© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/23 / 19. Mai 2023

„Weiße Rose“ – Todesurteile gegen eine „Dolchstoßorganisation“
Trauma der Niederlage von 1918
(ob)

Nur vier Tage verstrichen zwischen der Verhaftung der Geschwister Hans und Sophie Scholl am 18. Februar 1943 und ihrer Hinrichtung am 22. Februar; im Fall von Christoph Probst, einem weiteren Mitglied des Widerstandszirkels „Weiße Rose“, waren es sogar nur zwei Tage. Der Volksgerichtshof (VGH) agierte so hastig, daß er den Haftbefehl für das „Ehepaar Scholl“ erwirkte, der VGH-Präsident Roland Freisler eilte im Nachtzug von Berlin nach München, führte die Hauptverhandlung in knapp drei Stunden durch und ließ die Todesurteile noch am Nachmittag vollstrecken. Diese selbst für Freisler auffällige Eile erklärte der Zeithistoriker Hans Günter Hockerts (München) in einer Analyse dieses ersten „Weiße Rose“-Prozesses einerseits mit der bisher kaum beachteten Antreiber-Rolle des Münchener Gauleiters Paul Giesler, der seinen durch den studentischen Widerstand in der „Hauptstadt der Bewegung“ verursachten Prestigeverlust mit der Machtdemonstration eines Schauprozesses kompensieren wollte (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 3/2023). Andererseits habe die von Freisler als „Dolchstoßorganisation“ geschmähte „Weiße Rose“ kurz nach der Stalingrad-Katastrophe ans Trauma von 1918 gerührt, so daß eine schnelle Aburteilung den Widerstand im Keim ersticken sollte. 


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