Prägnant formuliert und angesichts des Ukrainekriegs hoch aktuell ist das Motto des 73. Sudetendeutschen Tages (ST) in der oberpfälzischen Patenstadt Regensburg: „Schicksalsgemeinschaft Europa“. Als Vertreter der Prager Regierung kommt der frühere Europaminister Mikolas Bek von der Bürgermeisterpartei Stan, der jetzt das Bildungsressort leitet, an die Donau. Auf den Programmankündigungen war das Mitglied des Kabinetts von Petr Fiala bis vergangene Woche noch nicht genannt. Daraus kann man schließen, daß es einiger interner Debatten bedurfte, bis man sich über die Entsendung eines Regierungsmitglieds einig war.
Zur Erinnerung: Im Jahr 2022 war die erste Garnitur der Prager Politik dem Treffen ferngeblieben, nur der ehemalige Vizeministerpräsident Pavel Belobradek überbrachte eine kurze Grußbotschaft. Die bayerische Staatskanzlei und der Sprecher der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, haben alles darangesetzt, damit diesmal wenigstens ein Kabinettsmitglied den Weg zu den ehemaligen Landsleuten findet.
Vor allem Posselt, dem ein direkter Draht zu Premierminister Fiala nachgesagt wird, hat seine Verbindungen genutzt, damit sich das irritierende Bild von 2022 nicht wiederholt. Und er hat keine Gelegenheit verstreichen lassen, auch Staatspräsident Petr Pavel zu loben. Im Interview mit der Prager Zeitung Lidove Noviny sagte Posselt, er hoffe, „daß Herr Präsident – auch angesichts seiner Herkunft aus Plan im Egerland – deutlich mehr Aufmerksamkeit der Situation im Grenzgebiet schenken wird. Letztendlich war er seit seiner Wahl schon mehrmals da. Daher bin ich zuversichtlich, daß er auch einer Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit positiv gegenüberstehen wird.“ Mit einer Beurteilung von Pavels Position in der ungelösten sudetendeutschen Frage hielt sich der oberste Sprecher der Landsmannschaft zurück.
Daß auch das Thema Ukraine das traditionelle Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft im Jahr 2023 bestimmen wird, kam in den Aussagen des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) zum Ausdruck. Die Erfahrungen der Sudetendeutschen, sagte der Schirmherr der Volksgruppe, seien in dieser Situation von besonderem Wert.
Der ST in Regensburg, das darf nicht übersehen werden, findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem die in Prag regierende Koalition von Premierminister Petr Fiala zunehmend auf Unmut in der tschechischen Bevölkerung stößt. Das Ergebnis einer aktuellen Meinungsumfrage weist der Regierung nur noch 43 Prozent der Stimmen zu, hätte also derzeit keine Mehrheit mehr. Deutlich in Führung lag Mitte Mai die Partei Ano des ehemaligen Premierministers Andrej Babis.
Prag scheut noch den Dialog mit seinen einstigen Landsleuten
Die innenpolitischen Probleme, das darf man annehmen, sind mit ein Grund dafür, daß sich die Regierung Fiala in Fragen des Umgangs mit den Sudetendeutschen nach Möglichkeit zurückhält. Der berühmt-berüchtigte „böhmische Knoten“ bleibt also fürs erste fest geknüpft. Bei Präsident Pavel und anderen tschechischen Spitzenpolitikern ist in offiziellen Texten stets von tschechisch-deutschen (oder -bayerischen) Beziehungen die Rede – über die spezifischen sudetendeutsch-tschechischen Probleme wird meist geschwiegen. Dieses Faktum läßt sich nicht so schnell wegwischen. Es gibt zwar gute Gesprächs- und Dialogforen auf unterer Ebene und viele freundschaftliche Begegnungen. Doch auf offizieller politischer Ebene scheut Prag noch immer den direkten Kontakt mit den ehemaligen Mitbürgern. Nur zaghaft, allzu zaghaft löst sich die Verkrampfung.
Die Entsendung eines tschechischen Ministers zum Sudetendeutschen Tag in Regensburg macht allein noch keinen neuen sudetendeutsch-tschechischen Frühling. Es ist eine schöne Geste, mehr aber nicht. Wenn, wie geschehen, Präsident Pavel den Vertriebenen und Volksgruppensprecher Posselt für die „Verbesserung der Beziehungen“ dankt, wird man wohl kaum der Frage ausweichen können: Welchen Beitrag hat das offizielle Prag dazu geleistet? Was ist sein Inhalt? Kommt da möglicherweise noch etwas oder entspricht der Dank nur der üblichen Politrhetorik?
Unter Sudetendeutschen fragt man sich in diesen Tagen, ob nicht mit dem „Dank“ ein Keil zwischen der SL-Spitze und die mißtrauisch gewordenen Mitglieder der Landsmannschaft (JF 7/23) getrieben werden soll.