© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/23 / 26. Mai 2023

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Klassikerlektüre: „In den demokratischen Republiken geht die Tyrannei anders als in Despotien zu Werk; sie geht unmittelbar auf den Geist los. Der Machthaber sagt hier nicht mehr: ‘Du denkst wie ich oder du stirbst’; er sagt: ‘Du hast die Freiheit, nicht zu denken wie ich (...), aber von dem Tag an bist du ein Fremder unter uns.“ (Alexis de Tocqueville, Jurist und Politiker, 1805–1859)


Früher war nicht alles besser, nur ist heute vieles schlimmer.


Lob der ARD (kommt selten genug vor): Am 1. Juni startet das Erste in seiner Mediathek die Dokumentationsreihe „Frontmen“ über einige Sänger der Rock- und Metalszene. In jeweils 90 Minuten werden die Geschichten der Frontleute Bruce Dickinson (Iron Maiden), Ozzy Osbourne (Black Sabbath), Alice Cooper und David Lee Roth (Van Halen) erzählt. Im August folgen dann vier weitere Beiträge über Steven Tyler (Aerosmith), Axl Rose (Guns n’ Roses), Jon Bon Jovi sowie Gene Simmons und Paul Stanley (KISS).

Knut Hamsuns Meisterwerk „Hunger“ ist jetzt in einer neuen Übersetzung nach der Erstausgabe erschienen.

Zu den eindrücklichsten Werken der Weltliteratur zählt für mich Knut Hamsuns Roman „Hunger“. Erstmals 1890 veröffentlicht, in den folgenden Jahrzehnten von Hamsun selbst immer wieder stellenweise umgeschrieben, ist das Buch jetzt in einer neuen Übersetzung von Ulrich Sonnenberg nach der Erstausgabe und mit einem Nachwort der Büchnerpreisträgerin Felicitas Hoppe erschienen. In Hamsuns literarischem Debüterfolg schildert der Ich-Erzähler die äußerst prekäre Existenz eines jungen Mannes, der Journalist werden will. Er streift durch seine Heimatstadt Kristiania, das heutige Oslo, sucht nach einer Anstellung, schreibt gelegentlich Artikel für Zeitungen, die jedoch nichts einbringen. Er kann seine Miete nicht mehr zahlen, wird obdachlos, sein Hunger droht ihn in den Wahnsinn zu treiben. In seiner Verzweiflung nagt er sogar in einem Hinterhof an einem Hundeknochen, an dem noch etwas Fleisch ist, doch sofort muß er sich daran erbrechen. „Ich weinte, daß der Knochen von den Tränen naß und schmutzig wurde, übergab mich, fluchte und nagte erneut, weinte, als würde mir das Herz brechen, und übergab mich wieder. Und verfluchte lauthals alle Mächte der Welt und wünschte sie in die Hölle.“ Was für ein Meisterwerk! 1920 erhielt Hamsun den Literaturnobelpreis. Matthias Matussek ist nur uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er in einer Besprechung des Buches für die Schweizer Weltwoche (Ausgabe vom 20. April 2023) schreibt: „Nie ist der Kampf ums Wort brutaler geschildert worden, nie inniger das Bemühen um Würde eines Hochgesinnten in einer Welt aus Abweisungen.“

Knut Hamsun: Hunger. Roman. Neu übersetzt von Ulrich Sonnenberg nach der Erstausgabe von 1890. Mit einem Nachwort von Felicitas Hoppe. Manesse, München 2023, gebunden, 256 Seiten, 25 Euro