© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/23 / 02. Juni 2023

Macron bremst beim „Green Deal“
Wirtschaftspolitik: Frankreich will „Regulierungspause“ in der EU-Gesetzgebung / Angst vor Bauern- und Industrievernichtung
Albrecht Rothacher

Laut dem Ende 2019 präsentierten „Green Deal“ der EU-Kommission soll Europa der erste „klimaneutrale“ Kontinent der Erde werden. Das bedeutet: Innerhalb von heute nur noch weniger als 27 Jahren sollen die Treibhausgasemissionen (vor allem CO2 und Methan) von 447 Millionen EU-Bürgern in den Bereichen Agrar, Freizeit, Verkehr, Verwaltung, Wirtschaft und Wohnen auf „Netto null“ sinken.

Das Verbrennen von „fossilem“ Benzin, Diesel, Erdgas, Heizöl, Kerosin und Kohle ist damit weitgehend verboten – außer wenn das so entstandene CO2 der Erdatmosphäre wieder vollständig „entnommen“ wird, etwa durch Aufforstung oder durch die teure großtechnische CO2-Speicherung in ausgebeuteten Gas- oder Ölfeldern, bestimmten Gesteinsschichten oder im Meeresuntergrund (Carbon Capture and Storage/CCS).

Zwischenetappe ist das Maßnahmen-Paket „Fit for 55“ von 2021: Schon bis 2030 soll der EU-Treibhausgasausstoß um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Ausstoß von 1990 sinken. Und Frankreich – Präsident, Regierung und die Mehrheit der EU-Abgeordneten – hat all dem zugestimmt. Doch Emmanuel Macron will keinen zweiten „Gelbwesten-Aufstand“, der 2018 durch eine staatliche Preiserhöhung für Benzin und Diesel um einige Cent pro Liter ausgelöst wurde. Außerdem will Macron zusammen mit dem französischen EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton (einem langjährigen Konzernmanager) mit viel EU-Protektion und Subventionen eine Industriepolitik à la française durchsetzen.

Autoverteuerung mit Euro-7 und „Wiederherstellung der Natur“?

„Wir setzen um, was wir beschlossen haben, aber wir hören auf, noch mehr hinzuzufügen“, erklärte der französische Staatspräsident im Mai bei einem Industriellen-Treffen im Élysée-Palast. Macron stellt zwar nicht den „Green Deal“ prinzipiell in Frage – aber seine „europäische Regulierungspause“ bei den Umweltauflagen ist zumindest eine diplomatische Kampfansage gegen den Klimafundamentalismus der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, des Klimakommissars Frans Timmermans und der Berliner Ampel-Regierung.

Und zusammen mit dem EWG-Gründungsmitglied Italien sowie Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien, der Slowakei und der Tschechei kann er sich wohl auf eine Sperrminorität unter den EU-Regierungen stützen. Und die könnte noch größer werden, die verschärften Klimaregeln treffen immer mehr Wirtschaftsbereiche. Selbst bei der „grünen“ Klimafraktion der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), wo CDU, ÖVP, Forza Italia und die spanische PP dazugehören, und einem Teil von Macrons Liberalen (Renew) im Europaparlament (EP) regt sich Widerstand gegen die Ökofundamentalisten bei den Sozialisten (S&D), den Grünen (EFA) Linken (GUE/NGL) – schließlich sind im Juni 2024 Europawahlen. Und da könnten die Rechtsfraktionen (EKR, ID) erneut zulegen.

Worum geht es? Zum einen um eine überbordende EU-Umweltbürokratie: Die geplante EU-Verordnung „über die Wiederherstellung der Natur“ will beispielsweise Moore und Feuchtgebiete wieder „vernässen“, mit Bewirtschaftungsverboten sollen wieder „Urwälder“ entstehen – zu Lasten der Bauern in der EU. Zudem sollen im Rahmen der Reach-Richtline diverse Chemieprodukte und Pflanzenschutzmittel verboten werden. Hinzu kommt der Machtkampf zwischen Manfred Weber (CSU) – 2019 EVP-Spitzekandidat – und der „grünen Merkelianerin“ Ursula von der Leyen. Weber sieht seine EVP als die „Bauernpartei Europas“, er will nicht ständig neue Auflagen, sondern die Nahrungsmittelversorgung sicherstellen. Im Bündnis mit Renew, EKR und ID hat er freilich die besseren Karten – mögen die Dogmatiker auch medial flankiert Zeter und Mordio schreien.

Beim EU-Verbrennerverbot ab 2035 war Macron und die Renew-Mehrheit noch kompromißlos auf seiten der Kommission – zu Lasten der deutschen Autoindustrie. Doch grüne Hauruckverfahren sind auch nicht im Sinne von Renault und Stellantis (Citroën, Peugeot). Denn schon ab Juli 2025 soll bei neuen Pkw und Lieferwagen und bei Lkw und Bussen ab 2027 die verschärfte Emissionsnorm Euro-7 die bisherige Euro-6 ersetzen. Dies verlangt die teure Umrüstung von Benzin- und Dieselmotoren. So würde sich die Herstellung von Pkw um 2.000 Euro und die von Lkw um 12.000 Euro verteuern – wenn es überhaupt praktisch machbar ist. Eins ist sicher: Es wäre Wohlstands- und Industrievernichtung – auch in französischen Industriegebieten.

Das EU-Verbrennerverbot gilt natürlich nicht im Rest der Welt, wo die ohnehin überschaubare Nachfrage nach teuren E-Autos europäischer Herkunft rückläufig ist. Macron will daher im Gegensatz zur Ampel auch nur noch E-Autos europäischer Herkunft mit 5.000 Euro im Verkauf fördern. Die deutsche „Umweltprämie“ gibt es hingegen auch für Tesla und asiatische E-Modelle. Macron will die Fehler der Solarförderung vermeiden, deren Herstellung dank der lukrativen Subventionen sämtlich nach China abgewandert ist. Ein „Buy European Act“ nach amerikanischem Vorbild und ein „Europäischer Souveränitätsfonds“ (von Deutschland führend mitfinanziert) sollen all dies richten – auch für die Chipshersteller, die Rüstungsindustrie oder die Rohstoffversorgung.


Klimaprogramm „Green Deal“ der EU: consilium.europa.eu