© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/23 / 19. Mai 2023

„Friede herrscht nur im Bereich der Front“
Im Mai 1943 versuchte die Wehrmacht vergeblich, die umfangreiche sowjetische Partisanentätigkeit im Rückraum einzudämmen
Thomas Schäfer

Eine Woche nach dem Beginn des Unternehmens „Barbarossa“ befahl die sowjetische Staats- und Parteiführung die Bildung von Partisaneneinheiten. Über deren Aufgabe sagte Stalin am 3. Juli 1941 im Moskauer Rundfunk: „In den okkupierten Gebieten müssen für den Feind und alle seine Helfershelfer unerträgliche Verhältnisse geschaffen werden, sie müssen auf Schritt und Tritt verfolgt und vernichtet werden.“ Und so operierten Ende 1941 bereits 2.000 Partisanengruppen mit rund 90.000 Mann im Rücken der Wehrmacht. Das erforderte den Einsatz deutscher Sicherungsverbände im Umfang von sechs Divisionen. Dennoch konstatierte das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt am 29. Dezember 1941 alarmiert, daß der Nachschub „stark durch Partisanen gestört“ werde und „ganze Rayons völlig von Partisanen beherrscht sind“.

Dieser Zustand blieb auch im Folgejahr bestehen, weswegen Hitler am 18. August 1942 die „Weisung Nr. 46“ erließ, in der es hieß: „Das Bandenunwesen im Osten hat in den letzten Monaten einen nicht mehr erträglichen Umfang angenommen und droht zu einer ernsten Gefahr für die Versorgung der Front und die wirtschaftliche Ausnützung des Landes zu werden. Bis zum Beginn des Winters müssen diese Banden im wesentlichen ausgerottet und damit der Osten hinter der Front befriedet werden.“

Tatsächlich jedoch erlebten die „Banden“ einen weiteren Zulauf: Anfang 1943 lag ihr Personalbestand schon bei etwa 250.000 Mann. Außerdem verübten die Partisanen nun nicht mehr nur Sabotageakte, sondern versorgten die Rote Armee auch mit wichtigen Informationen über den Feind und unterstützten die regulären Truppen Moskaus bei der Überwindung natürlicher Hindernisse. Durch den asymmetrischen Krieg gegen die Besatzungsmacht sank die Transportleistung der Bahn im Hinterland der Ostfront um fünfzig Prozent, obwohl man inzwischen entlang der Schienenstränge einen 300 Meter breiten baumfreien Streifen geschaffen hatte. Deshalb wurden die Partisanen von der deutschen Generalität wechselweise als „Pest des rückwärtigen Gebietes“ oder „wertvolle und gefährliche Waffe“ Stalins bezeichnet.

Aufgrund der besonders intensiven Partisanentätigkeit im Bereich der Eisenbahnlinien Brjansk–Konotop und Brjansk–Shirekina sowie der Straße von Brjansk nach Orel bestand die akute Gefahr der Unterbrechung des Nachschubs für die Truppenverbände, die während des geplanten Großunternehmens „Zitadelle“ zum Einsatz kommen sollten. Mit Blick hierauf ordnete Hitler am 27. April 1943 in seinem „Grundlegenden Befehl Nr. 14“ an: „Die Bandenbekämpfung ist als Kampfhandlung, wie jede Frontkampfhandlung, anzusehen … Alle irgend verfügbaren Kräfte sind zur Bandenbekämpfung einzusetzen.“ In Reaktion auf diese Weisung wurde am 15. Mai 1943 das Unternehmen „Zigeunerbaron“ gestartet.

Dessen Zweck bestand darin, die Partisanenverbände im Raum Brjansk wie bei einer Treibjagd in Richtung des als Sperrlinie gedachten Dnepr-Nebenflusses Desna zu drängen und dabei aufzureiben. Hierzu bot die Wehrmacht das XXXXVII. Panzerkorps auf, dem die 4. und 18. Panzer-Division sowie 7., 10. und 292. Infanterie-Division angehörten. Dazu kamen eine ungarische Division, zwei Bataillone mit flämischen und französischen Legionären und Angehörige der Miliz des weißrussischen Kollaborateurs Bronislaw Kaminski. Außerdem setzte die Luftwaffe an manchen Tagen bis zu 350 Flugzeuge gegen die rund 6.000 Partisanen ein.

Laut dem Kriegstagebuch des Wehrmachtführungsstabes leistete der Feind „hartnäckigen zähen“ Widerstand. So spickte er beispielsweise die Waldwege mit Minen, die vorwiegend aus Holz bestanden und daher nur sehr schwer zu orten waren. Nach Abschluß des Unternehmens am 6. Juni 1943 ging das Oberkommando der Wehrmacht zunächst von einem Erfolg aus und vermerkte: „Heeresgruppe Mitte vernichtete bis auf wenige kleine Gruppen Banden in den Wäldern südwestlich Brjansk.“ Die Verluste der Partisanen wurden dabei mit 3.152 Toten angegeben. Außerdem meldete das XXXXVII. Panzerkorps die Zerstörung von 24 Geschützen, drei Panzern, 14 Panzerabwehrkanonen, zwei Flugzeugen und 2.930 Bunkern.

Partisanen behinderten wesentlich die Nachschublinien

Dennoch freilich urteilte der Transportchef der Heeresgruppe Mitte, Oberst Hermann Teske, bald darauf ernüchtert: „Trotz der nach internationalem Recht gegen Freischärler mit aller Härte durchgeführten Aktion verringerten sich deren zerstörende Auswirkungen auf die Bahnlinien nur vorübergehend und unwesentlich.“ Und tatsächlich gab es im restlichen Verlauf des Juni 1943 weitere 1.092 Anschläge auf Eisenbahnlinien, bei denen 409 Lokomotiven zerstört oder beschädigt wurden. Dem folgten zwischen August und November 1943 die beiden großangelegten Partisanen-Operationen „Schienenkrieg“ und „Konzert“ zur Unterstützung der sowjetischen Gegenoffensiven bei Kursk und in Richtung Smolensk und Gomel.

Hierzu vermerkte das Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht am 3. Oktober 1943: „Die Reihensprengungen an Bahnstrecken haben erstmalig zu schwerwiegenden unmittelbaren operativen Nachteilen geführt.“ Und der Oberbefehlshaber der 4. Armee, Generaloberst Gotthard Heinrici, klagte: Mittlerweile sei „das ganze Land im Aufruhr. Einigermaßen Friede herrscht nur im Bereich der Front, weil dort zu viele Soldaten sind.“ Dabei ist unter Militärhistorikern aber umstritten, ob die Partisanen tatsächlich auch eine kriegsentscheidende Rolle spielten, wie die UdSSR-Propaganda stets glauben machen wollte. So erwiesen sich die offiziellen Angaben über die Erfolge der Widerstandskämpfer bei späteren Auswertungen der zugänglichen Quellen meist als deutlich übertrieben.