Glatt wie die See an einem windstillen Tag breitete sich das Chot el Djerid vor uns aus. Nirgendwo kräuselte sich eine Welle, nirgends reckte eine Düne ihr sandiges Haupt in die Höhe. Am Horizont meinten wir die Ufer des Meeres zu erspähen. Doch was sich in der grellen Sonne widerspiegelte, war nur eine Fata Morgana. Das nächste Gewässer war dreihundert Kilometer entfernt. Im Chot el Djerid spürt man die erhabene Ewigkeit der urtümlichen Sahara mit jedem Atemzug und jedem Lidschlag. Das Ende unserer Reise, rekapitulierten wir, ist gleichsam der Beginn von Karl Mays wundersamem „Orientzyklus“. Wir standen auf dem gleichen Sand, auf dem vor Generationen Kara Ben Nemsi und sein treuer Gefährte Hadschi Halef Omar ihr erstes Abenteuer erlebten. Ihren Fährten wollten wir folgen.
Plötzlich kreuzt eine Dromedarfamilie unseren Pfad, ihr kleines Kälbchen behutsam in der Mitte.
Dabei stand zu Beginn ein unglücklicher Stern über unserer Expedition: Erst fegte ein Sandsturm über unseren Ausgangshafen auf der Insel Djerba im Süden hinweg. Diesem folgte ein Unwetter, das Straßen und Plätze überschwemmte. Und kaum war der Regen abgeflaut, flammte der Terror auf und hinterließ fünf Tote in der Synagoge Djerbas. Das Gotteshaus war schon im April 2002 Anschlagsziel von Al Kaida. Damals starben 19 Menschen, darunter 14 Deutsche. An Polizei und Militär entlang quälte ich mich mit meinem Wagen in Richtung Festland. Helikopter am Himmel; Straßensperren durchsuchten jedes Fahrzeug nach Sprengstoff und Waffen. Erst inmitten der Sahara fielen Lärm und Hektik wie unnützer Ballast von der Seele.
Mein arabischer Begleiter und ich reisten mit leichtem Gepäck. Stunden waren wir bereits gewandert, nur notdürftig vor der Hitze mit Stoffen verhüllt. Als die Sonne im Zenit stand, tauchten Schatten vor unseren Augen auf. Diesmal wurden wir nicht getäuscht – eine Dromedarfamilie kreuzte unseren Pfad, ihr kleines Kälbchen behutsam in der Mitte beschützt. Ein letztes „Ma‘a s-salama!“, dann trennten sich die Wege der beiden einsamen Karawanen erneut.
Zwei Nächte später kamen wir in einem Dorf am Rande der Wüste bei einem jungen Araber unter. Mit Ende Zwanzig besaß er schon zwei üppige Häuser von europäischem Standard. Was ihn wohlhabend machte?, fragten wir. „Home Office!“, lachte er in bestem Englisch. Er hatte in Tunis Informatik studiert und arbeitet seitdem für ein Handelsunternehmen aus der Schweiz, deren Websites er von seiner Heimat aus pflegt. Mit Schweizer Gehalt läßt sich das Leben in der Sahara fürstlich bestreiten. Wehmütig denken wir beim Aufbruch zurück an unseren neuen Freund, an die Dromedare und auch an Karl May, der von diesem Chot einst schrieb: „Wer in der Wüste schmachtet, der lernt den Wert des Tropfens erkennen, der dem Dürstenden das Leben rettet.“