© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/23 / 26. Mai 2023

Filmkritik Maigret
Kommissar Depardieu
Werner Olles

Paris in den 1950er Jahren. Auf den regennassen Straßen der Stadt spiegeln sich die Leuchtreklamen, der Himmel ist grau und wolkenverhangen. Ein desillusionierter, melancholischer Kommissar Maigret (Gérard Depardieu) wird zum Leichenfund einer jungen Frau gerufen, die bekleidet mit einem zerfetzten und blutbeschmierten Abendkleid auf dem Asphalt liegt.

Der Kommissar, der es gewohnt ist, seine Fälle von seinem Büro aus zu lösen, indem er einem erfahrenen Jagdhund gleich die Fährte aufnimmt und sich über Freunde und Gelegenheitsbekanntschaften des Opfers, Taxifahrer und Bedienungen, Huren und Herumtreiber, der Psyche des Täters nähert, steht vor einem Rätsel. Niemand kann sich an die Tote erinnern, offenbar gehörte sie zum Heer jener austauschbaren jungen Frauen, die täglich mit kleinem Gepäck in Paris ankommen, den Kopf voller Illusionen und das Herz voller Hoffnung. Offenbar war sie kurz vor der Tat Gast einer privaten Abendgesellschaft, der Verlobungsfeier eines reichen Erben, auf der sie für eine gewisse Unruhe sorgte und kurzerhand auf die Straße gesetzt wurde. Systematisch rekonstruiert Maigret die Wege der Unbekannten durch ein Paris, dessen Straßen und Plätze ihm selbst immer fremder werden. Das Bild, das er sich von der Frau macht, verschwimmt wie seine eigenen Erinnerungen: War sie eine mondäne Abenteurerin oder eine brave Tochter aus der Provinz? Maigret wird den Fall lösen, aber seine Melancholie wird bleiben.

Nach Albert Préjean 1943, Gino Cervi (der Peppone aus den „Don Camillo“-Filmen), Heinz Rühman und dem großen Jean Gabin in den 1960er-Jahre-Spielfilmen und zuletzt dem unterschätzten Rowan Atkinson 2017 als Serien-Maigret nun Gérard Depardieu. In Patrice Lecontes großartigem Film „Maigret“ (Frankreich 2022) nach dem 1954 erschienenen Roman „Maigret und die junge Tote“ von Georges Simenon erleben wir den massigen Vollblutschauspieler Depardieu in einer Zartheit und leisen Verzweiflung – er muß den Verlust seiner Tochter verarbeiten und wird zudem noch von allerlei Zipperlein geplagt –, die ungemein  berührt. So ist dies zwar ein Kriminalfilm rund um den Mord an einer jungen Frau, aber vor allem auch eine Studie über das Zerbrechen eines Mannes, der angesichts des Unheils versucht, seine Würde nicht ganz zu verlieren.

DVD/Blu-Ray: Maigret. Plaion Pictures 2023, Laufzeit etwa 89 Minuten