Zu Elon Musk scheint es kaum mehr als zwei Meinungen zu geben: Die einen feiern ihn als technischen Visionär und Verfechter von Redefreiheit, die anderen verurteilen ihn als machthungrigen Egozentriker. Nicht allein deshalb sorgte er in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen. Zukünftig möchte er nicht nur seinen Posten als CEO bei Twitter abgeben, sondern auch sein soziales Netzwerk als Plattform für die politischen Wahlkämpfe der nächsten Jahre in Stellung bringen. Dafür knüpft er Kontakte mit der konservativen politischen Elite und unterstreicht seine Rolle als Vorkämpfer der Meinungsfreiheit. Doch wie steht es um die Zukunft des vielkritisierten Unternehmens und seines Besitzers?
Neue Kooperationen mit Politikern und Moderatoren
Zu verkünden hatte der 51jährige Milliardär in letzter Zeit jedenfalls genug. Bereits vor zwei Wochen bestätigte er auf Twitter, daß er eine Nachfolgerin für seinen Posten als CEO gefunden hat. Mit Linda Yaccarino wird eine erfahrene Werbemanagerin in seine Fußstapfen treten und künftig den operativen Bereich des Unternehmens leiten. Damit hat sie auch die Aufgabe, Partner an das Unternehmen zu binden, die der polarisierenden Führungsperson Musk bisher nicht viel Sympathie entgegenbringen. Dieser hat nun ein anderes Aufgabengebiet: Mit dem Rückzug ließ er ebenso verlauten, sich nun auf den technischen Bereich, bestehend aus Produktverbesserung und Softwareoptimierung, zu kümmern. Die Frage, wie viel tatsächliches Mitspracherecht er der neuen Chefin überläßt, birgt Zündstoff. Für mehr Schlagzeilen als die Nachfolge sorgt aber ohnehin das politische Treiben des gebürtigen Südafrikaners.
In der vergangenen Woche verkündete der republikanische Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, seine Kandidatur für das US-Präsidentenamt live auf Twitter. Zwar brach die Sendung aufgrund von überlasteten Servern wieder ab, dennoch wollten sich zwischenzeitlich über 600.000 Menschen die Übertragung ansehen. Mit von der Partie war auch Musk selbst, für den die Ankündigung ein neues Zeitalter seiner Plattform anstoßen könnte. Denn wenn es nach ihm geht, spielt das soziale Medium bald eine immer größere Rolle im Wahlkampf: „Ich bin daran interessiert, daß Twitter ein öffentlicher Platz ist, wo mehr und mehr Organisationen ihre Inhalte und Ankündigungen verbreiten“, sagte er in einem Interview mit dem Wall Street Journal. Für dieses Ziel, Twitter zum zentralen Sendemedium großer Unternehmen und Privatpersonen zu machen, hat er nun gut vorgelegt. DeSantis’ Ankündigung ignoriert in bisher nie dagewesener Weise das vermeintliche Monopol linearer Medien wie Fox News.
Damit läßt sich der konservative US-Politiker ausgerechnet mit dem Netzwerk ein, das eine Vielzahl seiner Parteikollegen in den vergangenen Jahren konsequent gemieden hat. Der Vorwurf lautete lange Zeit: Zensur. Doch Musk gibt sich weit liberaler als seine Vorgänger und pocht seit seiner Übernahme auf ein Höchstmaß an Meinungsfreiheit auf der Plattform. Nun will Twitter sogar den EU-Verhaltenskodex gegen Desinformation verlassen, wie EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton jüngst berichtete. Musk setzt auf die Eigenverantwortung seiner Nutzer statt auf Bevormundung, Accountsperren und Überwachung. Öffentlichkeitswirksam schaltete er deshalb die Profile prominenter Nutzer wie Donald Trump, der Republikanerin Marjorie Taylor Greene oder Kanye West wieder frei. Zwar wird ihm von Kritikerseite angekreidet, daß er selbst Konten und Inhalte sperre, die ihn ins Fadenkreuz nehmen. Dennoch scheint – womöglich auch durch die höhere Toleranz – immerhin die konservative Politblase gerade einen zweiten Frühling auf der Plattform zu erleben.
Anfang Mai kündigte auch der ehemalige Fox-Moderator Tucker Carlson an, schon bald seine Sendung auf Twitter zu lancieren. Er bezeichnete das Medium in einem Video auf seiner Seite gar als „die letzte große verbleibende“ Plattform der Welt, die freie Meinungsäußerung zuläßt. Gleichzeitig schoß er gegen linksliberale Mainstreammedien wie die New York Times. „Twitter ist keine Parteiseite. Hier ist jeder willkommen. Und das finden wir gut“, heißt es weiter. Sympathie findet das Netzwerk auch bei der konservativen Nachrichtenseite The Daily Wire. Seit dem 30. Mai sind alle Podcast-Inhalte des Mediums von Gründer Ben Shapiro auch bei Musk zu hören.
„Wenn Elon Musk zu seiner Ankündigung steht, Twitter zu einem Zuhause für Meinungsfreiheit zu machen, und Monetarisierungsmöglichkeiten sowie durchdachte Analysen für Inhalteproduzenten liefert, dann kann ich mir vorstellen, daß wir mehr in die Plattform investieren“, sagte Daily Wire Co-CEO Jeremy Boreing erst kürzlich in einem Statement.
Damit legt Musks Plan, wichtige Akteure auf seine Plattform zu holen, einen guten Auftakt hin. Bisher jedoch nur einen einseitigen. Während einige bereits befürchten, Twitter könnte zu einem zweiten Fox News heranwachsen, ist der konservative Ausschlag der letzten Wochen durch die Vielzahl an frischen Akteuren tatsächlich zu spüren. Musk selbst positioniert sich dabei in seiner Rolle als Moderator und Vermittler, dem lediglich die Meinungsfreiheit am Herzen liegt. Neutral ist er dabei jedoch nicht. Denn er teilt gemeinsame Feindbilder mit den Konservativen. Auch deshalb thematisiert Musks kleine Talkrunde mit DeSantis Themen wie die Zensur der Mainstreammedien oder die Regierungspolitik Joe Bidens. Des weiteren gab er bereits 2022 gegenüber Tesla Owners of Silicon Valley an, politisch zu DeSantis zu tendieren. Musks Imperium als Wahlkampfhilfe? Daß Polit-Akteure längst nicht mehr nur auf Fernsehsender wie Fox angewiesen sind, hat bereits Donald Trump mit Bravour bewiesen. Warum also sollte nicht auch DeSantis diesem Beispiel folgen?
Trotz Kritik ist der Dienst weiterhin der „place to be“
Mit dem Einsatz für Konservative und die konsequente Meinungsfreiheit macht sich der Twitter-Eigentümer nicht nur Freunde. Immer wieder erreicht den Unternehmer Gegenwind von Links. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser twitterte, nachdem bekannt wurde, daß die Plattform den EU-Verhaltenskodex verlassen möchte: „Desinformation, Lügen und Propaganda befeuern Haß und sind Gift für die Demokratie.“ Gebracht haben diese Angriffe in den vergangenen Monaten jedoch wenig. Nachdem auch hierzulande nach der Übernahme linke Meinungsmacher großzügig ankündigten, von nun an zur Plattform Mastodon zu wechseln, blieb dennoch der Großteil der Nutzer. Denn: Um Öffentlichkeit und Reichweite im politischen Milieu zu generieren, ist Twitter noch immer der „place to be“.
Das spricht für den möglichen Erfolg von Musk und seinen Plänen – ob kritisch beäugt oder nicht. Häufig trifft er Entscheidungen scheinbar auch danach, was gerade opportun für seine Unternehmen ist. Ob am Ende tatsächlich eine Plattform dabei herauskommt, die politische und mediale Vielfalt widerspiegelt, oder doch Fox News 2.0, kann für den Unternehmer zweitrangig sein – sein Einfluß und seine Macht erhöhen sich in jedem Fall. Am Ende ist Musk damit also vielleicht beides, machthungrig und visionär.