Jetzt auch noch die Doktorarbeit. Nachdem Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen in der vergangenen Woche seinen Posten aufgrund der Trauzeugen-Affäre und des dichten Netzwerks familiärer Verflechtungen im Wirtschaftsministerium und den vorgelagerten Umwelt- und Klimaschutzorganisationen räumen mußte, rückte nun auch seine Promotion in das Fadenkreuz der Öffentlichkeit. Der Vorwurf: In seiner Doktorarbeit seien Unregelmäßigkeiten beim Zitieren aufgetaucht.
Der Plagiats-Experte Jochen Zenthöfer hatte Graichens Dissertation zum Thema „Kommunale Energiepolitik und die Umweltbewegung“ für die Bild am Sonntag unter die Lupe genommen und mehrere Verdachtsstellen gefunden. „Es handelt sich um 30 Plagiatsfragmente, die teilweise aus mehreren Sätzen bestehen“, sagte Zenthöfer der Zeitung. Die Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis seien evident, auch eine „Täuschungsabsicht ist naheliegend“, lautete das Fazit des Experten. Graichen, der die Vorwürfe zurückweist, trat daraufhin die Flucht nach vorne an und bat nach eigenen Angaben die Universität Heidelberg um eine Überprüfung seiner Doktorarbeit.
Auch wenn das Ergebnis der Überprüfung noch aussteht, zeigt dieser Vorgang, daß die Affäre um Graichen mit all ihren Weiterungen für Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch lange nicht ausgestanden ist. Das geht auch aus einer am Montag veröffentlichten Insa-Umfrage hervor. Demnach fordern 50 Prozent der Deutschen den Rücktritt des Ministers. 28 Prozent der Befragten sind dafür, daß Habeck weitermacht, 16 Prozent ist es egal, ob er bleibt. Diese für Habeck katastrophalen Zahlen gehen einher mit der fortgesetzten Talfahrt der Grünen in der Sonntagsfrage. An der Basis und unter den Funktionären wächst angesichts der öffentlichen Demontage ihres bisherigen Hoffnungsträgers für die nächste Kanzlerkandidatur auch deshalb die Sorge um die Zukunft, weil sich die Grünen plötzlich mit einem wachsendem Gegenwind in der Öffentlichkeit und den Medien konfrontiert sehen. Für viele eine ungewohnte Erfahrung.
Unterdessen hat eine Anfrage des wirtschaftspolitischen Sprechers der AfD-Fraktion im Bundestag, Leif-Erik Holm ergeben, daß das Öko-Institut in dem Graichens Geschwister Verena und Jakob arbeiten, seit Beginn der Legislaturperiode Aufträge in Höhe von mindestens 11,6 Millionen Euro bekommen hat. Davon entfallen allein 6,8 Millionen Euro auf den Geschäftsbereich des Klima- und Wirtschaftsministeriums, zu dem auch die Aufträge durch das Umweltbundesamt zählen, bei denen das Habeck-Ressort federführend war.
Bundestag nimmt Heizungsgesetz von der Tagesordnung
Das ist deutlich mehr, als bislang bekannt und vom Wirtschaftsministerium öffentlich gemacht worden war. Der zweite große Auftraggeber für das Öko-Institut ist das Bundesumweltministerium. „Das Ausmaß des grünen Filzes zwischen Bundesregierung und Öko-Lobby ist offenbar noch viel größer als bislang bekannt“, sagte Holm der JUNGEN FREIHEIT. Dies zeige die millionenschwere Auftragsvergabe an das Öko-Institut der beiden Geschwister Graichen. „Es war überfällig, daß Minister Habeck endlich die Notbremse gezogen hat. Das Wirtschaftsministerium war mit Patrick Graichen zum Ministerium für Vetternwirtschaft und Klüngelschutz geworden.“ Dieser Schritt reiche aber nicht aus: Habeck müsse endlich reinen Tisch machen und mit dem gesamten grünen Filz in seinem Ministerium und den nachgeordneten Behörden aufräumen. „Die AfD wird ihm dabei gerne helfen und beantragt einen Untersuchungsausschuß zu der sich immer weiter ausweitenden Affäre“, kündigte Holm an.
Am Montag wurde schließlich bekannt, daß der hessische Wirtschaftsstaatssekretär Philipp Nimmermann nach Berlin wechselt und Nachfolger von Graichen wird. Nimmermann gilt indes nicht als Wirtschafts- oder Energieexperte, sondern als Finanzfachmann. Der promovierte Ökonom war bis 2014 bei einer Frankfurter Privatbank beschäftigt, bevor er als Finanzstaatssekretär in die Politik und nach Schleswig-Holstein wechselte. Doch eine Eigenschaft, die ihm zugeschrieben wird, könnte den arg angeschlagenen Grünen jetzt in dieser prekären Situation durchaus weiterhelfen, denn Nimmermann gilt nicht als Ideologe, sondern als Pragmatiker, der auch vor Kompromissen nicht zurückschreckt, um ans Ziel zu kommen.
Und für Habeck und seine Partei hängt viel davon ab, daß Nimmermann möglichst reibungs- und geräuschlos die Stelle von Graichen übernimmt, um zumindest an dieser Front wieder für Ruhe und Stabilität zu sorgen. Denn mittlerweile droht Habeck auch an einer anderen Stelle in seinem Ministerium Ungemach. Auch der für Start-ups zuständige Staatssekretär Udo Philipp sieht sich dem Vorwurf von Unregelmäßigkeiten ausgesetzt. Laut Business Insider war Philipp an der Berufung eines Beraters beteiligt, in dessen Fonds er zuvor Geld investiert hatte. Das Ministerium bestätigte am Sonntag: „Die Berufung des Beirats erfolgte durch Leitungsvorlage.“ Das bedeutet, daß Habeck eine Vorschlagsliste aus dem eigenen Haus abzeichnete. „Wie üblich war daran der zuständige Dienstweg beteiligt, zu dem unter anderem Staatssekretär Philipp gehört“, teilte das Ministerium weiter mit.
Im Windschatten der Affäre und unter dem Eindruck der immer breiteren Widerstände gegen Habecks Heizungsgesetz (siehe unten) haben die Ampel-Fraktionen die Beratungen darüber für diese Woche von der Tagesordnung des Bundestags genommen; auf Druck der FDP – und zum Leidwesen der Grünen.