Frau Lights, weshalb demonstriert „Großbritanniens grünste Mutter“ (Daily Telegraph) am Brandenburger Tor für den Erhalt der deutschen Atomkraft?
Zion Lights: Weil ich es sehr enttäuschend finde, daß Deutschland seine problemlos laufenden Reaktoren einfach abgeschaltet hat, während so viele Länder darum kämpfen, sich mit Energie zu versorgen.
Zu denen England ja aber wohl nicht gehört.
Lights: Nein, aber Sie irren, wenn Sie glauben, die Abschaltung sei eine rein deutsche Sache. Tatsächlich hat das Auswirkungen auf die ganze Welt.
Inwiefern?
Lights: Wegen der Energiekrise ist sie vor allem relevant für Europa – und global wegen der Luftverschmutzung und CO2-Emissionen, schließlich muß die fehlende Atomenergie fossil ersetzt werden.
Dennoch ist erstaunlich, daß Sie aus dem Ausland anreisen, während sich kaum ein Deutscher die Mühe machte, auch nur nach Berlin zu kommen, um gegen den Atomausstieg zu demonstrieren. Obwohl laut Umfragen inzwischen eine Mehrheit dagegen ist.
Lights: Es war für mich einfach eine Notwendigkeit, meine Freunde von „Nuklearia“ zu unterstützen.
Sie sprechen von der bundesweiten Bürgerinitiative zur Wiedereinführung der Kernkraft (JF 26/21), die die Demonstration (JF 17/23) veranstaltet hat.
Lights: Es ist wichtig, jeden öffentlichen Protest gegen die Abschaffung der Atomkraft zu unterstützen, weil er erheblich dazu beitragen kann, eine gesunde Debatte anzustoßen, was schließlich zu einer Änderung der öffentlichen Meinung führen kann, die dann wiederum Druck auf die Politik ausübt.
Wer allerdings an diesem Abend – des 15. Aprils, dem Tag des deutschen Atomausstiegs – die „Tagesschau“ einschaltete, erfuhr nur von Demonstrationen für den Atomausstieg, nicht aber von der dagegen.
Lights: Dabei fand sie am selben Ort statt wie die der Atomkraftgegner! Über die in der Tat die meisten Medien berichteten. Eben deshalb war es so wichtig, ebenfalls am Brandenburger Tor präsent zu sein: um zu zeigen, daß es in dieser Debatte nicht nur eine Seite gibt! Und tatsächlich war unser Protest sogar besser besucht als der der Atomkraftgegner. Dennoch aber hat ein Großteil der Medien diesen wichtigen Punkt übersehen, das stimmt.
Was denken Sie darüber?
Lights: Die Berichterstattung zur Kernenergie in Deutschland kommt mir wie Propaganda vor, es gibt so viele Fehlinformationen, und die Argumente der Befürworter werden nicht fair dargestellt. Doch freue ich mich, in der neuen ARD-Dokumentation dazu mitgewirkt zu haben, denn sie ist fair und genau.
Die Sendung „Deutschland schaltet ab. Der Atomausstieg und die Folgen“ in der Reihe „Die Story“ wurde am 11. April ausgestrahlt und ist in der ARD-Mediathek nach wie vor abrufbar. Darin sagen Sie: „Deutschland ist sehenden Auges in diese Lage hineingeschlittert – man hat euch gewarnt!“
Lights: Ja, doch wurde auf die Warnungen nicht gehört, weil in Deutschland die Anti-Atomkraftbewegung das Narrativ kontrolliert – in der Presse, in den Medien, sogar in den Schulen etc.
Stimmt, zumindest zu meiner Zeit, den Achtzigern, war nur der (angebliche) Klassentrottel pro Atomkraft.
Lights: Und nicht nur Ihre Medien, auch Ihre Regierung belügt sie seit vielen Jahren in bezug auf die Kernenergie. Denn die alte Anti-Atom-Bewegung übt in Deutschland weiterhin ihre Macht aus. Das klingt zwar furchtbar – ist aber eigentlich eine gute Nachricht.
Wieso denn das?
Lights: Weil es bedeutet, daß mit der richtigen Art Öffentlichkeitsarbeit und bürgerlichem Engagement, um die Anti-Atomkraftbewegung herauszufordern, die öffentliche Meinung geändert werden kann. Schließlich sind die Deutschen auch nicht viel anders als andere Menschen. Und es hat ja auch schon begonnen – nur leider zu spät, um die letzten deutschen Reaktoren zu erhalten.
Ich fürchte, Sie überschätzen die Bedeutung der Meinung der Bürger in Deutschland. So war die Mehrheit auch gegen die Einführung des Euro, den Krieg in Afghanistan oder die Öffnung der Grenzen 2015, und dennoch wurde all das von der Politik durchgesetzt. Warum sollte das nun in Sachen Atomkraft anders sein?
Lights: Gegenfrage: Warum sollte bei Ihnen unmöglich sein, was in anderen Ländern schon möglich war? Entscheidend ist, lauter als die Atomkraftgegner zu sein! Ich habe das in Großbritannien so gemacht, als die öffentliche Meinung dort noch contra Kernkraft war – und dennoch hatte ich schließlich Erfolg. Natürlich war es ein schwerer Kampf, aber er hat eine Veränderung bewirkt.
Klingt einfach – erfahrungsgemäß ist es das aber nicht.
Lights: Sehen Sie, nach der Demonstration in Berlin besuchten einige von uns noch eine Bar. Dort sprach uns ein Ehepaar an, das mich zufällig in der ARD-Doku gesehen hatte. Beide wußten nichts von unserer Demonstration und waren weder ausdrücklich für noch gegen Kernenergie. Sorgen machten ihnen aber die Frage sicherer Arbeitsplätze, steigender Energiepreise, der Inflation etc. Es war genau das, was ich auch in Großbritannien und anderswo feststelle, wenn ich für Atomkraft demonstriere: Die meisten Leute wissen nicht viel darüber, sie sind unentschlossen und haben andere Sorgen. Und das ist der Grund, warum sie bei dem Thema leise bleiben und sich nicht zu Wort melden. Wer aber meldet sich zu Wort?
Die Atomkraftgegner?
Lights: Genau. Zwar sind sie viel weniger und vor allem falsch informiert – aber sie sind laut! Und deshalb müssen wir eben lauter sein! Meine Erfahrung ist, daß Menschen im allgemeinen auf gute Argumente ansprechen und sich am Ende für die Vernunft gewinnen lassen. Ich habe diesen Prozeß ja selbst durchgemacht, denn auch ich war früher falsch über die Kernenergie informiert und habe sie daher sogar lange engagiert bekämpft.
Was hat zu Ihrem Gesinnungswandel geführt?
Lights: Natürlich war es keine unmittelbare Veränderung, aber ein vertrauenswürdiger Freund nahm sich die Zeit, regelmäßig mit mir darüber zu sprechen, was half, meine Meinung zu ändern. Und als ich mich mit den Daten zu befassen begann, wurde mir klar, daß ich mich geirrt hatte.
Inwiefern?
Lights: Ich erkannte, aus Angst und aufgrund von Mißverständnissen und nicht aus Vernunft gehandelt zu haben und begann, den Schaden zu verstehen, den die Anti-AKW-Bewegung angerichtet hat.
Welchen Schaden?
Lights: Die Wahrheit ist, daß Kernenergie Leben rettet! Denn ohne sie kann die Welt nicht dekarbonisiert werden. Ohne sie wird sich der Klimawandel verschlimmern. Ohne sie wird die Luftverschmutzung durch fossile Energie weiter Millionen Menschen töten. Jede grüne Mutter sollte daher die Kernenergie unterstützen, um ihrer eigenen Kinder, um aller Kinder und um des Planeten willen.
Allerdings birgt Kernkraft doch zwei enorme Risiken: Abfälle, die Tausende Jahre strahlen, und die Gefahr von Superunfällen, die je nach Ausmaß ein ganzes Land unbewohnbar machen können.
Lights: Das sind keine überzeugenden Argumente, wenn man sich wissenschaftlich damit befaßt.
Warum nicht?
Lights: Weil die Abfälle nicht das Risiko bergen, das die Leute in ihnen vermuten, da sie gut verwahrt werden, viel besser sogar als gefährliche Abfälle der meisten anderen Industrien – zum Beispiel der fossilen Energien, die wir nämlich in der Atmosphäre lagern. Dabei wissen wir, daß das unserem Planeten immensen Schaden zufügt! Warum also, frage ich Sie, machen wir es dennoch? Nuklearer Abfall kommt dagegen in Betonbehälter, die ich sogar umarmt habe, um zu zeigen, wie sicher und wie wenig radioaktiv sie sind. Zudem verringert sich die Radioaktivität schnell. Was übrigbleibt, wird vergraben, kommt also im Grunde wieder dorthin, wo wir die radioaktiven Elemente herhaben – unter die Erde. Und auch Unfälle stellen kein großes Risiko dar. Die beiden schlimmsten, Tschernobyl und Fukushima, sind auf menschliches Versagen zurückzuführen, zudem wurden Lehren daraus gezogen. Tatsächlich sind bei Atomunfällen weniger Menschen ums Leben gekommen als etwa durch Wasserkraft.
Zum Beispiel?
Lights: Etwa beim Bruch des Banqiao-Staudamms sowie 61 weiterer Dämme in der chinesischen Provinz Henan 1975 infolge des Taifuns Nina: 26.000 Menschen starben bei den Überschwemmungen, und schätzungsweise 145.000 an den folgenden Epidemien, die durch die Verunreinigung des Wassers verursacht wurden sowie an einer Hungersnot. Schätzungen zufolge gab es mehr als 220.000 Tote, und über zehn Millionen Menschen waren von der Katastrophe betroffen. Und das ist nicht die einzige solche Katastrophe, die es sogar auch bei uns in Europa gab. Warum also protestieren die Menschen nicht gegen Wasserkraft?
Die mit Abstand meisten energiebedingten Toten sind aber auf fossile Brennstoffe zurückzuführen, sagen Sie.
Lights: Ja, wir aber denken nicht an das Risiko durch sie und verbrennen weiterhin Gas und Kohle, als ob das sicher wäre. Doch das ist es nicht, wir haben so viele Daten, die das beweisen. Die Menschen müssen verstehen, daß fossile Brennstoffe unseren Planeten bereits unbewohnbar machen, denn die Erde erwärmt sich, das Artensterben nimmt zu. Wir machen uns also die falschen Sorgen, wenn wir uns wegen Atomunfällen sorgen. Und jedesmal, wenn Sie sich ins Auto setzen, gehen Sie ein erhebliches Risiko ein. Wir wissen, wie gefährlich es ist, wie hoch die Unfallzahlen sind, und doch tun es viele von uns jeden Tag. Statistisch gesehen ist es sicherer, Kernkraftwerke zu betreiben, als Auto zu fahren.
Sie haben früher nicht nur gegen Kernkraft gekämpft, sondern waren auch Mitglied der britischen Grünen.
Lights: Ich habe die Partei wegen der vielen wissenschaftsfeindlichen Positionen verlassen. Leider stellten sie, wie es auch bei den deutschen Grünen der Fall zu sein scheint, Ideologie über Fakten, besonders wenn es um Energie geht. Meiner Erfahrung nach sind grüne Parteien häufig so – es sind Aktivisten.
Für Aufsehen sorgte vor allem, daß Sie als eine Sprecherin der radikalen Klimagruppe „Extinction Rebellion“ dieser 2020 den Rücken kehrten. Warum?
Lights: Ende 2019 war ich im BBC-Fernsehen. Ich war bestens vorbereitet mit Zahlen und Fakten – bis mich Moderator Andrew Neil mit einer Aussage konfrontierte, die ich nicht erklären konnte. Es war die Behauptung Roger Hallams, einem der Extinction-Rebellion-Gründer, in diesem Jahrhundert würden sechs Milliarden Menschen sterben, würde der Klimawandel nicht gestoppt. Ich saß da und konnte die Zahl nicht belegen – aber auch nicht dementieren, da ich ja die Sprecherin war.
Noch heute lasse Sie die Erinnerung daran erschaudern, haben Sie in einem Gastbeitrag für eine britische Tageszeitung geschrieben.
Lights: Ja, denn Neil ließ nicht locker, fragte immer wieder nach, während ich eine gefühlte Ewigkeit im grellen Scheinwerferlicht des Studios zappelte, gefangen in dem, was man einen PR-Albtraum nennt.
Was hatte es mit der Zahl auf sich?
Lights: Das weiß ich nicht. Sie mag schlagzeilenträchtig sein, hat aber keine vernünftige Grundlage.
Kritiker nennen Extinction Rebellion, die in Deutschland in die Gruppe „Letzte Generation“ übergegangen ist, eine „Weltuntergangs-Sekte“. Trifft das zu?
Lights: Man könnte Hallam fast als Sektenführer bezeichnen, denn er nutzt Schuldgefühle und Ängste junger Menschen aus. Er predigt ihnen sich aufzuopfern, bereit zu sein, die Gefängnisse zu füllen, statt sich um praktische Lösungen zu bemühen. An solchen, wie Lobbyarbeit für die Klimaschutzgesetze, Nachhaltigkeitskonzepte etc., zeigt er kein Interesse. Auch Greta Thunberg ist seine Anhängerin, weshalb auch sie meist nur Panik verbreitet.
Wie haben Sie das persönlich erlebt?
Lights: Etwa wurde mir im Medientraining gesagt, im Fernsehen Tränen zu vergießen: „Die Leute müssen weinende Mütter sehen.“ Man fragte, ob ich daher auch meine Kinder mit zu Demonstrationen nehmen würde. Es war ein Lehrstück in Manipulation von Emotionen. Alles sollte auf die Klimakrise bezogen werden und darauf, daß wir von der Politik im Stich gelassen werden, während wir Wissenschaft und Lösungsmöglichkeiten auslassen sollten.
Mitglied bei Extinction Rebellion wurden Sie über ein Jahr zuvor. Ist Ihnen all das nicht früher aufgefallen?
Lights: Heute denke ich, natürlich hätte ich die Warnzeichen erkennen sollen. Ich glaube aber, es ist eher ein Versäumnis der Gesellschaft als ein persönliches Versagen – und das meine ich für alle junge Menschen, die nach wie vor unter dem Einfluß dieser Gruppen stehen. Denn ich hätte mich wohl nicht so in diesen engagiert, hätte ich vernünftigere Vorbilder gehabt, eine bessere Ausbildung oder Hilfe wegen meiner Ängste erhalten. Stattdessen wuchs ich arm und desillusioniert im Zentrum Birminghams auf. Und wer wandte sich an mich, Gruppen wie Greenpeace oder Friends of the Earth. Sie gaben mir das Gefühl, ich könnte helfen, die Welt besser zu machen. Über Jahre bin ich da hineingewachsen und es ist schwer, die eigene Ideologie zu durchschauen. Vor allem, wenn man glaubt, diese Gruppen seien die Guten, was viele junge Menschen heute noch glauben. Lange war ich von der Idee umgeben, der Mensch sei ein Virus, das die Erde befallen hat, und verdiene es, ausgerottet zu werden. Diese düstere Ideologie ist weiter verbreitet, als man denkt. Ich möchte nicht, daß meine Töchter auch darunter leiden und glauben, keine Kinder in die Welt setzen zu können. Wir sollten unseren Kindern daher positive Geschichten darüber erzählen, wieviel die Menschheit bereits erreicht hat, damit nicht auch sie in einem Teufelskreis aus Angst und Furcht gefangen sind.
Zion Lights, die Autorin gehört zu den bekanntesten Klima- und Umweltaktivisten Großbritanniens und ist zu Gast in etlichen Medien. Sie studierte Wissenschaftskommunikation und wurde 1984 als Kind indischer Einwanderer bei Birmingham geboren.