Mit ihrer Gründung am 1. Juni 1998 übernahm die Europäische Zentralbank (EZB) die geldpolitische Verantwortung für zunächst elf von damals 15 EU-Mitgliedstaaten. Am 1. Januar 1999 wurde der Euro als Buchgeld eingeführt, drei Jahre später als Bargeld. Zugleich trat am 1. Januar 2001 auch Griechenland der Europäischen Währungsunion (EWU) bei – trotz einer Staatsverschuldung von fast 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die solider finanzierten EU-Staaten, unter anderem Dänemark und Schweden, behielten ihre nationalen Währungen – und dabei ist es geblieben.
Vor 25 Jahren begab sich die EU auf währungspolitisches Neuland: Es hatte noch nie zuvor ein funktionsfähiges supranationales Papiergeld bei verbleibender nationaler Autonomie gegeben. Den Architekten der EWU war bewußt, daß eine Währungsunion bei gegensätzlicher nationaler Politik nicht überleben würde. Daher sah der Maastricht-Vertrag von 1992 für den Beitritt zur Eurozone Konvergenzkriterien vor (Geldwertstabilität, solide Finanzen, übereinstimmende langfristige Zinsen und Wechselkursbindung), damit nur solche EU-Staaten aufgenommen würden, von denen erwartet werden konnte, daß sie die Anforderungen einer Stabilitätsunion erfüllen könnten. Diese Kriterien, so haben deutsche Politiker immer wieder gefordert, sollten eng und strikt ausgelegt werden. Als es darauf ankam, wurden sie weit und lax ausgelegt. Die EWU begann mit einem Wort- und Rechtsbruch.
Die erste Existenzkrise kam schon nach zwölf Jahren
Vor Gründung der EWU gab es zwei unterschiedliche geldpolitische Positionen: Geld ist zu wichtig, als daß wir es Experten überlassen dürfen (Frankreich); Geld ist zu wichtig, als daß wir es Politikern überlassen dürfen (Deutschland). Im bereits 1979 gegründeten Europäischen Währungssystem (EWS), dem auch Frankreich mit seinem Franc angehörte, war die D-Mark zur „économie dominante“ geworden. Sich deutschen Experten fügen zu müssen, empfand die „Grande Nation“ als unzumutbar. Der französische Staatspräsident, der Sozialist François Mitterrand, drängte daher Helmut Kohl, die D-Mark zu europäisieren. Der Euro hatte eine attraktive Nebenwirkung – das Zinsgeschenk. Wegen bislang unterschiedlicher Wechselkursentwicklungen – Abwertungsländer (Frankreich, Italien, Spanien und andere) auf der einen Seite, Aufwertungsländer (Deutschland, Niederlande und Österreich) auf der anderen Seite – gab es in der EU ein erhebliches Zinsgefälle. Bei Eintritt in die EWU erbten die Abwertungsländer das niedrige deutsche Zinsniveau. Dieses Zinsgeschenk nutzten sie aber nicht zur Sanierung ihrer Staatshaushalte und zur Modernisierung ihrer Industrie, sondern zur Steigerung des staatlichen und privaten Konsums und zu Investitionen in Immobilien. Konsequenz war eine sich rapide verschärfende private und öffentliche Verschuldung.
Als die bislang verschleierten hohen Budgetdefizite Griechenlands Ende 2009 offenkundig wurden und vermuten ließen, daß Griechenland auf einen Staatsbankrott zusteuere, hätte es aus der EWU ausscheiden müssen. Der Maastricht-Vertrag enthielt die Klausel (Artikel 125), daß weder die Euro-Mitgliedsländer noch die Gemeinschaft für die finanziellen Verpflichtungen eines einzelnen Mitgliedslandes einstehen. Alle Banken, die Griechenland im Vertrauen auf den Bestand der EWU Geld geliehen hatten, hätten hohe Verluste erlitten. Daher gab es erheblichen Druck auf die Politik, Griechenland entgegen den Vertragsvorschriften mit gemeinsamem Geld in der EWU zu halten.
Im Mai 2010 wurde nach dramatischen Krisentreffen der Euro-Staaten die Rettung Griechenlands beschlossen. Und da auch Irland, Italien, Portugal und Spanien in Finanzkrisen steckten, wurde in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai die Grundlage für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) geschaffen, die im Notfall bis zu 750 Milliarden Euro bereitstellen sollte – und das ohne jede gesetzliche Grundlage. So wurde aus der versprochenen Stabilitätsunion eine Haftungsgemeinschaft.
Als danach steigende Zinsniveaudifferenzen zwischen Deutschland einerseits und den früheren Abwertungsländern andererseits ein mögliches Auseinanderbrechen der EWU befürchten ließen, hat der damalige EZB-Präsident, Mario Draghi, im Auftrag der Politik einen weiteren entscheidenden Schritt in Richtung Haftungsunion gemacht. Er verkündete am 26. Juli 2012 auf einer Investorenkonferenz in London: Die EZB würde den Euro und damit die EWU mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln stützen – „whatever it takes … was auch immer es kostet“. Nun konnten die Finanzmärkte davon ausgehen, daß die EZB als Finanzier hinter den überschuldeten Mitgliedsländern stehen würde. Im September 2012 wurde die Ankündigung Draghis durch die Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro institutionalisiert.
Mehrfaches Versagen der Bundesregierung
Seitdem ist die Politik der EZB überdeterminiert: gesetzliche Vorgabe, die Geldwertstabilität zu sichern – versus zusätzlicher politischer Auftrag, die Eurozone zusammenzuhalten. Die EZB hat sich danach an ihrem politischen Auftrag orientiert. Mit dem Ankauf von Staatsanleihen und ihrer Nullzinspolitik hat sie auch für überschuldete Mitgliedstaaten den Weg zum Billigstgeld freigemacht. So hat sie den Zeitpunkt verpaßt, wo sie noch erfolgreich gegen den sich anbahnenden Preisauftrieb hätte vorgehen können – mit dramatischen Folgen: 2001 lag die Inflationsrate in der Eurozone im Schnitt bei 2,4 Prozent – 2022 waren es 8,4 Prozent.
Als sich die EZB schließlich zu einer Umkehr gezwungen sah, hat sie die Zinswende an eine Rückversicherung zugunsten hoch verschuldeter Eurostaaten gekoppelt: Sie hat sich vorbehalten, deren Staatsanleihen bei kritischen Situationen anzukaufen – „whatever it takes“. Der Euro ist nicht, wie 1992 versprochen wurde, die Übertragung der deutschen Stabilitätstradition auf die europäische Ebene; er folgt vielmehr der romanischen Linie, die Notenbank für politische Zwecke einzuspannen.
Doch daran ist die Bundesregierung nicht unschuldig. Vor dem Bundesverfassungsgericht und auch vor dem Europäischen Gerichtshof stand sie nicht hinter der Bundesbank, sondern stützte den Kurs der EZB. Als man 2019 bei der Wahl zum EZB-Präsidenten den deutschen Kandidaten, Bundesbankpräsident Jens Weidmann, eigentlich nicht hätte übergehen können, hat sich Angela Merkel von Emmanuel Macron ihre CDU-Parteifreundin Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin aufschwatzen lassen. Dafür geht die frühere französische Finanzministerin Christine Lagarde in der EWU den romanischen Weg weiter.
Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom. Er war Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und EU-Abgeordneter.