Die aufziehenden Gewitterwolken am politischen Himmel Europas wurden noch einmal überstrahlt. Bis zum Frühjahr 1913 wechselte eine Krise die nächste ab. Auf dem Balkan tobte ein Krieg um das Erbe des Osmanischen Reiches, die direkte Einflußnahme Rußlands und Österreich-Ungarns in das Geschehen ließ einen Großkonflikt immer drohender werden. Deutschland, England und Frankreich hatten gerade den während der Marokkokrise 1912 bevorstehenden Kriegsausbruch abgewendet, Hunderttausende Menschen gaben noch im Sommer zuvor sowohl auf dem Londoner Trafalgar Square wie im Berliner Treptower Park ihrer tiefen Besorgnis Ausdruck.
Doch am 24. Mai 1913 sollte niemand unter den Teilnehmern und den Berliner Volksmassen erahnen, daß sich nur anderthalb Jahre später die Millionenheere in blutigen Grabenkämpfen gegenüberstehen sollten. Kaiser Wilhelm II., der kurz vor seinem 25jährigen Thronjubiläum stand, hatte die ganze europäische Verwandtschaft geladen, um die Vermählung seiner einzigen Tochter Viktoria Luise mit Ernst August III. von Hannover gebührlich zu feiern. Innenpolitisch konnte Wilhelm damit dynastisch den letzten Brandherd innerhalb der Reichsgrenzen befrieden, der seit der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen 1866 zwischen den Häusern Hohenzollern und den Welfen loderte. Alle kamen, der europäische Hochadel war fast komplett zugegen, auch die Herrscher der mit dem Deutschen Reich rivalisierenden Mächte: der russiche Zar Nikolaus und der britische König George V. „Selbstverständlich war der Besuch nicht politisch. Aber nach den bewegten politischen Vorgängen des letzten Winters mußte es als willkommenes Exemplum einer Entspannung der internationalen Situation angesehen werden“, beschied das Berliner Tageblatt. Die Vermählung geriet zu einem Medienereignis. Erstmalig bannten Filmkameras eine Adelshochzeit in Farbe auf Zelluloid. Am Abend nach der Trauung drehten sich über 1.100 verlesene Gäste im Weißen Saal des Berliner Schlosses bis in den frühen Morgen im Walzertakt, darunter auch die drei Vettern aus Berlin, Sankt Petersburg und London, die sich untereinander vertraut mit „Willy“, „Nicky“ und „Georgie“ anredeten. Dann war der Spaß vorbei.