© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/23 / 09. Juni 2023

Nancy bleibt beim Nein
Illegale Einwanderung: Im Streit um stationäre Kontrollen an der Grenze zu Polen bleiben die Fronten verhärtet
Paul Leonhard

Es bleibt beim Nein. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) weigert sich weiterhin, an den deutschen Außengrenzen stationäre Einreisekontrollen einzuführen. Eine Ausnahme bilden bisher die Übergänge nach Österreich. Faeser stemmt sich damit gegen das, was ihre Kollegen in den betroffenen Ländern nachdrücklich fordern. „Wir haben keine Maßnahme der Bundesregierung, die gegen Schleuser Wirkung zeigt“, konstatiert Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) einen Monat nach dem Flüchtlingsgipfel. Der Politiker, einst selbst Grenzschutzbeamter und Leiter der Bundespolizei in Weil am Rhein an der deutsch-schweizerischen Grenze, hält aus eigener Erfahrung stationäre Kontrollen am Schlagbaum nur für die Ultima ratio, nicht die beste, sondern die letztmögliche Lösung. 

Noch deutlicher wird AfD-Innenpolitiker Gottfried Curio, der nicht nur Kontrollen an allen deutschen Grenzen verlangt, sondern vor allem mehr Zurückweisungen. Auch dürften „nicht wie bei der Schleierfahndung zahllose Schlupflöcher gelassen werden, auch die grüne Grenze muß überwacht werden“.

Zum Alltag der Polizeidirektionen und Bundespolizeiinspektionen entlang von Oder und Neiße gehören Meldungen wie diese aus der vergangenen Woche: Da entdeckten Zöllner im verschlossenen Laderaum eines in Tschechien zugelassenen Kleintransporters, dessen Fahrer sich mit einem weißrussischen Paß auswies, sieben Erwachsene und vier Kinder im Alter von einem bis sechs Jahren, allesamt Syrer. Am selben Tag wurden im Bereich der Bundespolizeiinspektion Ludwigsdorf weitere zehn Syrer aufgegriffen. Einen Tag später schleuste „eine 25jährige Ukrainerin in den frühen Morgenstunden einen Iraner und zwei Afghanen über die Fußgängerbrücke in Deschka“ im Landkreis Görlitz ein. Beamte der Bundesbereitschaftspolizei hatten die vier Personen beobachtet. Die Ukrainerin wurde mit einer vierjährigen Wiedereinreisesperre versehen und nach Polen zurückgeschoben, die drei Männer an eine Erstaufnahmeeinrichtung weitergeleitet. Der einen Tag zuvor festgenommene Weißrusse kam in Untersuchungshaft, die von ihm Geschleusten  ebenfalls in die Erstaufnahme. Die Schleuserorganisationen erreichen also in jedem Fall ihr Ziel. „Durch die Schleierfahndungen macht Innenministerin Faeser die Bundespolizei zu einem uniformierten Begrüßungskomitee, das illegal eingereiste Personen nur zu Erstaufnahmeeinrichtungen bringt“, kritisierte Brandenburgs CDU-Chef Jan Redmann.

Die Kontrolldichte im Grenzgebiet zu Polen ist besonders groß. Bundespolizei, Landespolizei und Beamte der örtlichen Reviere sind hier im Einsatz. Dazu kommen Zollbeamte und diverse „Unterstützungskräfte“ und in Ostsachsen die Schüler der sächsischen Polizeifachhochschule, die hier den praktischen Einsatz üben, sowie deutsch-polnische Streifen. Entlang der Autobahn 4 sind aufgedeckte Schleusungen nur ein Mitnahmeeffekt der Kontrollen durch die Verkehrspolizei und den Zoll. „An manchen Ecken des Freistaates wurde die Bundespolizei bereits in einem solchen Maße aufgestockt, daß ohnehin kaum noch von bloßer Schleierfahndung die Rede sein könne“, so der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel, selbst Polizist. „Notwendig und konsequent sei der Schritt zu festen Grenzkontrollen.“

Es schmerze „im 38. Jahr des Schengen-Raums wieder Binnengrenzkontrollen fordern zu müssen“, meinte die Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz. „Solange aber die EU-Außengrenzen nicht wirksam genug geschützt sind und die Zahl illegaler Einreisen nach Deutschland so hoch ist wie jetzt, braucht es konsequente Maßnahmen, um die Entwicklung zu stoppen“. 

Ein Beschluß beim Migrationsgipfel im Kanzleramt Anfang Mai hatte vorgesehen, daß der Bund „lageabhängig das im Verhältnis zu Österreich bestehende Grenzsicherungskonzept auch an anderen Binnengrenzen Deutschlands etablieren“ könne. Dies sei dann die „allerletzte Reaktionsmöglichkeit“, für die eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit Voraussetzung sei. Das Migrationsgeschehen entlang von Oder und Neiße sei aber „bislang schwankend“ und liege erst seit Ende Februar über jenem an der Landesgrenze zu Österreich, meint Faeser einschränkend. Auch sei es gelungen, an der Grenze zu Tschechien ohne stationäre Kontrollen allein durch den Einsatz von mehr Beamten die sehr hohen Migrationszahlen zu senken. Dagegen würden Grenzkontrollen an Oder und Neiße die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen „massiv stören“, argumentiert die Bundesinnenministerin. Auch seien hier die wirtschaftlichen Verflechtungen viel enger als an der Grenze zu Österreich. 

„Bin maßlos enttäuscht 

von Faesers Ablehnung“

Sachsens Innenminister hält Faeser entgegen, daß die Zahl der unerlaubten Einreisen an der polnischen Grenze die an der Grenze zu Österreich nahezu um das Doppelte übersteige und die „migrationsstärksten Monate“ jetzt erst beginnen würden. Deswegen sei die Einführung von Kontrollen an der polnischen Grenze unvermeidlich. „Wir haben in jeder Beziehung eine Ultima-ratio-Lage, der Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler ist für diese Lage sehr klar und richtig“, so Schuster gegenüber der dpa: „Die Zahl von 15.000 Zurückweisungen 2022 an der bayerisch-österreichischen Landesgrenze zeigt die Wirksamkeit von Kontrollen.“

Davon ist auch der Chef der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, überzeugt: „Durch die Einführung stationärer Grenzkontrollen hätte die Bundespolizei die Möglichkeit, direkt an der Grenze zurückzuweisen“, sagte er der Bild-Zeitung. Diese Möglichkeit bestehe rechtlich „bei einer verstärkten Schleierfahndung“ nicht. Dabei denkt nicht einmal Sachsen an „Vollkontrollen“, sondern lediglich Stichproben aus dem fließenden Verkehr heraus, wenn bei Fahrzeugen „Verdacht auf Schleusung und illegalen Grenzübertritt bestehe“, unterstreicht Sachsens Ressortverantwortlicher Schuster.

Daß Faeser die Situation an der Ostgrenze noch nicht für dramatisch genug hält, um Kontrollen zu genehmigen, empört viele Bürgermeister der Grenzstädte. „Ich bin maßlos enttäuscht von dieser Ablehnung“, sagte Fred Mahro, CDU-Bürgermeister der geteilten Stadt Guben in Brandenburg. Die Bundesinnenministerin solle mal in seinen Ort kommen, wo die Wiedereinführung von Kontrollen sowie eine wirksamere Bestrafung gefaßter Schleuser schon seit 2011 gefordert wird, und sich die Situation dort anschauen: „Vielleicht überzeugt sie das dann.“