Nach monatelangen Kämpfen scheint die russische Seite den Sieg um die ostukrainische Stadt Bachmut errungen zu haben. Ein Internet-Video zeigt einen Fallschirmjäger der „Wagner“ Truppe nach eigenen Angaben beim Absprung mit einer Flagge der Einheit über der von Rußland „Artjomowsk“ genannten Stadt.
Der Anführer der Gruppe, Jewgenij Prigoschin, sagte in einem Statement, mit der Einnahme Bachmuts ende „nach 224 Tagen der harte Kampf um die Stadt“. Vereinzelte Vorstöße der ukrainischen Seite in den letzten Tagen bezeichnete Prigoschin als „PR-Spektakel“, um die „ukrainische Moral zu heben“. Diese Vorstöße seien alle zurückgeschlagen worden.
Die ukrainische Seite wollte den Verlust der Stadt zuletzt nicht bestätigen und sprach von weiter anhaltenden Feuergefechten in der Stadt, Bachmut sei außerdem von eigenen Einheiten umstellt worden. Auffallend häufig verwiesen in den letzten Wochen westliche Quellen und die ukrainische Regierung auf den „kaum vorhandenen strategischen, taktischen oder ideellen Wert“, den Bachmut in diesem Krieg habe.
Beide Seiten einig, daß die Schlacht verlustreich war
Warum Rußland willens sei, so viel Material und Leben in den Kampf um Bachmut zu investieren, bezeichnete ein anonym bleibender Offizier der Ukraine gegenüber westlichen Medien als „rätselhaft“. In russischen Kanälen werden derartige Aussagen als Eingeständnis der Niederlage verstanden. „Wenn Bachmut so unwichtig ist, warum haben sie dann sinnlos so viel Material auf seine Verteidigung verschwendet?“ fragte ein Nutzer. Die Stadt liegt an der Kreuzung zweier Fernstraßen, einzelne westliche Beobachter fürchten, daß eine Einnahme der Stadt den Weg für schnelle Vorstöße russischer Truppen in die Tiefe des bisher von der Ukraine gehaltenen Raumes ebnen könnte.
Einig sind sich beide Seiten darin, daß die Schlacht um Bachmut für die russischen wie für die ukrainischen Kräfte äußerst verlustreich war. Als „Fleischwolf“ wurde der Schlachtverlauf um die Stadt beschrieben, „in Gruppen von 40 bis 50 Männern“ seien die Wagnerleute auf seine Stellung zugestürmt, beschreibt ein Ukrainer die Schlacht. Jeden Meter hätten die Russen „mit Blut“ bezahlt.
Tatsächlich beschrieb auch Prigoschin in den Tagen vor der Einnahme die Kämpfe als verlustreich und beschimpfte in seinen Videos ranghohe Politiker Rußlands. Diese seien für die Munitionsknappheit verantwortlich. In einzelnen westlichen Quellen wird nun gemutmaßt, es könnte sich bei Bachmut auch um einen Versuch gehandelt haben, die Gruppe Wagner und ihren Chef abzustrafen.
Auffällig ist, daß Prigoschin offenbar intern auf eine schnelle Übergabe der Stadt an die reguläre Armee drängt. Sein Kalkül: Wenn wirklich die letzten Ukrainer die Stadt verlassen haben, wären seine Leute in der ausgebombten Stadt ein leichtes Ziel für die feindliche Artillerie. Der „Fleischwolf“ Bachmut ginge so in die nächste Runde.
Im Westen befeuert diese ukrainische Niederlage die Debatte um die Lieferung von F16-Kampfflugzeugen an Kiew. Während viele europäische Staaten diese weiterhin ablehnen, erklärten sich die Niederlande bereit, „unter Umständen“ den Anfang zu machen. Ein großes Fragezeichen bleibt das Training der ukrainischen Piloten. Auch deswegen bezeichnete US-Präsident Joe Biden eine solche Lieferung nicht als „kurzfristige“ sondern als „langfristig angelegte Hilfe“. Die Niederlande bezeichneten eine Lieferung „Mitte 2024“ als denkbar.