Herr Lee, Ex-Regierungssprecher Bela Anda kritisiert in der „Bild“, wir – die Städter – „wissen gar nicht, was auf dem Land los ist“.
Anthony-Robert Lee: Ja, ich habe das Interview auch gesehen. Der Mann hat vollkommen recht!
Was ist bei Ihnen auf dem Land denn los?
Lee: Einerseits immer weniger: Als ich Kind war, gab es in Möllenbeck fünf Kneipen, zwei Banken und einen Supermarkt. Alle weg! Inzwischen gibt es bei uns nicht einmal mehr einen Geldautomaten. Und dank der verrückten Politik Herrn Habecks hat nun auch der letzte Bäcker zugemacht.
Und andererseits?
Lee: Andererseits ist immer mehr los, denn die in Deutschland beliebten „Wenden“ dürfen oft wir auf dem Land ausbaden! Beispiel Energiewende: Die ist keineswegs, wie Städter sich das vorstellen, idyllisch, sondern führt wegen der enormen Anzahl benötigter Windräder dazu, daß unsere Heimat zugespargelt wird. Das aber ist nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern bedeutet auch Lärmbelastung, Lichtverschmutzung und Wertminderung.
Lärmbelastung und Lichtverschmutzung?
Lee: Mit Verlaub: Typisch Städter! Sie glauben wohl, die Dinger säuseln im Wind? Von wegen, da ist richtig was los! Die machen ordentlich Lärm, und nachts blinkt und blitzt es, als sei Jahrmarkt.
Allerdings lassen sich die Leute auf dem Land die dafür benötigten Flächen doch reichlich versilbern.
Lee: Ja, aber nur 0,1 Prozent auf dem Land besitzt größere Flächen. Für den Rest bedeuten Windräder geringere Lebensqualität und Wertverlust, wenn sie Häuschen oder Gärtchen vermieten oder verkaufen wollen. Und was es heißt, wenn vor Ihrem Haus so ein 240-Meter-Monster steht – knapp hundert Meter höher als der Kölner Dom –, dessen 15 bis 65 Tonnen schwere Rotoren durch die Luft peitschen, das machen sich die Latte-Macchiato-Trinker in Berlin-Mitte natürlich nicht klar! Pardon, ist nicht persönlich gemeint, Sie wohnen ja nicht dort.
Äh, doch.
Lee: So? Na ja. Jedenfalls, wenn wenigstens die Wertschöpfung aus der Wind- und Solarkraft, die zum Teil unsere fruchtbarsten Böden zustellt, bei uns auf dem Lande blieben, doch die fließen Energieunternehmen und Start-ups in den Städten zu.
Mit Ihrer Initiative „Landwirtschaft verbindet Deutschland“ (LSV) wollen Sie der Bevölkerung die Probleme der ländlichen Bevölkerung nahebringen. Ihre jüngste Aktion ist der umgedrehte Gummistiefel ...
Lee: ... auf der Spitze einer Stange, die in einem Feld steckt, genau.
Was bitte soll das dem vorbeifahrenden Städter sagen?
Lee: Der Gummistiefel steht für uns auf dem Land, im Gegensatz zum Halbschuh der Stadt, und daß er auf dem Kopf steht ist eine Art Notsignal – so haben die Holländer es auch gemacht und die Politik mit ihrer BBB-Partei das Fürchten gelehrt.
Ein Notsignal für was konkret?
Lee: Wieder zeigt sich in Ihnen der Städter: Es geht längst nicht mehr um ein konkretes Problem, sondern darum, daß nicht verstanden wird, daß der ländliche Raum an sich in Not ist! Das ist, was der umgekehrte Gummistiefel vermitteln soll. Das ist, was Herr Anda meint, wenn er sagt, die Städter wüßten nicht, was auf dem Land los ist. Nehmen Sie die aktuelle Debatte um den Wolf. Die meisten Städter begreifen nicht, was es heißt, wenn Wölfe im Blutrausch eine ganze Herde reißen, daß das die Vernichtung einer Existenz bedeutet! Oder daß wir Angst haben, unsere Kinder zu Fuß zur Schule zu schicken oder draußen spielen zu lassen! Es geht nicht nur um den Wolf, es geht um die darin – wie in so vielem anderen auch – zum Ausdruck kommende allgemeine Verständnislosigkeit gegenüber uns auf dem Land. Die sich inzwischen sogar darin manifestiert, daß Medien und Politik uns auf dem Land immer mehr als Problem an sich darstellen.
Ist dieser Vorwurf auch der Grund für Ihren Austritt aus der CDU unlängst, der unter organisierten Bauern für Aufmerksamkeit gesorgt hat?
Lee: Auch, aber ebenso, daß ich es nicht mehr ertragen kann, wie sich die Partei sogar unter Friedrich Merz noch den Grünen anbiedert.
Was haben Sie denn von ihm erwartet?
Lee: Daß er hält, was er versprochen hat, die CDU wieder auf einen bürgerlichen Kurs zu führen. Stattdessen aber strebt er offenbar eine Koalition mit den Grünen an. Was insbesondere angesichts der grünen Mitschuld an der herrschenden dramatischen Lage im Land ein wirklich starkes Stück ist!
Die „Schaumburger Zeitung“ nennt als Ihre Gründe: Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, Asyl- und Finanzkrise. Haben Sie keine agrarpolitischen Motive?
Lee: Für meinen Austritt sind eine Reihe Gründe zusammengekommen. In der Tat nicht alle, aber mehr als Sie offenbar meinen, betreffen uns, die Landbevölkerung, sogar in besonderem Maße. Daß vor allem wir die Energiewende auszubaden haben, habe ich dargestellt. Aber auch etwa die Asylkrise wirkt sich auf dem Land oft schärfer aus als in der Stadt. Denn während sich unter den vielen Menschen dort die Migranten eher verteilen, bedeutet eine Asylunterkunft voll junger Männer für eine kleine Dorfgemeinde, in der es so gut wie keine Ablenkung gibt und die man wegen des schlechten ÖPNV kaum verlassen kann, eine ganz andere Herausforderung. Oder: Steuern und Inflation, die die Menschen auf dem Land, die aufs Auto angewiesen sind, noch härter treffen als Städter, die auch Bus oder Fahrrad nutzen können.
Tatsächlich ist die Keimzelle von LSV aber doch der Protest der Bauern.
Lee: Mit unserem Motto „Wir bitten zu Tisch“ haben wir der Politik Gespräche angeboten und wollen darüber aufklären, daß die CDU mit ihrer Agrar- und Umweltpolitik uns Bauern als eine ihrer traditionellen Kernklientele preisgibt – was auch ein Grund für meinen Austritt ist. Denken Sie etwa an das sogenannte Aktionsprogramm Insektenschutz oder die Düngeverordnung, welche uns Bauern massiv belastet und denen die Union entgegen ihrer ursprünglichen Absicht unter dem Einfluß Frau Merkels doch zugestimmt hat!
Nun verspricht sie unter Friedrich Merz aber doch, wieder Politik für die Bauern zu machen.
Lee: Das könnte man meinen, wenn man hört, was sie, kaum in der Opposition, plötzlich alles fordert. Nur fallen wir darauf nicht mehr herein! Zumal dem widerspricht, daß Herr Merz mit den Grünen zusammengehen will, und man fragt sich, für wie dumm uns die CDU eigentlich hält? Bezeichnend ist übrigens, daß Koalitionsverhandlungen von der Union früher über Wochen zäh geführt wurden, heute dagegen mit den Grünen, wie in Schleswig-Holstein und NRW, kaum noch 14 Tage dauern. Um Inhalte gekämpft wird also nicht mehr. Die Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt werden den Grünen inzwischen als „Spielwiese“ überlassen, das muß aufhören! Deshalb unsere Erkenntnis, daß wir selbst politisch aktiv werden müssen.
Wer ist „wir“?
Lee: Alle, die das Leben auf dem Land unterstützen. Gemeinsam wollen wir die Idee in die Landbevölkerung tragen, daß es nicht reicht, alle vier Jahre ein Kreuzchen bei einer Partei zu machen, sondern daß wir diese selbst sein müssen. Und das ist am ehesten mit den Freien Wählern zu verwirklichen.
Also doch eine Partei.
Lee: So funktioniert Demokratie nun einmal. Bei uns in Niedersachsen hatten die FW bisher gerade einmal 330 Mitglieder, waren also kaum existent. Nun aber können sie sich vor Mitgliedsanträgen aus unseren Reihen kaum retten. Zudem zeigen sie sich gegenüber unserer aber auch anderer Expertise sehr aufgeschlossen und hören uns zu. Und was mir persönlich besonders gut gefällt ist, daß die FW vom gesunden Menschenverstand geprägt sind, auf den sich ihr Programm mehrfach wörtlich beruft.
Jedoch spielen sie außer in Bayern, Rheinland-Pfalz und Brandenburg landespolitisch doch keine Rolle.
Lee: Auch dort ist der Erfolg nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde lange, hart erarbeitet. Wie wirksam das sein kann zeigt, daß Markus Söder sich unlängst öffentlich für eine Lösung des Wolfsproblems ausgesprochen hat. Ich weiß natürlich, daß der CSU-Chef seine Meinung wechselt, wie ich die Unterwäsche. Dennoch zählt das Signal! Ihn dazu gebracht zu haben ist das Verdienst der Freien Wähler und ihres Vorsitzenden Hubert Aiwanger – übrigens auch ein Landwirt –, denn mit den Grünen als Koalitionspartner hätte Söder das nie gemacht.
Die bauernfreundlichste Partei ist allerdings die AfD.
Lee: Warum? Das konnten sie doch noch gar nicht beweisen – und genau da geht es schon los: wenn sie keinerlei Aussicht hat, mitzuregieren, kann sie auch keines ihrer Versprechen umsetzen. Das Beispiel Bayern zeigt, wie wir die Grünen überflüssig machen und den ländlichen Raum schützen können.
Warum gründen Sie keine eigene Bauernpartei?
Lee: Eine Partei ins Leben zu rufen ist in Deutschland unglaublich aufwendig, die FW bieten dagegen nicht nur vorhandene Strukturen, sondern auch einen bekannten Markennamen. Außerdem schwebt uns gar keine Bauernpartei vor, sondern eine, die die Interessen des ländlichen Raumes insgesamt vertritt. Dessen Probleme ja weit über die der Bauern hinausgehen, denn dort fehlt es inzwischen an fast allem, es gibt nicht einmal mehr genug Lehrer und Ärzte! Vorbild ist uns, wie gesagt, die holländische Bauern-Bürger-Bewegung, die erstaunlichen Erfolg hat und von deren Zustimmung im Parlament sogar Ministerpräsident Rutte abhängig ist.
Nochmal: Außer in drei Ländern rangieren die FW überall weit unter fünf Prozent. Am besten haben sie sonst bei der Landtagswahl in Sachsen abgeschnitten, wo sie dennoch nur 3,4 Prozent erzielten, bei Ihnen in Niedersachsen waren es sogar nur 0,8 Prozent.
Lee: Mit bisher nur 330 Mitgliedern läßt sich auch kein Landtagswahlkampf bestreiten. Im übrigen reizt mich das „Das schafft ihr sowieso nicht“ erst recht, allen Miesepetern zu zeigen, was möglich ist, wenn man etwas unternimmt, statt nur zu motzen. Zumal zu spüren ist, daß immer mehr Bürger die Faxen der Politik langsam endgültig dicke habe! Zur Erinnerung: Bei der Landtagswahl in Niedersachsen sind nur 60 Prozent, in NRW sogar nur 55 Prozent zur Wahl gegangen – das Nichtwählerpotential ist riesig!
Einen Erfolg hatten Sie sich allerdings auch schon von LSV versprochen.
Lee: Ja, wir hatten erkannt, daß die Vertretung der Anliegen der Bauern durch die etablierten Verbände aus verschiedenen Gründen, auch wegen ihrer Nähe zur etablierten Politik, einfach nicht wirksam genug ist. Deshalb starteten wir 2019 in den sozialen Medien „Landwirtschaft verbindet Deutschland“ als Initiative aller Menschen im ländlichen Raum. Es stimmt, daß der Erfolg nicht durchschlagend war. Immerhin aber ist es gelungen, bundesweite Demos auf die Beine zu stellen, bei denen Hunderte Trecker etwa durch die Landeshauptstadt Hannover oder die Bundeshauptstadt Berlin fuhren. Das hat ein breites Echo ausgelöst, was wiederum sowohl zu einer vermehrten, als auch nachhaltigeren Medienberichterstattung über die Probleme der Bauern geführt hat.
Nur geändert hat all das dennoch nichts.
Lee: Dem kann ich leider nicht widersprechen, aber auch dieses Interview würden wir ohne die dadurch erzeugte bundesweite Aufmerksamkeit vermutlich doch gar nicht führen.
Ist das Problem unserer Landwirte wirklich politischer Natur – sind sie nicht vielmehr einfach zu teuer?
Lee: Irrtum, die deutsche Landwirtschaft ist absolut konkurrenzfähig, denn sie ist leistungsstark, hochwertig und vor allem nachhaltig! Unser Hof zum Beispiel ist dreimal effizienter als ein ukrainischer – und das obwohl wir hier „nur“ guten, die Ukrainer dagegen den für Ackerbau besten Boden der Welt haben. Nein, das Problem ist die Gängelung, mit der uns die Politik unablässig überzieht. Es ist, wie es Premierministerin Liz Truss 2022 für Großbritannien beschrieben hat: „Wir müssen den Landwirten die Fesseln lösen, die Brüssel ihnen angelegt hat!“
Eine Landwirtschaft ohne jeden Tier- und Verbraucherschutz kann aber doch auch nicht die Lösung sein.
Lee: Ihr Einwand offenbart unfreiwillig unser wahres Problem! Daß Sie sofort mit dem Bild einer „Landwirtschaft ohne jeden Tier- und Verbraucherschutz“ kommen, wenn wir nur vom Ende der ständigen Gängelungen sprechen, zeigt, welche Vorstellung Sie, ebenso wie die meisten Deutschen, tatsächlich von uns auf dem Land haben: nämlich die des Buhmanns der Nation, den man scharf am Zügel führen muß, weil er für jedes Übel verantwortlich ist: Tierleid, Artensterben, Insektenschwund, Pestizide, CO2-Emission etc. Aus dieser ideologischen Blase müssen wir unbedingt ausbrechen und zur Sachlichkeit zurückkehren! Tatsächlich redet niemand von einer Landwirtschaft ohne Tier- und Verbraucherschutz. Übrigens, wenn wir es nicht machen, machen es andere viel schlechter. Denn wir deutschen Bauern werden ständig besser. Vor allem durch Innovation – und nicht durch Verbote – konnten wir in den letzten zehn Jahren fast vierzig Prozent Dünger und dreißig Prozent Pflanzenschutzmittel einsparen. Vor allem aber müßte das Bild von Bauern Landbevölkerung künftig einschließen, daß wir es sind, die den auch für Städter so wichtigen ländlichen Raum pflegen und vor allem die Ernährung und damit das Überleben der Nation sichern! Und das zudem nicht nur mit den qualitativ besten und sichersten Agrarprodukten, die wir in der Geschichte jemals zur Verfügung hatten, sondern auch noch zu den bisher günstigsten Lebensmittelpreisen in Europa! Wie völlig verdreht das Bild von uns ist, sehen Sie ebenso beim Thema Klima. Ständig ist von unseren angeblich so klimaschädlichen Rindern und Schweinen die Rede, nie aber davon, daß wir durch unseren Pflanzenbau und unsere Landschaftspflege einen enormen Beitrag zur Bindung von CO2 leisten. Und so gesehen eigentlich als Klimahelden der Nation betrachtet werden müßten! All das könnten die Deutschen und die Politik endlich einmal anerkennen – und vielleicht wenigstens einmal dafür danke sagen.
Anthony-Robert Lee, der staatlich geprüfte Landwirt ist Sprecher der Initiative „Landwirtschaft verbindet Deutschland“. Geboren wurde der Sohn eines britischen Soldaten und einer deutschen Mutter 1976 in Rinteln im Schaumburger Land. Er war Zeitsoldat und Polizist in Berlin, bevor er 2010 in eine niedersächsische Landwirtsfamilie einheiratete.