Die Idee eines von der Arbeit befreiten Lebens gehört zur Geschichte der Menschen. So wurde Arbeit in fast allen Epochen außer der Neuzeit als Fluch und Einschränkung der menschlichen Freiheit aufgefaßt. Denn der Mensch als das Wesen, das denkt und spricht, findet erst zu seiner wahren Bestimmung, wenn er den Zwängen der Notwendigkeit dauerhaft entrückt ist oder sich zumindest zeitweise im Fest in der Gemeinschaft mit anderen über den niederdrückenden Alltag zu erheben vermag.
In dem Wunsch, die Arbeitszeit nur noch auf vier Tage in der Woche zu begrenzen, über den jetzt wieder lebhaft diskutiert wird, bekundet sich keineswegs ein unmoralischer Leichtsinn verantwortungsloser Egoisten. Er steht im Zusammenhang mit einer Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert, Menschen nicht mehr vorzugsweise als Menschenmaterial, als Humanressource oder als liquide Biomasse für Zwecke zu verwerten, die nichts mit ihm und seiner besonderen Würde zu tun haben, nämlich Person zu sein und nicht ein Nutztier.
Noch nie wurde so viel gearbeitet wie seit der sogenannten industriellen Revolution. Deren sittliche Rechtfertigung sollte über eine Moralisierung der Arbeit erreicht werden. Der Mensch ist das Wesen, das arbeitet, wie es jetzt im Gegensatz zu allen früheren Epochen hieß. Arbeit macht das Leben süß, sie macht frei und ist des Bürgers Zierde. Wer rastet, der rostet, genug ist nicht genug in einer Arbeitsgesellschaft, in der selbst Dichter und Denker zu Geistesarbeitern und bezahlten Lohnarbeitern wurden, die sich im gesellschaftlichen Großbetrieb nützlich machten. Als Arbeiter findet jeder sein Glück darin, sich freudig abzumühen, Lasten zu schultern und als Leistungsträger von seinen Vorgesetzten und Arbeitgebern anerkannt zu werden. Der Arbeitsscheue verdiente hingegen nur Abscheu, erregte nur Empörung oder Trauer, die Menschenfreunde dazu veranlaßte, Faulpelzen in Arbeitshäusern und Strafanstalten Moral beizubringen.
Moral bedeutete, nicht weiter im Müßiggang das Leben nutzlos zu vergeuden und schändliche Genüsse zu suchen, die seiner Gesundheit schaden und ihn vollends unbrauchbar und zur gesellschaftlichen Last machen. Wer trinkt, hurt, mit seinem Schifferklavier zum Tanz aufspielt, verfehlt den Sinn seines Lebens in einer Verantwortungsgemeinschaft. Er wird zur sozialen Gefahr, weil er andere dazu verleitet, sich in Laster zu stürzen, statt im Schlaf neue Kraft zu finden, um am Morgen wieder im Produktionsprozeß präzise zu funktionieren.
Also mußten Müßiggänger erst recht zur Disziplin erzogen werden und lernen, nicht unvernünftigen Launen nachzugeben, sondern sich als Arbeitskraft zu verstehen und mit diesem wertvollen Gut sorgsam umzugehen. Hochanständige Unternehmer und moralisch aufgerüstete Politiker beschworen Katastrophen für den Wirtschaftsstandort, den Export oder die Qualität deutscher Wertarbeit, sobald Wünsche nach Sonntagsruhe oder mehr Erholungszeiten nach der Arbeit laut wurden.
Dennoch blieben auch die Verfechter solch dreister Forderungen dem „Arbeitsethos“ verhaftet, weil sie davon überzeugt waren, daß Arbeit die einzig ehrbare Voraussetzung dafür ist, berechtigterweise danach zu streben, die Fesseln des Arbeitszwanges wenigstens zu lockern. Daran hat sich nichts geändert. Arbeit ist weiterhin die Voraussetzung für den Anspruch auf arbeitsfreie Zeit, auf Freizeit.
Dieser verräterische Begriff weist darauf hin, daß während der Arbeit keiner frei ist und sein kann, weil er sich in Strukturen und Systeme eingliedern muß, ohne die seine Tätigkeiten ineffizient wären. Brauchbar und nützlich ist nur, wer sich als berechenbares und einsatzfähiges Element in einer rationalisierten und mechanisierten Arbeitswelt von Computern und Robotern den notwendigen Arbeitsabläufen anpaßt und sie nicht als irrtumsanfälliger, menschlicher Faktor durcheinanderbringt. Der Mensch als Bruchstück, ewig nur das Geräusch des Rades im Ohr, das er umtreibt, gelangt nicht zur Harmonie seines Wesens, sondern bleibt immer nur Ausdruck seines Geschäfts. So beschrieb Friedrich von Schiller in seiner Freiheitsschrift zur ästhetischen Erziehung 1794 die Entfremdung während der Arbeit als „Schlachtopfer des Fleißes“.
Er argumentierte nicht als freischwebender Schöngeist. Er hielt in alter Tradition daran fest, daß der Mensch Muße brauche, also Ruhe fern der Arbeitszeit mit ihren Sachzwängen, um zur Freiheit zu gelangen, zur Seelenschönheit umfassender Selbständigkeit, die ihm seine ganz persönliche Anmut und Würde verleihen. Antike Philosophen oder anschließend Christen kamen nie auf den Gedanken, daß Arbeit adle. Sie ist ein Fluch und bestätigt die Unzulänglichkeit der menschlichen Natur, ohne körperliche Anstrengungen und niedere Tätigkeiten gar nicht überleben zu können.
Deshalb muß der Mensch sich selber überwinden. Er soll möglichst alles allzu Menschliche, alles enge und ihn Beengende, hinter sich lassen, immer bemüht, sich zu vervollkommnen und sich Gott als dessen Ebenbild anzunähern, der sich im Glanze seiner Wahrheit voller Schönheit offenbart. Der homo ludens, der spielende und zwecklos schaffende Mensch, erweist sich als der wahre Mensch, nicht der homo faber, der dem Nutzen verpflichtet ist und damit niedrigen Absichten, seinen Vorteil im Nachteil des anderen zu suchen, um Erfolg zu haben, worin der Ruhm des kleinen Mannes besteht.
Otium, nachdenkliche Besonnenheit und Weltklugheit, nicht negotium, die stets aufregende und vom Augenblick abhängige Betriebsamkeit, standen im Mittelpunkt aller Überlegungen, die es auch mit dem Wettbewerb, aber nicht mit geschäftlicher Konkurrenz zu tun hatten, sondern mit der Aufgabe, beim Wettlauf um eine herzbezwingende Lebensart mit ihrer schwerelosen Eleganz Beifall, ja Bewunderung einzuheimsen. Dieses anspruchsvolle Ziel ließ sich nicht ohne Mut, Kraft, Ausdauer und Klugheit erreichen. Anerkennung und Ruhm – applausi festivi – wurden im festlichen Rahmen jedem zuteil, der mit beispielhaften und schönen Taten beides sich verdient hatte. Die Gesellschaft war keine Arbeitsgesellschaft und dachte an keine handgreiflichen Leistungen, die sich lohnen müssen. Ihren Sinn empfing sie aus der Feier und dem Fest. Der Feierabend verlieh dem Tag voller Mühen seine Bedeutung. Am Feiertag versicherte sich die Gemeinschaft der Grundsätze und Wahrheiten, die eine öffentliche Ordnung gewährleisteten und das Zusammenleben der jeweiligen Einzelnen mit den vielen Anderen erleichterte.
Leben als Zusammenleben ist immer dramatisch. Der Feiertag veranschaulichte, daß, trotz aller Täuschungen und Zumutungen in dieser unzuverlässigen Welt, der Mensch nicht verzagen mußte und sich hier eine Heimat schaffen konnte, die eine Vorahnung auf die wahre Heimat bei Gott ist. Im Mittelalter und in den katholisch gebliebenen Ländern gab es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts rund 120 Feiertage neben den Sonntagen. Hinzu kamen die weltlichen Feiertage im Zusammenhang mit der Dynastie, mit Siegesfeiern oder mit Freuden schenkendem Faschingstreiben, der frohen Begrüßung des Wonnemonats Mai oder dem Dank für gute Ernten. Es gab dauernd einen Grund zum Feiern, und damit zu Spiel, öffentlichen Lustbarkeiten mit viel Speis und Trank und den dazu gehörenden, oft recht unbekümmerten erotischen Verspieltheiten. In der Residenz der Herrscher war wegen der aufwendigen Zeremonien und der prächtigen Ausgestaltung des gesamten Tagesablaufes das Leben zu einem Dasein in Freude erhoben.
Das Kirchenjahr mit seiner Abfolge von Festen mahnte jeden Sonntag die Trübsinnigen, alle Sorgen abzuschütteln und sich der Freude nicht zu verschließen, durch Christus in diesem Jammertal erlöst worden zu sein, in dem es deswegen zahllose Gelegenheiten gebe, sich froh in dieser Welt aufzuhalten und sich in ihr zu erfreuen. Es ist die Freude und es waren die öffentlichen Freudenfeste, die jene nun sehr fernen und kaum noch verständlichen Zeiten auszeichneten. Jacob Burckhardt, als Kulturhistoriker der Renaissance noch mit der festlichen Gesinnung dieser Feiertagsgesellschaft vertraut, urteilte über seine Zeit mit ihrem Arbeitseifer und ihrer Unfähigkeit, sich unbeschwert auf das Leben mit seinen Überraschungen einzulassen: Unsere Welt ist ein Geschäft, die frühere war Dasein. Mit Goethe und vielen alten Ratgebern folgte er der Empfehlung: „Am Sein erhalte dich beglückt.“
In der Antike, im Mittelalter und in der frühen Neuzeit wurden selten mehr als dreißig Stunden in der Woche gearbeitet. Die mühselig durchgesetzte Verkürzung der Arbeitszeit seit dem frühen 19. Jahrhundert von sechzehn, auf zwölf, dann auf zehn, endlich auf acht Stunden am Tag bestätigt nicht einen zunehmenden Leichtsinn und Hang zur Faulheit. Es wurde nur eine Normalisierung erreicht im Sinne der alten Anschauung, daß die Arbeit für den Menschen bestimmt ist, aber der Mensch nicht deren Notwendigkeiten untergeordnet werden darf. Darüber ist weder die Wirtschaft massiv geschädigt worden, noch brach der allgemeine Wohlstand zusammen oder geriet die Demokratie, die auf ihn angewiesen ist, deshalb in eine Krise. Es ist wahrscheinlich möglich, noch weniger als dreißig Stunden zu arbeiten, wie John Maynard Keynes oder der Systematiker der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, vermuteten.
Doch die große Frage bleibt, wie in der Freizeit jeder einzelne zur persönlichen Freiheit zu gelangen vermag. Denn er wird ja dauernd gemahnt, sich in dieser heillosen Welt um alles und jedes zu kümmern, immer achtsam, immer besorgt und deswegen aktiv zu werden, um Unheil abzuwehren und Unholde unschädlich zu machen, die „unsere“ Demokratie nicht lieben, „unsere Werte“ nicht teilen und damit „unsere Freiheit“ bedrohen.
Es geht immer nur um das, was „uns“ zu einer „Wertegemeinschaft“ macht und wie der Einzelne als deren Teil zum gewissenhaften Sozialarbeiter werden muß, der dauernd im Dienst ist. Unter solchen Voraussetzungen ist Muße und freie Verfügung über die Zeit ein Zeichen ärgerlicher Selbstsucht. Fest und Freude sind verdächtig, denn es gibt nichts zu feiern. In der arbeitsfreien Zeit wird der verantwortungsbewußte Einzelne zum Trauerarbeiter, der an sich selbst arbeitet, um bei der Produktion von Trübsinn „Leistung zu bringen“. Herzensbildung und Würde sind damit nicht zu erreichen.
Dr. phil. Eberhard Straub, Jahrgang 1940, habilitierter Historiker, Publizist und Buchautor, war Feuilletonredakteur der FAZ. 2004 veröffentlichte er das Buch „Vom Nichtstun: Leben in einer Welt ohne Arbeit“.
Studie: Mehrheit wünscht sich eine Vier-Tage-Woche
Viele Arbeitnehmer in Deutschland halten eine Verkürzung ihrer Arbeitswoche auf vier Tage unter bestimmten Voraussetzungen für sinnvoll. Das zeigt eine Anfang Mai veröffentlichte aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Danach wünschen sich rund 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit. Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen. Acht Prozent der Erwerbstätigen würden ihre Arbeitszeit auch reduzieren, wenn dadurch das Entgelt geringer ausfiele. 17 Prozent der Befragten lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, zwei Prozent haben ihre Vollzeittätigkeit bereits auf vier Tage verteilt. Als Hauptgründe für ihren Wunsch nach einer verkürzten Arbeitszeit nannten die meisten Befürworter der Vier-Tage-Woche das Bedürfnis nach mehr Zeit für sich selbst und die Familie, für Hobbys und ehrenamtliche Tätigkeiten. Die Studie basiert auf einer repräsentativen Befragung von 2.575 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in Vollzeit arbeiten und vertraglich geregelte Arbeitszeiten haben. (JF)