© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/23 / 02. Juni 2023

Das ewig umstrittene Prinzip
Am 3. Juni 1953 beschloß der Bundestag das System des föderalen Länderfinanzausgleichs
Paul Leonhard

Das Solidaritätsprinzip hat in Deutschland Verfassungsrang. Schon in seiner ursprünglichen Fassung von 1949 forderte das Grundgesetz eine aufgabengerechte und die „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ wahrende Finanzausstattung der Länder. Die Begrifflichkeit hat sich mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 und der Verfassungsreform 1994 verändert – aktuell ist von der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ die Rede – aber das Grundprinzip hat Bestand: Die reichen Länder müssen von ihren Einnahmen an die ärmeren etwas abgeben.

Ziel ist es, in Deutschland „ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben“, heißt es im Raumordnungsgesetz. Diese Aufgaben seien gleichermaßen in Ballungsräumen wie in ländlichen Räumen zu erfüllen. Unterschiedliche Regierungskoalitionen versuchten seit 1949 auf Länder- und Bundesebene auf den geforderten Ausgleich räumlicher und struktureller Ungleichgewichte hinzuwirken. So hatten es mitunter die Geberländer satt, aus ihrer Sicht schlecht wirtschaftende Bundesländer dauerhaft zu alimentieren, andererseits klagten die Leistungsschwachen auf mehr Zuwendungen.

Am 3. Juni 1953 verabschiedete der Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Wie umstritten dieses war, beweist nicht zuletzt das holprige Gesetzgebungsverfahren, das erst anderthalb Jahre später und nach Anrufen des Vermittlungsaussschusses am 3. Dezember 1954 durch den Bundesrat abgesegnet werden konnte. Immer wieder wurde der Länderfinanzausgleich von der Politik nachjustiert.Selbst das Bundesverfassungsgericht wurde mehrfach bemüht. Aktuell ist es Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der angekündigt hat, noch im ersten Halbjahr 2023 eine weitere Klage gegen den Länderfinanzausgleich einzureichen.

Vier Verfahren gegen den Finanzausgleich wurden bisher vom Bundesverfassungsgericht entschieden. Den Auftakt machte Baden-Württemberg – im Gegensatz zu Bayern schon immer Geberland und noch nie in den Genuß von Ausgleichszahlungen gekommen, dafür aber einst der große Profiteur aus der Teilung Deutschlands und der Abwanderung zahlreicher Konzerne aus Berlin und der sowjetisch besetzten Zone. Aber die Richter folgten 1952 nicht der Argumentation aus Stuttgart, daß nur Bundeszuschüsse vom Grundgesetz gedeckt seien, sondern erklärten den horizontalen Finanzausgleich, also die Zahlungen zwischen den Ländern zur Angleichung der Lebensverhältnisse, als mit dem Grundgesetz vereinbar: In welcher Intensität der Finanzausgleich unter den Ländern ausgeübt wird, sei eine finanzpolitische und keine verfassungsrechtliche Frage; sie entziehe sich mithin der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht. 

Sieht Artikel 107 des Grundgesetzes vor, daß „durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf“, sichergestellt wird, „daß die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen“, so war ebendieses Gesetz 1986 Gegenstand einer erfolgreichen Klage vor den Karlsruher Richtern. Diese akzeptierten zwar die „Einwohnerveredlung“, mit der die Sonderlasten der Küstenländer mit ihren Häfen und die der Stadtstaaten ausgeglichen wurden, erklärten aber den geltenden Länderfinanzausgleich für nicht verfassungskonform.

„Aus arm darf nicht reich werden und umgekehrt“

Aus ihrer Sicht waren bergrechtliche Förder- und Spielbankabgaben bei der Bemessung der Finanzkraft der Länder ebensowenig berücksichtigt wie die Grunderwerbs- und Feuerschutzsteuer. Erneut korrigierte die Politik. Allerdings landete das neue Gesetz kurz darauf erneut auf dem Klageweg in Karlsruhe. Diesmal auf Betreiben der Stadtstaaten Bremen und Hamburgs sowie Schleswig-Holsteins und des Saarlands; die einen verlangten einen günstigeren Einwohnerschlüssel für sich, die anderen wollten die schwache Finanzkraft ihrer Gemeinden stärker berücksichtigt sehen. Beides wurde 1992 abgelehnt.

 Nach der Wiedervereinigung beschäftigten sich die Bundesverfassungsrichter dann noch einmal mit Grundgesetz und Länderfinanzausgleich. Jetzt sollte ein neues Maßstäbegesetz grundlegend regeln, wie das Umsatzsteueraufkommen und die Bundesergänzungszuweisungen verteilt werden sollen.

 Anlaß war eine Klage der drei Geberländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, denen das System aus wenigen Zahlern und vielen Empfängern mißfiel und die den Nehmerländern am liebsten vorschreiben wollten, was diese mit den erhaltenen Ausgleichszahlungen zu finanzieren haben – und vor allem was nicht. „Der Finanzausgleich ist leistungsfeindlich, ungerecht und erfüllt nicht seine Funktion als Hilfe zur Stärkung der Eigenständigkeit“, hieß es 2011 in einer Kabinettsvorlage in Wiesbaden. Daß die Leistungsfähigkeit der Geberländer entscheidet geschwächt wird, verbietet aber das Maßstäbegesetz. Auch eine Nivellierung der Finanzkraft der Länder ist ausgeschlossen, was bedeutet, daß auch nach Finanzausgleich finanzstärkere Länder höhere Einnahmen aufweisen als der Länderdurchschnitt. Der Vorwurf aus Wiesbaden lautete, daß Hessen als Bundesland mit dem pro Kopf höchsten Wirtschaftseinkommen Deutschlands wegen des Länderfinanzausgleichs das nötige Geld entzogen werde, um „seine Infrastrukturvoraussetzungen, was Straßenbau, Schienenwege und anderes angeht“, zu unterhalten und auszubauen, um auch künftig „dieses Wachstum, diese wirtschaftlichen Zahlen zu generieren“. Tatsächlich hat Hessen innerhalb von 28 Jahren (einschließlich 2022) 58 Milliarden Euro gezahlt. 

2013 waren es schließlich Bayern und Hessen, die eine Klage gegen den Länderfinanzausgleich einreichten, diese aber nach der Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern 2017 zurückzogen. Die Neuregelung sieht vor, daß der gesamte den Ländern zustehende Anteil von 50,5 Prozent an den bundesweiten Umsatzsteuereinnahmen, 2022 waren das knapp 144 Milliarden Euro, in einem zentralen Topf landet. Das Geld wird dann entsprechend der Einwohnerzahl an die Länder verteilt. Allerdings gibt es dabei Zu- und Abschläge, die von der Finanzkraft der Länder abhängig sind, 2022 waren es insgesamt 18,5 Milliarden Euro. Überdies erhielten leistungsschwache Länder 2022 über Bundesergänzungszuweisungen weitere 9,9 Milliarden Euro.

Oberster Sachwalter des Finanzausgleichs ist dabei der Bund. Die Finanzministerien und Rechnungshöfe der 16 Länder begleiten und überprüfen allerdings laufend die Einhaltung der aktuellen gesetzlichen Regelungen. Dabei gilt: Die Ausgleichsleistungen dienen allein der Angleichung der unterschiedlichen Finanzkraft und sind nicht zweckgebunden. Jedes Land ist also frei, sie nach eigenen Prioritäten auszugeben.

 Obwohl der Finanzausgleich den Geberländern große Teile ihrer Steuermehreinnahmen beläßt und überdurchschnittliche Steuerzuwächse sogar mit einer Prämie belohnt, hält es Bayern-Premier Söder für „einfach nur noch unfair und ungerecht“, daß fünf Geberländer den elf finanzschwächeren Bundesländern 2022 18,5 Milliarden Euro zahlen mußten, Bayern allein 9,9 Milliarden. Eine Neugestaltung des Finanzausgleichs fordert auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein und erwägt als letzte Option im Falle des Scheiterns der Verhandlungen wie Söder den Gang nach Karlsruhe. Allerdings hat Karlsruhe mehrfach betont, daß „es Sache der Politik ist, wie sehr man die Finanzkraft der Länder annähert“, so Stefan Korioth, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der LMU München, gegenüber BR24: „Das Bundesverfassungsgericht hat immer gesagt: Wie stark Umverteilung stattfindet, ist eine politische Entscheidung. Wir schauen nur auf die äußersten Grenzen. Aus arm darf nicht reich werden und umgekehrt.“