 1.700 Einfamilienhäuser umfassen. Betrachtet man jedoch die verlangten Energiestandards und andere bauliche Anforderungen, dann wird schnell klar, daß der Bau von traditionellen Einfamilienhäusern durch Verwaltungsmaßnahmen verhindert werden soll. Konkret heißt es: „In neuen Wohngebieten werden in der Regel Mehrfamilienhäuser und nur untergeordnet Reihen- und Doppelhäuser und nur in besonderen Lagen freistehende Einfamilienhäuser geplant.“ Die Hinweise auf Ausnahmen, die sich auch aus den Planungszahlen ergeben, muß man hingegen sehr genau in Nebensätzen und Erläuterungen suchen.

Wie radikal die „Bauwende“ in Münster ist, zeigt sich in der Tatsache, daß in der Stadt 30.000 der insgesamt 55.000 Wohneinheiten Einfamilienhäuser sind. Der „klimagerechte Bauleitfaden“ wurde mit den Stimmen von Grünen, SPD und der EU-Partei Volt gefaßt, doch die CDU hat zugestimmt, Münster bis 2030 „klimaneutral“ zu machen. Das Dilemma der protestierenden christdemokratischen Ratspolitiker beginnt allerdings nur einige Meter weiter im Rathaus, in dem die Verwaltung den Beschluß umsetzen wird. CDU-Oberbürgermeister Markus Lewe, seit 2021 auch Präsident des Deutschen Städtetags, bekennt sich selbstverständlich zur „Klimaneutralität“.

Die schwarz-grüne Landesregierung will NRW zum „klimaneutralen Industrieland“ transformieren. Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) sieht deshalb kein Problem im Bauleitfaden, zumal Münster ein städtischer Raum sei. Die umliegenden Gemeinden weisen hingegen weiter Wohngebiete mit bis zu 100 Prozent Einfamilienhausanteil aus. Junge Familien mit mittlerem Einkommen müssen also aus Münster abwandern und pendeln, denn die Immobilienpreise und Mieten in der Studentenstadt sind für sie unerschwinglich.

Sozialer Aufstieg, Vermögensbildung, Wohlstand und Aufträge für die heimische Wirtschaft – all das war einst mit dem Einfamilienhaus verbunden. Doch 2022 wurden nur noch 77.100 Einfamilienhäuser fertiggestellt – 1.200 weniger als 2021. Die Zahl der Baugenehmigungen sank sogar um 16,8 Prozent. Dafür droht nun eine Renaissance der Hochhaussiedlungen der 70er Jahre, denn nur so kann der „Anteil der versiegelten Flächen“ bei wachsender Wohnbevölkerung auf „ein Minimum reduziert“ werden. Doch die unausweichlichen sozialen Probleme der Plattenbauten 2.0 („Modulares und serielles Bauen“) werden durch bessere Dämmung und Photovoltaik-Fassaden nicht verhindert.