© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/23 / 26. Mai 2023

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Postkolonial I: Daß mir das Gospel-Singen in deutschen Kirchengemeinden seit je auf die Nerven ging, ist natürlich kein Argument, aber vielleicht wird es die Ausmerzung aller Formen kultureller Aneignung endlich zum Schweigen bringen.

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„Du kannst dein Leben nicht verlängern, noch verbreitern, nur vertiefen.“ (Gorch Fock)

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Zwei Meldungen an einem Tag: Bundespräsident Steinmeier spricht sich für die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre aus; die Leistungen deutscher Schüler im Hinblick auf sinnentnehmendes Lesen lassen dramatisch nach.

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Postkolonial II: „Als Grundlage der von ihm ganz persönlich geprägten Kriegsführung galt unbestechliche Gerechtigkeit, galten Kampf und Ritterlichkeit dem Gegner gegenüber. Der Dank der jungen Genera-tion für das Beispiel, das er in einem erfüllten Leben gegeben hat, kann nur darin liegen, daß wir in Erfüllung unseres Dienstes uns immer an ihn erinnern. Mit diesem Versprechen nimmt die Bundeswehr Abschied von dem unbesiegten Verteidiger Deutsch-Ostafrikas.“ (Kai-Uwe von Hassel, CDU, Bundesminister der Verteidigung, bei der Beerdigung Paul von Lettow-Vorbecks, des „Löwen von Afrika“, am 9. März 1964)

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Zu den Hoffnungen, die der Fortschritt enttäuscht hat, gehört auch die, daß der Anstieg des Wohlstandsniveaus den Pöbel beseitigen werde.

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Postkolonial III: In Frankreich hat ein Interview gewisses Aufsehen erregt, in dem der Rapper „Maître Gims“ nicht nur geäußert hat, daß die alten Ägypter schwarze Hautfarbe hatten wie er selbst, sondern auch, daß sie überraschende technische Kenntnisse besaßen. Sein wichtigster Beleg sind die einst goldenen Spitzen der Pyramiden: „Gold ist der beste Leiter für Elektrizität. Das waren verdammte Antennen, die Leute hatten Strom [...]. Die Ägypter, die Wissenschaft, die sie hatten, übersteigt das Vorstellungsvermögen, und die Historiker wissen das.“ Nach Meinung von „Maître Gims“ wissen sie es und verschweigen es aus böser Absicht. Die Angelegenheit wäre vielleicht als eine der zahllosen Bizarrerien unserer Tage rasch vergessen worden, hätte sich nicht Rama Yade, aus dem Senegal stammende Politikerin, einst dekoratives schwarzes, aber glück- und talentloses Mitglied der Regierung Sarkozy, entschieden, den Mann zu verteidigen, indem sie klarstellte, daß Afrika – gemeint sind die Schwarzen – seit den Anfängen der Menschheit „die Führung“ über den Rest der Kontinente, insbesondere Europa – gemeint sind die Weißen – hatte. Bernard Lugan weist darauf hin, daß auf diesem Weg eine in der Regel als abseitig betrachtete Ideologie – der „Afrozentrismus“ – zu neuen Ehren kommt. Die geht auf Cheikh Anta Diop zurück. Auch er stammte aus dem Senegal und entwarf als Audodidakt und Kompilator seit den 1950er Jahren die Theorie, daß die übliche Historiographie eine Fälschung der Weißen sei, um den Anteil der „Neger“ am Aufstieg der Menschheit zu verschleiern. Für den Afrozentristen hatten die Schwarzen alles erfunden, der erste Mensch sei ein Schwarzer gewesen und das alte Ägypten „negerisch“ und die griechische Antike ganz und gar von dessen intellektueller Entwicklungshilfe abhängig. Was man gewöhnlich als europäische Kultur betrachte, verdanke diesem Erbe alles. Erst die Aggression der Weißen in der Neuzeit habe die blühenden schwarzen Reiche zerstört und durch den Sklavenhandel Afrika über Jahrhunderte niedergehalten und ausgebeutet. Die wichtigste Aufgabe seiner „Nation“, so Cheikh Anta Diop, bestehe deshalb darin, ihre Angehörigen aufzuklären: „Der Neger weiß nicht, daß seine Vorfahren [...] die ältesten Führer der Menschheit auf dem Weg der Zivilisation sind; daß sie es waren, die die Künste, die Religion (insbesondere den Monotheismus), die Literatur, die ersten philosophischen Systeme, die Schrift, die exakten Wissenschaften (Physik, Mathematik, Mechanik, Astronomie, Kalender [...]), die Medizin, die Architektur, die Landwirtschaft usw. geschaffen haben, zu einer Zeit, als der Rest der Erde (Asien, Europa: Griechenland, Rom [...]) in Barbarei versunken war.“ Nur um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, weist Lugan darauf hin, daß nichts von den Behauptungen Cheikh Anta Diops einer sachlichen Überprüfung standhält. Es genüge im Grunde schon die Feststellung, daß  es in Europa seit etwa 5000 vor Christus eine ausgedehnte bäuerliche Zivilisation gab, samt Ackerbau und Nutzung des Rades. Südlich der Sahara hätten sich Ackerbau und Nutzung des Rades erst als Folge der arabischen Eroberung und der europäischen Kolonisierung, also fast 6.000 Jahre später, verbreiten können. Aufschlußreich sei auch die Tatsache, daß drei Viertel der Nahrungspflanzen, die heute in Schwarzafrika verzehrt werden (Mais, Bohnen, Maniok, Süßkartoffeln, Bananen usw.) amerikanischen oder asiatischen Ursprungs sind und von den weißen Kolonialherren eingeführt wurden.

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Apropos Haß und Hetze: „Was früher Bild war, sind heute Spiegel, Böhmermann und Reschke.“ (Michael Hanfeld)


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 9. Juni in der JF-Ausgabe 24/23.