© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/23 / 26. Mai 2023

Der Bauer, der Minister und das Vieh
Grüne Agrarpolitik: Immer weniger Fläche, immer weniger Bauern, dafür immer größer werdende landwirtschaftliche Betriebe. Wie stark gefährden Öko-Phantasien die Lebensmittelversorgung in Deutschland?
Martina Meckelein / Harald Melzer

Erst ein vorsichtiges Schnauben. Dann kommt die dicke, mit Maissilage panierte Nase der hingestreckten Hand neugierig entgegen. Blitzschnell fährt die rauhe Zunge aus dem Maul, wickelt sich erst um die Finger und dann um die ganze Hand. Begrüßung auf kuhisch. Auch wenn der 18 Monate alte Bulle zutraulich schaut, zum Glück trennen dicke Stahlgitter den Besucher und das 600 Kilo schwere Rindvieh. Im Herbst wird das Tier geschlachtet. Ein ganz normaler Bauernhof im Südosten Brandenburgs. Er ernährt Christoph Schulz (37), seine Familie und seine Angestellten. Doch wie wirtschaftet es sich in Zeiten grüner Politik? Die JUNGE FREIHEIT vor Ort.

„Unser Ansatz ist es, einen runden Betrieb zu haben, in dem wir einen geschlossenen Kreislauf herstellen, von der Geburt bis zum Tod“, sagt Schulz auf seinem Hof in Schenkendöbern. Sein Schlachtbetrieb ist EU-zertifiziert. „Der ist aus der BSE-Krise vor über 20 Jahren entstanden. Heute verarbeiten wir das ganze Tier selbst, von der Nase bis zum Schwanz.“ Chef der Schlachterei ist sein Vater, ein gelernter Metzger, der vor Jahrzehnten aus diesem Handwerk zur Landwirtschaft kam. „Es ist ein aussterbendes Handwerk“, sagt der Bauer, „unser jüngster Schlachter ist 63, der älteste 70 Jahre alt.“

300 Jahre betreibt die Familie von Christoph Schulz nun Landwirtschaft. In all der Zeit stellte sich die Familie auf die sich ständig ändernden Bedingungen ein. Selbst in der DDR hat sie ihre eigenen kleinen Flächen weiterbetrieben und parallel dazu in der LPG mitgearbeitet. Für ihn war die Übernahme des Hofes keine Frage. „Wissen Sie, viele gehen mit 25 in die Industrie, die sieht man nie wieder in der Landwirtschaft. Für mich stand allerdings, jedenfalls glaube ich das, solch ein Rucksack nie in der Tür. Da wächst man einfach rein.“ Schulz ist Landwirtschaftsmeister, bewirtschaftet mit seinen zwölf Mitarbeitern 800 Hektar.

Im Osten sind die Bauernhöfe immer noch weitaus größer als im Westen (siehe Diagramm). Die Durchschnittsgröße der Betriebe in Deutschland liegt bei 63,2 Hektar. 16,6 Millionen Hektar Fläche werden in Deutschland von 262.800 Betrieben landwirtschaftlich genutzt. Das ist ungefähr die Hälfte der Fläche Deutschlands, schreibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. In zehn Jahren verringerte sich die Anzahl der Betriebe um 36.400, das entspräche einer Abnahme um 1,3 Prozent jährlich. Der Rückgang der Betriebe ist das eine, der Flächenverbrauch das andere Problem. „Hier und da ein paar Quadratmeter Zuwachs sind geschenkt, aber wir brauchen definitiv keine neuen Wohn- und Gewerbegebiete und erst recht keine neuen Straßen“, erklären die Freien Bauern, die Interessenorganisation bäuerlicher Familienbetriebe. Von 2016 bis 2021 sank der Anteil landwirtschaftlicher Nutzfläche laut Umweltbundesamt um 204.700 Hektar. Täglich werde eine Fläche von 58 Hektar als Siedlungs-, Verkehrs- oder Naturschutzfläche meist zu Lasten der Landwirtschaft neu ausgewiesen. Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zum Ziel gesetzt, bis 2030 die Fläche auf unter 30 Hektar täglich zu verringern. Die Freien Bauern fordern hingegen, „daß der Verbrauch landwirtschaftlicher Fläche komplett eingestellt wird, statt ihn sinnloserweise mit dem Verbrauch von noch mehr landwirtschaftlicher Fläche für Naturschutz zu kompensieren.“

Schulz übernahm nach seiner Ausbildung noch zwei Betriebe aus der Nachbarschaft. Die Wende machte es möglich. Auf dem Hof in Schenkendöbern wurde sein Vater geboren. Der lebt jetzt auf dem Altenteil. „Das ist hakelig, zumal wenn der Vater noch gar nicht so alt ist“, sagt der junge Schulz schmunzelnd. Auf seinem Hof hat er sich nicht auf ein Produkt festgelegt. Mutterkuh- und Legehennenhaltung, Bullen-, Hühner- und Schweinemast. Seine Produkte vermarktet er direkt im eigenen Hofladen. Darüber hinaus Forstwirtschaft, der Getreideanbau für die Tiere und eine Biogasanlage: „Die ist ein wichtiger Baustein, in dem wir den Mist aus der Tierhaltung verarbeiten. Gleichzeitig versorgt die Biogas-Anlage den gesamten Hof inklusive aller Ställe mit ausreichend Energie, so daß das Unternehmen und die Familie energieautark leben können.“

Von 15 Jahren als Bio-Bauer hat Schulz Abstand genommen

Ein Problem aller Landwirte sind die sich ständig verändernden Gesetze. „Bei uns ist es noch einmal gutgegangen, aber das Vertrauen der Unternehmen in die Politik ist erschüttert“, berichtet der Bauer. „Man weiß nicht, was lassen die sich als nächstes einfallen.“ Mit „die“ ist das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Cem Özdemir (Grüne) gemeint. Die Kritik der Bauern: Flächenreduzierung, enorme Bürokratie, die GAP (Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union) und die damit verbundenen Entscheidungen vom grünen Tisch.

„Durch den Beitritt der osteuropäischen Länder in die EU ist der ganze Agrarmarkt noch mehr unter Druck geraten“, sagt Schulz. Angesprochen auf die neuen Gesetze der Behörde berichtet Schulz von Ausgleichsflächen und Stillegungen: „In der Regel ist es so, daß wir viele Baustellen mit der Politik haben. Wir haben die Pflicht, vier Prozent unserer bewirtschafteten Fläche stillzulegen“. Diese Pflicht sei wegen des Ukrainekriegs für das Jahr 2023 ausgesetzt worden mit der Maßgabe, daß kein Energiesubstrat wie Raps angebaut werden dürfe. „2024 greift aber die Stillegungspflicht wieder. Ich kann damit leben, da ich auch schwache Böden habe und zusätzlich Tiere halte.“

Schwerer wiege das in fruchtbaren Gegenden wie in der Magdeburger Börde oder in Süddeutschland. Die Kollegen bemitleide er: „Die sind richtig gebeutelt. Das ist ein Riesenproblem für einen Standort, an dem man gut Ackerbau betreiben könnte.“ Es komme vor, daß Betriebe aus für die Landwirtschaft günstigen Lagen wie Niedersachsen, Bayern oder dem Frankenland in brandenburgischen Betrieben anrufen, um Flächen zu pachten. So wollen sie ihrer Stillegungspflicht genügen. „Wie nennt man das in der Industrie?“, fragt er und gibt selbst die Antwort: „Richtig, Greenwashing!“

Ein weiteres Problem sieht Schulz im Umgang und den Vorgaben der Politik, wenn es sich um Rückgewinnung der Energie handelt. „Anfang des Jahres ging es mit diesen hohen Strompreisen los“, sagt er. „Es sind alle verrückt geworden.“ Der Strompreis schwanke stark: Bei hoher Nachfrage und geringem Angebot ist er hoch, sonst niedrig. Die Überlegung der Politik dabei: Wenn der Wind weht und die Sonne scheint, könne man die Biogasanlagen drosseln und so eine CO2-arme Grundlastversorgung sicherstellen. Aber an der Strombörse wurde spekuliert. Deshalb wurde mit der Stromeinspeisung gewartet, wenn der Einspeisepreis zu niedrig war. Wenn der Preis abends stieg, dann speisten alle ein und es gab zuviel Strom. „Das ist einfach nicht durchdacht – eine grüne Grundlastversorgung ist so nicht möglich“, meint Schulz.

15 Jahre war er Bio-Bauer, erzählt er, und geht mit langen Schritten von den hellen Rinderstallungen den betonierten Feldweg hinauf zu den Hühnergehegen. „Wegen der zunehmenden Vorschriften sind wir aber wieder auf konventionelle Landwirtschaft umgestiegen.“

Daß heutige konventionelle Tierhaltung mitnichten etwas mit den Horroraufnahmen des begnadeten Tierfilmers und Naturschützers Horst Stern aus den 70er Jahren zu tun haben muß, sieht der Besucher beim Anblick seiner freilaufenden Legehennen. 1.800 Hühner leben in sechs Völkern in mobilen Ställen. „Wir fingen mit 250 Hühnern an und wollten die Eier hier im Hofladen verkaufen.“ Schnell merkte er, daß ohne Werbung nichts läuft, auch kein Eierverkauf. „Nach zwei Wochen konnte auf dem Hof keiner mehr von uns Eierspeisen sehen.“ Heute vermarktet Schulz seine Produkte im eigenen Laden. Vor der Hofeinfahrt steht auch eine Kartoffelkiste, die vom Nachbarn bestückt wird, und sein Eierschrank zur Selbstbedienung.

Wie bekommen unsere Bauern 85 Millionen Bürger satt?

Die mobilen Hühnerställe werden einmal pro Woche umgesetzt, so daß die Hühner immer einen grünen Auslauf haben. Denn Hühner bleiben nah am Stall, dort wächst in kürzester Zeit kein Gras mehr und die nächste Parzelle ist fällig.

Zum Eierlegen verschwinden die Vögel im Stall und suchen sich ein dunkles und weiches Plätzchen, das mit Getreidehülsen gefüllt und von außen mit einer Klappe gesichert ist. Durch diese Klappe greift der Landwirt dann bequem, ohne den Stall betreten zu müssen, und sammelt die Eier aus den Nestern.

Doch nicht alles Geflügel hier legt Eier. In den Ställen und auf den Wiesen rennen auch junge Hähne herum. Schulz erklärt uns: „Jedes Huhn hat einen Bruder Hahn. Wir sind gesetzlich verpflichtet, diesen mit großzuziehen. Klar, man kann schon im unausgebrüteten Ei erkennen, ob es sich um einen Hahn oder eine Henne handelt. Allerdings erst ab dem neunten Tag. Danach kann man theoretisch noch selektieren, allerdings nicht nach deutschem Recht, denn man hat festgestellt, daß dieser Embryo bereits ein Schmerzempfinden hat.“

Die Hähne werden auf vielen Höfen in Deutschland oder in osteuropäischen Staaten aufgezogen, teils wieder nach Deutschland zurückgefahren. Allerdings möchte niemand das Fleisch dieser Hähne essen. Es verfügt über eine sehr eigene Geschmacksnote und ist recht langfaserig. Ergebnis: Es wird zu Hundefutter verarbeitet. Aufzucht und Transport gehen ins Geld, aber: „Der Deutsche ist gewillt, mehr Geld für seinen Hund auszugeben, als für seine eigene Ernährung“, meint Christoph Schulz. Auch auf die Qualität der Eier sei der Bundesbürger weniger bedacht, da schiele er eher auf die Größe. Besonders wichtig für die Direktvermarktung sind alte Legehennen. „Je älter die Henne, desto größer das Ei“, sagt er. „Dabei ist das Ei bei jungen Hennen kleiner, die Schale dafür um so fester.“ Doch der Deutsche will große Eier, während der Franzose lieber kleinere Eier ißt. So kommt es vor, daß Eier zwischen den Nachbarstaaten ausgetauscht werden, um den jeweiligen Markt zu bedienen.

Die gemeinsamen Märkte verbindet die Gemeinsame Agrarpolitik der EU. Sie „unterstützt weitere Schritte auf dem in Deutschland eingeschlagenen Weg einer Transformation hin zu einem nachhaltigen und resilienten Agrar- und Ernährungssystem und zur Schaffung attraktiver ländlicher Räume.“ Für Schulz ein alter Hut: „Wir können alles: Nahrungsmittel produzieren und im Einklang mit der Natur leben, nichts ist nachhaltiger als die Landwirtschaft.“ Allerdings gibt er zu bedenken: „Wir müssen in Deutschland 84 bis 85 Millionen Menschen satt bekommen. Wenn wir die hiesigen Produktionsbedingungen so zurückfahren und sagen, wir verzichten auf Ertrag, muß klar sein, daß Lebensmittel aus dem Ausland kommen. Und das ist nicht nachhaltig.“

Die JF fragte beim Bundeslandwirtschaftsministerium nach. Unter anderem baten wir um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen, daß das Ministerium die Bürokratisierung vorantreibe, Bauern durch seine Politik in den Ruin treibe. Wir fragten auch, ob die deutschen Bauern noch in der Lage seien, die deutsche Bevölkerung zu ernähren und ob die Regierung plane, Nahrungsmittel zu rationalisieren. Bis heute erging keine Antwort.