© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/23 / 02. Juni 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Umarmung mit Folgen
Peter Freitag

Ein Vorfall am Main sorgte für Kopfschütteln an der Spree. Am vergangenen Freitag hatte sich ein mutmaßlich unter Drogeneinfluß stehender Mann mit seinem Auto unberechtigt dem Troß des Bundeskanzlers angeschlossen, als dieser nach seinem Auftritt beim Jubiläum der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt zum Flughafen gefahren war. Bevor Scholz die Regierungsmaschine Richtung Berlin bestieg, schüttelte ihm der Fremde die Hand und umarmte ihn. Erst danach schritten die offenbar überrumpelten Leibwächter des Kanzlers ein und nahmen den aufdringlichen 48jährigen fest. 

Üblicherweise ist der Bundeskanzler mit mindestens zwei gepanzerten Limousinen sowie einer Polizeieskorte unterwegs. Die Fahrzeuge bilden eine Kolonne, am Schluß fährt in aller Regel ein Streifenwagen, der dies mit einer grünen Fahne kenntlich macht. Wer dahinter fährt, gehört nicht dazu. Ein Umstand, den man am Tor zum VIP-Bereich des Frankfurter Flughafens wohl außer acht gelassen hatte. In Berlin gehören solche Kolonnen zum Alltag. Nach schwarzen Limousinen mit Blaulicht schaut sich hier kaum einer um – Touristen vielleicht ausgenommen. Sogar die Motorradpolizisten, die den Kolonnen vorauspreschen, um mittels Durchsagen per Lautsprecher oder auch schrillen Trillerpfeifen den Weg freizumachen, sind im Straßenbild keine Seltenheit.

Auch wenn die Sache glimpflich endete, ist sie für die beteiligten Sicherheitskräfte – die hessische Landespolizei, die für den Flughafen zuständige Bundespolizei sowie das für den Personenschutz verantwortliche Bundeskriminalamt – äußerst peinlich. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn der Umarmer noch ein Messer gezückt hätte. Und wie absehbar, hat nun das Schwarze-Peter-Spiel begonnen, wer für die Panne letztlich verantwortlich war. Wie es zu ihr kommen konnte, ist um so unverständlicher, je mehr man sich vor Augen hält, welche strengen Sicherheitsregeln in der Hauptstadt selbst für diejenigen gelten, die beispielsweise mit einer Dauerakkreditierung den Amtssitz des Kanzlers betreten wollen: Obwohl einen entsprechenden Ausweis nur erhält, wer polizeilich bisher nicht in Erscheinung getreten ist, muß jeder durch die Sicherheitsschleuse.

Auch das Bundestagspräsidium hat jüngst die Zutrittsregeln für die Liegenschaften des Parlaments verschärft. Sogar Inhaber von Hausausweisen, beispielsweise Abgeordnetenmitarbeiter, die nicht durch die Sicherheitskontrollen am Eingang der Gebäude müssen, können nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen „anlaßlos“ kontrolliert werden. Abgeschafft wird der Ehemaligenausweis, der ausgeschiedenen MdB bisher weiterhin freien Zugang gewährt. Künftig soll ihnen ein Hausausweis nur noch für die jeweils aktuelle Wahlperiode ausgestellt werden – und erst nach einer Zuverlässigkeitsüberprüfung. Hintergrund der Verschärfungen sind neben Stör-Aktionen der „Letzten Generation“ auch die Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete (JF 51/22).