Wie erwartet hat Präsident Erdoğan die Stichwahl gegen die demoralisierte laizistische Oppositionskoalition von Kemal Kılıçdaroğlu deutlich gewonnen. Sein Islamisierungkurs setzt sich fort, die Rache am zerfallenden Oppositionsbündnis wird sich verschärfen. In westlichen Staatskanzleien glaubte man den unberechenbaren Sultan von Ankara mit Milliardensummen für die Erdbebenhilfe ruhigstellen zu können. Tatsächlich aber wird sich Erdoğan weiter China und Rußland annähern. Er begeistert sich für Seidenstraßen-Projekte, an denen türkische Baukonzerne profitieren und ist aktiver Dialogpartner im sino-russischen Sicherheitspakt, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Die Unterdrückung seiner uigurischen Glaubensgenossen schert ihn dabei wenig.
Zu Rußland wird Ankara seine Schaukelpolitik fortsetzen. Einerseits lieferte die Türkei Kampfdrohnen an die Ukraine und sperrte die Dardanellen für Kriegsschiffe. Andererseits duldet man die lukrative Lieferung sanktionierter Westexporte an Rußland, blockiert den schwedischen Nato-Beitritt und läßt sich von Rosatom ein AKW im südtürkischen Akkuyu bauen. Auch in Syrien wird der Schulterschluß mit den dort mächtigen Russen gesucht. Dazu ist Erdoğan einer der Wenigen, der sich mit einem direkten Draht zu Putin um eine Friedenslösung im Ukraine-Krieg bemüht. Bislang abgesehen vom Istanbuler Getreideabkommen, das den Export von russischem und ukrainischem Getreide in den Nahen Osten ermöglicht, freilich noch ohne Erfolg.