Diese Studie sollte der Landesregierung in Erfurt zu denken geben – und nicht nur ihr: Knapp über die Hälfte der Thüringer fühlt sich von der Landespolitik vernachlässigt. So sind 53 Prozent der Ansicht, in Erfurt setze man sich nicht ausreichend für die wirtschaftliche Entwicklung in ihrer Region ein, 41 Prozent denken, die politisch Verantwortlichen des Freistaats interessierten sich nicht ausreichend für ihre Region. Das geht aus dem aktuellen „Thüringen-Monitor“ hervor, einer jetzt veröffentlichten repräsentativen Studie über die politischen Einstellungen der Bewohner des Landes, die Wissenschaftler der Universität Jena alljährlich im Auftrag der Erfurter Staatskanzlei erheben.
Noch unzufriedener ist man zwischen Eisenach und Altenburg mit der Bundespolitik. 70 Prozent der Befragten denken, an ihnen und ihren Lebensbedingungen seien die Politiker in Berlin nicht interessiert. Das Vertrauen in die Bundesregierung ging das zweite Jahr in Folge und stark auf 22 Prozent zurück. Das entspricht einem Minus von 15 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr und ist damit der niedrigste Vertrauenswert seit 16 Jahren. Auch der dunkelrot-rot-grünen Landesregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) vertrauen nur noch 40 Prozent der im vergangenen Jahr Befragten. 2020 waren das noch 53 Prozent. Noch niedriger liegen diese Werte in den ländlichen Regionen des Freistaats.
Stark gesunken ist den Erhebungen zufolge auch der Rückhalt für die Demokratie, „so wie sie in Deutschland in der Praxis funktioniert“: Waren vor zwei Jahren noch knapp zwei Drittel der Befragten damit zufrieden, ging dieser Wert 2022 auf 48 Prozent zurück. Im ländlichen Raum beträgt der Zustimmungswert soger nur 41 Prozent. Somit äußerte sich eine Mehrheit der Bürger unzufrieden. Und 61 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, es sei „Zeit, Widerstand gegen die aktuelle Politik zu leisten“. Das bezieht sich laut den Forschern indes nicht auf die grundsätzliche Zustimmung zur Demokratie als Staatsform. Sie hält eine große Mehrheit der Thüringer (vier von fünf) nach wie vor für die beste. Überhaupt legt der Monitor wert auf die kleinen, aber feinen Unterschiede. So sei zwar die Tendenz zu „populistischen“ Einstellungen gestiegen, aber, so die Autoren der Studie: „Der einstellungsmäßige Populismus in Thüringen kann daher überwiegend nicht als rechtspopulistisch bezeichnet werden.“ Beispielsweise stimmten 64 Prozent der Befragten der Aussage zu, wonach die „Herrschenden und Mächtigen in unserer Gesellschaft gegen die Interessen der einfachen Bevölkerung“ handeln.
Rechtsextreme Einstellungen bezüglich einer autoritären Demokratieablehnung teilten indes nur wenige Thüringer. Und die Zustimmung zu neo-nationalsozialistischen Einstellungen nahm in den vergangenen Jahren immer weiter ab. Eine kritische Haltung zu den Folgen der Migration ist im Freistaat verbreitet: So sind 41 Prozent der Meinung, Ausländer kämen „nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“.
Was der Monitor noch feststellte: Das Gefühl „abgehängt“ zu sein, ist vor allem dort verbreitet, wo man durch Abwanderung dauerhaft zur „Verliererregion“ zu werden droht.