In der Kapelle von Burg Hohenzollern sind zwei Totenschilde angebracht: der des Prinzen Oskar von Preußen, gefallen als Oberleutnant am 5. September 1939 im Polen-, und der des Prinzen Wilhelm von Preußen, gefallen als Hauptmann am 26. Mai 1940 im Frankreichfeldzug. Es handelte sich um zwei Enkel des letzten deutschen Kaisers, die Söhne seiner Söhne gleichen Namens. Beide Männer hatten als Offiziere der Wehrmacht gedient und ihr Leben verloren. Während der Tod Oskars von Preußen in der Öffentlichkeit kaum bemerkt worden war, sorgte der Wilhelms von Preußen für Aufsehen, obwohl er in den Nachrichten keine Erwähnung fand.
Das zeigten vor allem die Umstände, unter denen die Trauerfeierlichkeiten am 29. Mai 1940 stattfanden. Die Potsdamer Friedenskirche, in der der Gottesdienst abgehalten wurde, mußte gegen den Zustrom der Menschen abgeriegelt werden. Eingelassen wurden nur die geladenen Teilnehmer, die in erster Linie zur Familie, zum ehemaligen Hofstaat, zum Hochadel oder den Würdenträgern des Kaiserreichs gehörten wie der greise Generalfeldmarschall August von Mackensen. Sie bildeten auch den Trauerzug, der im übrigen ein ganz militärisches Gepräge hatte. Die Spitze bildeten drei Offiziere mit dem Ordenskissen des Prinzen, seine Brüder Louis Ferdinand und Hubertus von Preußen sowie sein Schwager Adolph von Salviati. Es folgte der von der Reichskriegsflagge bedeckte Sarg, den weitere Offiziere flankierten, dann die Trauergemeinde. Ihr Weg führte zum Antikentempel des Parks von Sanssouci, dem Erbbegräbnis der Hohenzollern, durch ein Spalier von etwa fünfzigtausend Menschen.
Es handelte sich dabei um die größte, nicht von Staats wegen angeordnete, öffentliche Manifestation der NS-Zeit. Der Schriftsteller Jochen Klepper, der (wie auch der Schriftsteller Reinhold Schneider) zu den Trauergästen gehörte, hielt in seinem Tagebuch fest: „Unzählbar die hohen Offiziere der alten und der neuen Armee; unübersehbar, wider jedes Erwarten, die Menschenmengen, die zum Schluß dem Kronprinzenpaar zuriefen. Seit früh um neun hatten die Straßenbahnen die Menschenmassen nicht bewältigen können (…) So stark ist also noch die Anhänglichkeit.“ Tatsächlich dürfte nach der Überführung des Leichnams der 1921 verstorbenen Kaiserin Auguste Viktoria aus dem niederländischen Exil nach Deutschland keine vergleichbare Demonstration der Ergebenheit gegenüber dem früheren Kaiserhaus stattgefunden haben.
Hitlers tiefer Affekt gegenüber der alten Elite spielte eine Rolle
Eher tastend sprach Klepper in seinen Aufzeichnungen davon, daß sich hier vielleicht eine „Lösung für das ganze deutsche Volk“ andeuten könnte, sah man im „wahrhaften Heldentod“ des Prinzen Wilhelms von Preußen einen Akt der „Entsühnung der Flucht des Kaisers im November 1918“ nach Holland. Dahinter stand die gerade unter Konservativen verbreitete Überzeugung, daß Wilhelm II. selbst es war, der der Idee der Monarchie den entscheidenden Schlag versetzt hatte, als er sich weigerte, angesichts von Revolution und Niederlage den Thron zu verteidigen, gegebenenfalls um den Preis des eigenen Lebens. Der „Königstod“, so die dahinterstehende Vorstellung, hätte den Anspruch des Hauses Hohenzollern neu begründet, während das Versagen des Kaisers jede Rückkehr zur Monarchie erschwerte, wenn nicht unmöglich machte.
Dagegen konnte der Tod des Prinzen möglicherweise das Opfer sein, das die Legitimität der Dynastie in den Augen des Volkes wiederherstellte. Eine Erwägung, die auch Hitler für plausibel gehalten zu haben scheint, der nach dem Tod Wilhelms von Preußen durch geheimen Führererlaß jede weitere Teilnahme von Angehörigen der ehemals herrschenden Häuser an Kampfhandlungen der Wehrmacht untersagte. Am 19. Mai 1943 wurden sie sogar aus der Wehrmacht ausgeschlossen.
Man kann diesen „Prinzenerlaß“ unmittelbar verknüpfen mit ähnlichen Vorstößen Hitlers, die verhindern sollten, daß sich Mitglieder der Aristokratie in Militär, Diplomatie oder Staatsdienst auszeichneten. Aber es spielte auch ein tiefer Affekt gegenüber der alten Elite eine Rolle. Denn Hitler hatte zwar vor 1933 aus taktischen Gründen die Möglichkeit einer Restauration in der Schwebe gehalten, aber im kleinen Kreis seine republikanischen Überzeugungen nie verborgen. Er verachtete die „Fürstenclique“ im Grunde seines Herzens. Der Adel war für ihn wegen seiner „internationalen Versippung“ unzuverlässig, wegen seiner Fixierung auf standesgemäße Heiraten biologisch degeneriert und wegen seines kampflosen Rückzugs aus allen Machtpositionen charakterlich ungeeignet, an der Spitze der Nation zu stehen. Am 5. Juli 1942 meinte er gesprächsweise, daß man den Sozialdemokraten dankbar sein müsse, „dieses Ferment deutscher Zersplitterung beseitigt“ zu haben, und: „Es hieße ihr geschichtliches Verdienst verschleudern, wollte man der Hohenzollern-‘Brut’ – jetzt zum Beispiel als Offizieren in der Wehrmacht – wieder Einfluß einräumen.“
Eine Äußerung, die keineswegs isoliert dastand. Zehn Jahre zuvor, angesichts der in greifbare Nähe gerückten Machtübernahme, hatte Hitler schon festgehalten: „Wir Nationalsozialisten wollen … alle Sozialisten und auch die Kommunisten zu uns herüberziehen, wir wollen sie aus ihrem internationalen Lager ins nationale gewinnen. Dann dürfen wir nichts tun, was das Gegenteil bewirkt. Eine Propagierung der Monarchie kommt also auch aus diesem Grunde für uns nicht in Frage.“
Gleichzeitig fürchtete Hitler die latente Sympathie der Deutschen für eine monarchische Staatsform. Seine Beurteilung berührt sich auf merkwürdige Weise mit derjenigen heutiger Historiker, die den Hohenzollern vorwerfen, die „Größe des potentiellen Gegen-Charismas“ (Stefan Malinowski), über das sie verfügten, ungenutzt und nicht gegen Hitler zum Einsatz gebracht, dem Nationalsozialismus vielmehr aktiven Vorschub geleistet zu haben. Im einen wie im anderen Fall dürfte es sich um eine Fehleinschätzung der tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten handeln.