© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/23 / 26. Mai 2023

Eine Partei sucht sich selbst
„National Conservatism“-Konferenz in London: Die britischen Konservativen stecken in der Krise
Björn Harms

Es gab schon einmal bessere Tage für den britischen Konservatismus. Nach den Quälereien der Brexit-Entscheidung, den Skandalen rund um Boris Johnson und der kürzesten Amtszeit einer britischen Premierministerin aller Zeiten (Liz Truss) suchen die Tories noch immer nach einem Weg aus dem Umfragetief. Die „Conservative Party“ steht derzeit mit rund 28 Prozent in den Befragungen weit hinter der „Labour Party“ mit 45 Prozent. Auch andere Parteien rechts der Mitte kämpfen ums Überleben: „Reform UK“, der Nachfolger der Brexit-Partei von Nigel Farage, steht derzeit bei knapp sechs Prozent. Die UKIP scheint ihre früheren Hochzeiten längst hinter sich gelassen zu haben. Derzeit rangiert sie bei knapp einem Prozent. Für die nächste britische Unterhauswahl im Januar 2025 erwarten viele das Schlimmste für die politische Rechte.

Doch die Sinnkrise der Konservativen setzt tiefer an als bei bloßen Parteistrukturen. Ähnlich wie in Deutschland herrscht in fast allen britischen Institutionen ein alles absorbierender woker Zeitgeist. Und das trotz – oder gerade wegen? – der langjährigen Regierungszeit einer konservativen Partei. „Großbritannien gehört immer noch der Linken. Die Rechte tut nur so, als ob sie es regieren würde“, spottete 2021 der Publizist Douglas Murray während der Amtszeit von Boris Johnson. Wie also rauskommen aus der Misere?

Britische Konservative träumen von einer rechten Alternative

Die „National Conservatism Conference“ in London, die in der vergangenen Woche hochrangige Tory-Politiker, Journalisten und Akademiker versammelte, um nach Antworten aus dieser Krise zu suchen, kam zur rechten Zeit. Die Konferenz ist ein europäischer Ableger des amerikanischen Erfolgsprodukts der Edmund-Burke-Stiftung. Die Verantwortlichen wollen „einem mächtigen neuen Marxismus im Inland“ entgegentreten und „die reiche Tradition nationalkonservativen Denkens“ hochhalten, „als intellektuell ernstzunehmende Alternative zu den Auswüchsen des puristischen Libertarismus“. Federführender Ideologe ist der israelische Philosoph Yoram Hazony, der sich auch in London für einen Nationalismus aussprach, der die liberale Philosophie der Aufklärung als Grundlage jedweden Universalismus ablehnt. 

Im vergangenen Jahr tagte die europäische „NatCon“-Variante in Brüssel, 2020 in Rom. Auffällig war: Im Gegensatz zu den Veranstaltungen in Brüssel oder Rom fanden sich in London unter den knapp 50 Rednern nur wenige internationale Gäste ein. Stattdessen lag der Fokus auf britischen Prominenten und Politikern der Tories. Das hat Gründe: In Großbritannien geht aufgrund des Mehrheitswahlrechts kaum etwas ohne die Konservative Partei. Sie gilt es zu beeinflussen, auch wenn viele britische Konservative weiter von einer rechten Alternative träumen. Die „NatCon“-Verantwortlichen wollen den momentanen technokratischen Apparat, der nicht viel Konservatives zu bieten hat, in ihre Richtung kippen. Der Gegenwind, auch aus der Partei selbst, ist spürbar.

2020 in Rom nahm lediglich ein Hinterbänkler der Tories an der dortigen „NatCon“-Konferenz teil. Anschließend mußte er auf Knien beim Parteiestablishment um Vergebung bitten. Mittlerweile ist man soweit, daß sechs bekannte Politiker der Konservativen Partei auf der Konferenz sprechen, ganz zum Ärger vieler linker Medien. Schon im Vorfeld der Konferenz warnte der Guardian vor einem „rechtsradikalen Treffen“ und konnte es nicht fassen, daß einflußreiche Tories wie die britische Innenministerin Suella Braverman die Einladung annahmen.

Braverman vermied es bei ihrem Auftritt dann auch merklich, parteipolitische Äußerungen fallenzulassen. Stattdessen präsentierte die Tochter zweier Einwanderer ihr konservatives Wertekorsett: „Grenzen, eine nationale Identität und Ordnung sind die Fundamente einer gesunden Nation“. Die migrationskritischen Töne, die Braverman in ihrer Rede einstreute – „Wir haben viel zu viele Asylbewerber“ – wurden dabei vom Publikum, das von jung bis alt bunt durchmischt war, äußerst wohlwollend aufgegriffen. Die Asylkrise ist auch auf der Insel in vollem Gange, die Nettoeinwanderung schießt durch die Decke. 

Das Thema war in London bei den Gesprächen auf den Fluren omnipräsent, neben einem zweiten Thema, das vor allem jüngere Semester umtreibt: das „Housing“-Problem. Die Hälfte des Gehalts geht in vielen Gegenden Großbritanniens für die Miete drauf, an Eigentum ist für viele junge Familien aufgrund der hohen Preise kaum zu denken. Dieses ungelöste Problem sorgt bei den Konservativen für heftigen Wählerschwund, gerade bei den nachwachsenden Jahrgängen.

Ansonsten standen die Zeichen in London auf Kulturkampf. Am ersten Tag der „NatCon“ war Innenministerin Braverman dann auch die erste, die bewußt die anti-weißen Ressentiments in den westlichen Gesellschaften in den Fokus rückte: „Weiße Menschen leben nicht in einem besonderen Zustand der Sünde“, rief die 43jährige den Zuhörern entgegen und erntete dankbaren Applaus. Die Realität sei jedenfalls „immer konservativ“, das sei ein Fakt, genau wie „daß 100 Prozent aller Frauen keinen Penis haben“.

Tory-Politiker haben kulturellen Entwicklungen nur zugesehen

Im Emmanuel Centre in Westminster zeigte sich unterdessen an allen Tagen ein Konflikt, den der Tory-MP Danny Kruger wie folgt umschrieb: „Der Wunsch dazuzugehören“ treffe auf den „Wunsch frei zu sein“. Die einen fordern einen starken Staat, der beispielsweise die Familie aktiv unterstützt, andere, die auf der Konferenz eindeutig die Minderheit bildeten, einen Minimalstaat, der sich aus den meisten Belangen heraushält. Wir seien „nicht frei geboren, wir gehören zu einer Familie“, stellte Kruger seine Position klar. „Der Konservatismus ist keine Philosophie der Befreiung.“ Und so lautet auch der Grundgedanke jener „nationalkonservativen“ Strömung, wie sie Yuram Hazoni formuliert: Wir müssen den Staat nutzen, um der Nation zu helfen und sie zu bewahren. Die Frage aber lautet: Ist es dafür vielleicht schon zu spät? Warum tun sich die regierenden Tories so schwer damit, eine Gegenoffensive zur woken Identitätspolitik einzuleiten? „Wir sind kulturell gesehen ein kolonialer Ableger des globalen amerikanischen Imperiums“, erklärte der Organisator der Veranstaltung in London, James Orr, im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Und deshalb nehmen wir sehr schnell die geistigen Viren auf, die sie exportieren, in Fragen wie Sexualität, Geschlecht oder Rasse.“ Es sei ein kulturelles Phänomen, gegen das eine Regierung alleine nicht viel machen könne, so der Vorsitzende des britischen Ablegers der Edmund-Burke-Stiftung. Dennoch gebe es „politische Hebel“. Als Vorbild für ein solches Handeln nannte der Religionsphilosoph etwa Floridas Gouverneur Ron DeSantis.

Die Konservative Partei habe in kulturellen Fragen jahrelang nur zugesehen, bestätigte der Politikwissenschaftler Eric Kaufmann gegenüber der JF. Die meisten Tories seien eben bloße „Wirtschaftsliberale“ oder es gehe ihnen um „Status“. Aufgrund ihrer „Feigheit und Dummheit“ hätten sie es zugelassen, daß alle öffentlich finanzierten Institutionen gekippt seien, kritisierte Kaufmann, der an der Universität von London lehrt. Der Politologe glaubt, daß es zu „Verwerfungen“ kommen kann, wenn die Partei den Kulturkampf weiter ausblendet: „Entweder wird eine Fraktion die Partei übernehmen müssen, oder eine neue, alternative dritte Partei wird die Konservativen herausfordern und sie auf diesen Weg zwingen.“

Auch andere Akademiker und Journalisten sparten nicht mit aggressiven Anwürfen. Der Politologe Matthew Goodwin, an der Universität von Kent tätig, rechnete ebenfalls knallhart mit den Konservativen ab. Die britischen Wähler hätten mit ihrer Brexit-Entscheidung gegen Massenmigration gestimmt, für mehr Souveränität, mehr Gemeinschaft und weniger Individualismus. „Die Konservative Partei hat völlig versagt“, kritisierte der 41jährige. Es sei bei Ankündigungen geblieben, passiert sei nichts. Nach 13 Jahren konservativer Politik gebe es mehr Bürokratie, eine anhaltende Massenmigration und „eine Partei, die nicht weiß, wofür sie überhaupt noch steht“.

Im Publikum brandete lauter Applaus auf, der das Gefühl vermittelte: Endlich sagt es mal einer! Goodwin erläuterte, warum die Unterstützung für die Tories in der britischen Bevölkerung schwinde: „Die Konservative Partei hat die alten Wähler verloren und hat keinen Kontakt zu ihren neuen Wählern.“ Noch drastischer formulierte es Tim Stanley, Kolumnist der Tageszeitung The Daily Telegraph: „Manchmal habe ich das Gefühl, daß die konservative Bewegung die Konservative Partei wegen Veruntreuung des Namens verklagen sollte.“

 www.nationalconservatism.org

 Ausführliches JF-Interview mit dem Organisator der „National Conservatism“-Konferenz, Dr. James Orr: www.youtube.com/watch?v=uRLwR95ObnY