© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/23 / 26. Mai 2023

Der kurze Draht zwischen Albert und Ursula
EU-Impfstoffbestellung: Kommissionschefin von wallonischem Lobbyisten angezeigt / Nationale Milliardenkosten ohne Bedarf verursacht?
Albrecht Rothacher

Normalerweise beträgt der Schwellenwert für öffentliche Aufträge in der EU 140.000 Euro. Darüber hinaus muß europaweit ausgeschrieben werden. Jeder Beamte, der sich nicht daran hält, macht sich strafbar. Diese Regeln gelten für alle, nur für eine vielleicht doch nicht: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bestellte, wie nicht nur die New York Times berichtete, 2021 per SMS und Telefon für 1,8 Milliarden Euro zusätzliche Corona-Impfdosen bei Albert Bourla persönlich. Der wurde zwar – wie EU-Kommissar Margaritis Schinas oder Eva Kaili, die 2022 geschaßte Vizepräsidentin des EU-Parlaments – im südeuropischen Saloniki geboren. Er promovierte auch an der dortigen Aristoteles-Universität. Doch seit 1993 arbeitet der Tierarzt global für den New Yorker Pharmakonzern Pfizer, er wurde US-Bürger und 2019 Pfizer-CEO.

Die Gesamtbestellung der EU bei der US-Firma – 1.300 Millionen Impfdosen fest vereinbart plus die „Option“ für 1.100 Millionen Dosen für geschätzt 35 Milliarden Euro – reicht bei 447 Millionen EU-Bürgern für fünf Spitzen pro Kopf, vom Säugling bis zum Greis. Für einen Preis, der sich sogar von 15,50 auf 19,50 Dollar pro Dosis erhöhte. Das wäre das Doppelte von dem, was angeblich der Pfizer-Konkurrent Janssen/Johnson & Johnson verlangte – zu bezahlen vom nationalen Fiskus der einzelnen 27 EU-Staaten. Die übliche Herstellerhaftung wurde, nicht nur für Pfizer und dessen Mainzer Partner Biontech, generös ausgeschlossen.

Geliefert wird wie bestellt, obwohl schon 2022 80 Prozent der erwachsenen EU-Bevölkerung mehrfach geimpft waren. Nach dem offiziellen Pandemie-Ende und dem Bekanntwerden von Impfschäden brach die Nachfrage für das Pfizer-Vakzin Comirnaty zusammen – und der staatliche Impfzwang ebenso. Am 12. Mai wurde sogar die Covid-19-Impfnachweispflicht für die Einreise in die USA von der Biden-Regierung aufgehoben.

Der Öffentlichkeit und dem Europaparlament (EP) wurden von der EU-Kommission nur geschwärzte Verträge vorgelegt, die von der zypriotischen Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides und ihrer italienischen Generaldirektorin Sandra Gallina pflichtgemäß unterschrieben worden waren. Adam Niedzielski, Polens Gesundheitsminister, bat Pfizer, von den Zwangslieferungen kulanzhalber entpflichtet zu werden. Verderben doch nicht nur dort Millionen Dosen Comirnaty. Sie müssen – da auch in Afrika und auf dem Westbalkan unerwünscht – teuer entsorgt werden. Auch Bulgarien, Litauen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Spanien und Ungarn wollen die EU-Bestellungen loswerden. Deutschland erhält – dank des „fürsorglichen“ SPD-Gesundheitsministers Karl Lauterbach – weitere zig Millionen „angepaßte“ Pfizer-Dosen.

Bourla muß zum Wohle der Pfizer-Aktionäre (darunter Blackrock, Vanguard und State Street) hart bleiben: Mindestens die Hälfte des Kaufpreises soll die Stornogebühr pro nichtproduzierter Impfstoffdose betragen. Für einen EP-Termin hat der Pfizer-Chef – trotz wiederholter Einladungen zu einem Untersuchungsausschuß – keine Zeit. Auch die redselige Ursula von der Leyen ist zu Interviews oder Aussprachen zum Pfizer-Thema nicht bereit. Der EU-Rechnungshof übte in einem ersten „Sonderbericht zur Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen“ nur leise Kritik: Es müßten „Lehren gezogen“ und der „Beschaffungsrahmen der EU für Pandemiefälle“ müsse hinterfragt werden.

4.625 Millionen Impfstoffdosen für 71 Milliarden Euro bestellt

Zwischen August 2020 und November 2021 hat die EU laut Rechnungshof bei acht Herstellern elf Verträge „im Wert von 71 Milliarden Euro unterzeichnet“, mit denen bis zu 4.625 Millionen Impfstoffdosen fest oder zumindest „optional“ bestellt wurden. Nicht nur bei Pfizer (2.400 Millionen Dosen) und Janssen (400), sondern auch bei Moderna (460), AstraZeneca (400) oder Novavax (200). Wie schon zu ihren Zeiten als Bundesverteidigungsministerin hat die ordnungsliebende Ursula von der Leyen ihre SMS natürlich gelöscht. Kritische EP-Anfragen, wie jene von Markus Buchheit (AfD/ID-Fraktion) bleiben unbeantwortet. Und wer profitierte eigentlich 2021 von den vervielfachten Aktienwerten bei Pfizer und Biontech?

Frédéric Baldan, ein seit 2018 bei der EU registrierter wallonischer Lobbyist, hat am 5. April in Lüttich Anzeige gegen die „mächtigste Frau der Welt“ (Forbes-Ranking 2022) erstattet. Laut der Pariser Zeitung France Soir geht es dabei um die mutmaßlichen Schäden für die öffentlichen Finanzen und den Vertrauensverlust „in den Staat als institutionelle Macht, die für das Gemeinwohl arbeitet“. Wie in Deutschland stammten auch in Belgien die meisten Corona-Impfdosen von Pfizer. Doch wird das „SMSgate“ und die Baldan-Anzeige tatsächlich zu ernsthaften Ermittlungen gegen Ursula von der Leyen führen?

Heiko von der Leyen scheint immerhin aus dem Schneider: Der Gatte der EU-Kommissionschefin ist zwar seit 2020 medizinischer Direktor von Orgenesis, doch zwischen der amerikanisch-israelischen Biotech-Firma und Pfizer gibt es laut dem Recherche-Portal Correctiv „keine Geschäftsbeziehungen“ und „keine maßgeblichen“ Beteiligungen. Für die EU-Bürgerbeauftragte, die irische Journalistin Emily O’Reilly, ist die undurchsichtige EU-Impfstoffbeschaffung zumindest „schlechte Amtspraxis“. Die tschechische EU-Vizekommissionspräsidentin Věra Jourová, zuständig für „Werte und Transparenz“, rührte das wenig: Es gebe keine neuen Erkenntnisse.

Leider gibt es seit dem Brexit kaum noch investigativen Journalismus – die schonungslose britische Presse interessiert sich nicht mehr für Brüssel und Straßburg. Die kontinentaleuropäischen Korrespondenten schreiben hingegen meist brav jene Erklärungen ab, die ihnen die Hundertschaften hochbezahlter Pressesprecher alltäglich vorsetzen. Dabei steht die nächste Milliarden-Bestellung unter Ausschluß der Öffentlichkeit bereits an: Artilleriegranaten und Raketen für die Ukraine. Um die Preise dürfte mit der Rüstungsindustrie kaum gefeilscht werden – es ist ja auch diesmal alternativlos.

„Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen durch die EU“ (Sonderbericht 19/22 des EU-Rechnungshofs):

 www.eca.europa.eu