Die CO2-Minderungsziele waren schnell beschlossen, aber die Kontroverse über die „Heizwende“ der Ampel zeigt, daß viele keine Vorstellung von den Folgen der Beschlüsse hatten. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 war der Ausgangspunkt der Klimagesetzgebung. Es handelt sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag zur Begrenzung der Zunahme der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Die Verpflichtungen der einzelnen Signatarstaaten sind darin aber nicht konkretisiert, und es gibt auch keine Sanktionierungsmöglichkeiten.
Eine andere Qualität hat dagegen die EU-Verordnung „zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität“ (2021/1119). Dieses „Europäische Klimagesetz“ ist gegenüber dem Bundesrecht höherrangig und verpflichtet die EU-Staaten zur Umsetzung seiner Ziele – einer CO2-Reduktion um 55 Prozent gegenüber 1990 bis 2030 (erreicht sind in Deutschland 40 Prozent) und zur Klimaneutralität bis 2050. Schon die Merkel-Regierung wollte mehr tun und hat im Bundes-Klimaschutzgesetz 2021festgelegt, daß bis 2030 eine Reduktion um 65 Prozent zu erreichen ist und die Klimaneutralität schon im Jahr 2045.
Lohnen sich die Investitionen von fünf Billionen Euro überhaupt?
Das erzwingt in allen Sektoren steilere Anpassungspfade und höhere Investitionen. Aus einer rechtspositivistischen Perspektive könnte man sagen: Das sind gesetzliche Vorgaben, die termingerecht erfüllt werden müssen, koste es, was es wolle. Es könnte aber auch so sein, daß man sich technisch Unmögliches vorgenommen hat. Und selbst wenn das Ziel technisch erreichbar ist, könnten die Belastungen so hoch ausfallen, daß es politisch nicht erreichbar ist. Der in der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) vorgesehene 65-Prozent-Anteil erneuerbarer Energien bei neuen Heizungen bewegt sich an der Grenze des Machbaren. Den Immobilieneigentümern werden mit dem Ordnungsrecht und einem steigenden CO2-Preis Zwangsinvestitionen auferlegt, die nicht wenige trotz der in Aussicht gestellten Subventionen an ihre Belastungsgrenze bringen werden. Aber das erdrückende Regulierungskorsett läßt kaum eine andere Wahl. Das gilt genauso für die trotz nicht vorhandener, skalierbarer Speicherlösungen, völlig unzureichender Stromtrassen und einer wegen der Elektrifizierung des Heizens und der Mobilität steil ansteigenden Stromnachfrage forcierte grüne Stromwende mit dem Kohleausstieg bis spätestens 2038. Schon 2030 sollen 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Doch die grünen Stromträger zeichnen sich durch gigantische Differenzen zwischen installierter und erzeugter Leistung sowie durch die kurzfristige und saisonale Unstetigkeit der Stromerzeugung aus.
Aus dieser Spannung zwischen den Zielen und den Mitteln können Gefahren für unser demokratisches System entstehen. Wenn die 27 EU-Staaten ihre Selbstverpflichtungen nicht erfüllen können, könnte es zu schweren politischen Verwerfungen kommen. Bewegungen wie „Fridays for Future“, „Scientist Rebellion“ oder die „Letzte Generation“ dürften sich dann noch weiter radikalisieren – ebenso wie der Widerstand gegen sie. Rechtfertigen die Klimaziele solche systemischen politischen Risiken?
Ist die Klimawende überhaupt gesamtwirtschaftlich vorteilhaft? Nach einer Studie im Auftrag der Förderbank KfW (KfW Research: Fokus Volkswirtschaft 350/21) wird die Klimaneutralität Deutschland rund fünf Billionen Euro in Form von gesamtwirtschaftlichen Investitionen kosten. Die klimaschutzbedingten Mehrinvestitionen betragen 1,9 Billionen Euro. Das sind jährlich gut 70 Milliarden Euro oder knapp zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Bis zu 90 Prozent der Klimaschutzinvestitionen müssen von privaten Investoren und Privathaushalten bereitgestellt werden. Die Kosten des Nichtstuns hat die Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) geschätzt. Im Szenario „starker Klimawandel“ rechnen die Forscher bis 2050 mit volkswirtschaftlichen Schäden in Höhe von 900 Milliarden Euro.
Da scheint es sinnvoller zu sein, das Geld lieber in die Klimaneutralität zu investieren, argumentiert KfW Research. Doch zwei Billionen zu investieren, um Schäden in Höhe von höchstens einer Billion Euro zu vermeiden, bedeutet einen gesamtwirtschaftlichen Schaden von mindestens einer Billion Euro. Es kommt hinzu, daß der Nutzen der deutschen Klimawende größtenteils gar nicht im nationalen Rahmen anfällt. Selbst wenn wir gar nichts in den Klimaschutz investieren würden, änderte sich dadurch so gut wie nichts an der Höhe der für unser Land zu erwartenden Klimaschäden.
Ohne Rücksicht auf Kosten und Risiken den Vorreiter spielen?
Zwar haben fast alle Staaten das Pariser Abkommen unterzeichnet und müssen regelmäßig Fortschrittsberichte vorlegen. Das globale Trittbrettfahrerproblem bleibt aber ungelöst: Deutschland mit nicht mal zwei Prozent des globalen CO2-Ausstoßes kann sich nicht darauf verlassen, daß die anderen Staaten und besonders die drei großen Emittenten China (32,9 Prozent), USA (12,5 Prozent) und Indien (7,0 Prozent), die zusammen für mehr als die Hälfte des globalen CO2-Ausstoßes stehen, ihren Verpflichtungen nachkommen werden.
Vor diesem Hintergrund wäre es aus nationaler Sicht sogar rational, gar nichts zu investieren. Das wäre freilich nicht ohne außenpolitische Risiken. Aber warum sollen wir ohne Rücksicht auf Kosten und Risiken auch noch den Vorreiter spielen? Ein pragmatischer Weg könnte so aussehen, daß wir gerade so viel in den Klimaschutz investieren, daß nationale Grenzkosten und globaler Grenznutzen des letzten dafür eingesetzten Euros übereinstimmen. Das wäre aus globaler Sicht rational. Die Schäden des Klimawandels auf null bringen zu wollen, ist dagegen nur eine irrsinnige Ressourcenverschwendung.
Diese Rolle des vorbildlichen Klima-Klassenprimus steht einem überalterten Land mit sklerotischen Institutionen und einer bedenkenträgerischen Innovationskultur dagegen gar nicht gut zu Gesicht. Natürlich kann man die EU-Klimaschutzverordnung nicht so leicht entschärfen, aber unser eigenes Klimaschutzgesetz können wir so weit abrüsten, daß wir nur das EU-rechtlich Geforderte tun.
EU-Klimagesetz (Verordnung 2021/1119): data.europa.eu