Ein junger Mann allein in einem bescheiden eingerichteten Hotelzimmer. Er klappt seinen tragbaren Computer auf und verabredet sich telefonisch mit Freunden. Schon die ersten Szenen des Films von Dustin Guy Defa machen deutlich: Dem Regisseur geht es nicht um spektakuläre Gesten und malerische Kulissen, sondern um die sorgfältige Beobachtung von Alltagsmomenten.
Die Geschwister fallen in Kindheitsmuster zurück
Die Tragikomödie „The Adults“ handelt – nicht gerade ein neues Thema im zeitgenössischen amerikanischen Kino – von einer Heimkehr an eine Kindheitsstätte. Es geht um alte Verbindungen und Verletzungen, um Unaufgeräumtes, das die Hauptfigur dort zurückgelassen hat. Diese Hauptfigur ist Eric (Michael Cera), ein begnadeter Zocker, ein Vabanquespieler, der wegen eines Besuchs bei Freunden in das amerikanische Provinznest Saugerties im Bundesstaat New York zurückgekehrt ist und sich schließlich wegen seiner Pokerleidenschaft in die falschen Kreise und sogar in tödliche Gefahr begibt.
Vor allem geht es in „The Adults“ aber um Erics Beziehung zu seinen beiden Schwestern. Die ältere, Rachel (Hannah Gross), lebt nach der Trennung von ihrem Lebensabschnittsgefährten allein in der Kleinstadtvilla, die sie von ihrer verstorbenen Mutter übernommen hat. Glücklich wirkt sie nicht. Maggie (Sophia Lillis), das Nesthäkchen, hat gerade ihr Studium geschmissen und bastelt jetzt an einer neuen Karriere.
Eric war für die beiden jungen Frauen, die ohne Vater aufwuchsen, eine wichtige Bezugsperson, sein Fortgang für beide schmerzlich. Und daß Eric gleich am nächsten Tag wieder abzureisen gedenkt, ist für die Schwestern eine unausgesprochene Kränkung. Nach Erics Ankunft offenbart sich rasch, daß es zwischen ihm und Rachel Spannungen gibt. Ob das schon alles sei, diese halbherzige Umarmung, provoziert die dunkelhaarige Endzwanzigerin ihren Bruder bereits bei der Begrüßung vor dem Haus.
Von Panikattacken gebeutelte Heldinnen des Alltags
Bei einem Spaziergang enthüllt sie ihm, daß alle weiblichen Familienmitglieder, die verstorbene Mutter, Maggie und Rachel selbst, mit Panikattacken zu kämpfen gehabt hätten. Da die drei Geschwister mit den Rollen, die sie als Erwachsene spielen müssen, Schwierigkeiten haben, fallen sie in die Rollenspiele ihrer Kindheit zurück und beginnen wie einst als Kinder mit verstellten Stimmen zu sprechen. Aber läßt sich so das verlorene Paradies zurückholen?
Dustin Guy Defa ist mit seinem herbstlich-kühl inszenierten Drama nach eigenem Drehbuch ein eindringliches Familienporträt gelungen, das in der Kargheit der Bilder, der Kühle des Tons und der Schroffheit der Umgangsformen an unabhängige Produktionen wie „Junikäfer“ (2005) oder „Winter’s Bone“ (2010) erinnert, die ganz bewußt die Kulissen und Charaktere des provinziellen Amerika ausleuchten. Hier stößt man auf Lebensläufe, die von der Glitzerwelt der schillernden Metropolen und dem Leuchten in den Augen der Yuppies keinen Schimmer haben. Rachel und Maggie sind keine privilegierten Macherinnen wie Michelle Obama oder Kamala Harris, keine selbstbewußten Lichtgestalten der Unterhaltungsindustrie wie Lady Gaga oder Katy Perry, mit denen der Medienkonsument die klassische Amerikanerin gern verwechselt. Sie sind verunsicherte, von Verletzungen und Verlusten traumatisierte, von Selbstbewußtseinskrisen und Panikattacken gebeutelte Heldinnen des Alltags, die einen starken Mann an ihrer Seite fast so dringend benötigen wie die Luft zum Atmen. Um zu gedeihen, sind sie auf heile familiäre Strukturen angewiesen. Damit verrät „The Adults“ weit mehr über die Frauen in den USA der Gegenwart als diejenigen, die die Schlagzeilen bestimmen.
„The Adults“ ist ein intensiver Blick in Amerikas verwundete Seele.
Kinostart ist am 8. Juni 2023