© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/23 / 19. Mai 2023

Wer das Partizip zum Gendern nutzt, mißbraucht dessen sprachliche Funktion
Abrißbirnende
Walter Oldenbürger

In Karl Mays Erzählung „Der blaurote Methusalem“ gibt es einen Kapitän namens Turnerstick, der ernsthaft glaubt, man müsse an deutsche Wörter nur bestimmte Endungen anhängen, um Chinesisch zu sprechen. „Wir werden nichts kaufen“ gerät so zu „Wir werdeng nichts kaufang!“ Absurd? Kaum absurder als die Vorstellung, man könne an deutsche Substantive einfach drei Buchstaben („end“) anhängen, um so die Frauenbefreiung voranzutreiben. Und doch werden wir tagtäglich mit solchen Verirrungen konfrontiert. Radfahrer mutieren zu „Radfahrenden“, Studenten zu „Studierenden“. Geht das ?

Wenn wir das Partizip Präsens verwenden und ein „end“ anhängen, drücken wir damit aus, daß die betreffende Person gerade dabei ist, etwas zu tun. Ein „Studierender“ ist also jemand, der momentan eifrig arbeitet. Ein eingeschriebener „Student“ hingegen ist keineswegs immer „studierend“ anzutreffen, sondern hängt auch mal im Freibad ab. Die Lächerlichkeit des grassierenden Unworts „Studierende“ hat Max Goldt treffend aufs Korn genommen. Nach einem Massaker an einer Universität könne niemand sagen: „Die Bevölkerung beweint die sterbenden Studierenden.“ Niemand könne gleichzeitig sterben und studieren.

Über 30 Jahre sind vergangen, seit die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch, „wütend über vergewaltigende und prügelnde Ehemänner“, so die Mitbegründerin der feministischen Linguistik in Deutschland, ihr irrwegweisendes Buch „Das Deutsche als Männersprache“ verfaßte. Abwegig, aber folgenreich war Puschs Idee, ein „generisches Maskulin“ wie „der Radfahrer“ sei diskriminierend, weil es sich nur auf Männer bezöge und radelnde Frauen allenfalls „mitgemeint“ seien. Tatsächlich ist ein Radfahrer jemand, der Rad fährt. Das generische Maskulinum diskriminiert nicht. Es ist eine geschlechtsneutrale, mehr als 1.000 Jahre alte, „in der Sprache tief verankerte, elegante und leistungsstarke Möglichkeit zur Vermeidung von Diskriminierung“, notierte der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg, emeritierter Professor für Deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam, 2018 in einem Gastbeitrag für den Berliner Tagessspiegel. So hat sich bislang auch kein Mann darüber beschwert, daß er bei „die Geisel“ nur „mitgemeint“ sei.

Deutschlands Gender-Ideologen wollen das nicht wahrhaben und haben die deutsche Sprache in Geiselhaft genommen. Doch stößt der Mißbrauch des Partizips für Genderzwecke dabei ebenso an seine logischen Grenzen wie die Zweckentfremdung des Doppelpunkts („Student:innen“). Nicht nur weil substantivierte Partizipien wie „LKW-Fahrender“ lediglich ein momentanes Handeln zum Ausdruck bringen und keine Berufsbezeichnung (LKW-Fahrer) sind. Auch sonst haben Partizipien oft völlig andere Bedeutung als das entsprechende Substantiv. So ist ein „Denker“ (Genie) weitaus mehr als ein „Denkender“. Ein Säugling kann ein an der Mutterbrust „Trinkender“ sein, ein „Trinker“ aber ist Alkoholiker. Ein „Rauchender“ muß nicht zwangsläufig zum „Raucher“ (Nikotiniker) werden. Und wenn sich das „Karrierecenter“ der Bundeswehr neuerdings an „Sehr geehrte Bewerbende“ wendet, um die Zahl der „Soldatenden“ (Dieter Nuhr) zu erhöhen, werden sich hoffentlich nicht nur Transsexuelle angesprochen fühlen.

Noch schlimmer wird es, wenn das Partizip Perfekt (Vorsilbe „ge-“) als „Geschlechtsneutralisierer“ mißbraucht wird: Wohl weil Frauen in dem Begriff „Flüchtlinge“ nicht enthalten seien, werden Flüchtlinge neuerdings als „Geflüchtete“ bezeichnet – und damit kurzerhand ihres schützenden Flüchtlingsstatus beraubt.

Ungeachtet seiner Unbrauchbarkeit hat sich das substantivierte Partizip inzwischen als Standardwerkzeug der „Geschlechtergerechten“ etabliert, als Abrißbirne, mit der man dem „Männerdeutsch“ zu Leibe rückt, wo nicht schon Genderstern, Stotter-Gap und Paarformel eine Spur der Verwüstung hinterlassen haben. „Forschende“, „Mitarbeitende“ und „Zuschauende“ – täglich kommen neue Stilblüten des Genderwahns hinzu.

Daß die aktuelle, durch Lehrermangel und Migrantenstrom verstärkte Bildungskatastrophe immer weiter um sich greift und daß sich die Sprachkompetenz der Deutschen im freien Fall befindet, hat den Genderisten Tür und Tor geöffnet. Das Jonglieren mit wirren, oft dadaistisch anmutenden Feminismen ist zum Volkssport avanciert.

Die Todsünden der „Sprachverbesserer“ werden allerdings kaum noch wahrgenommen in einer sprachlich verarmten Gesellschaft, die das generische Maskulinum oft ebensowenig versteht wie den Genitiv („die Tür von meinem Auto“) oder Konjunktiv („bräuchte“ statt richtig „brauchte“). Verbreitete Sprachfehler wie „Das Mädchen ging auf ihr Zimmer“ (richtig: sein Zimmer) zeigen, daß inzwischen viele zwischen Genus und Sexus nicht mehr zu unterscheiden wissen.

Der durch das Genderdeutsch verursachte Schaden ist erheblich. Die Gesellschaft für deutsche Sprache ist inzwischen eingeknickt und toleriert jetzt „Studierende“ mit dem dürftigen Hinweis, daß es ja zum Beispiel auch „Reisende“ gäbe. Die weisungsgebundenen Schulen und Behörden sind dem befohlenen Neusprech hilflos ausgeliefert. Politfunktionäre und „Genderbeauftragte“ treiben die sprachliche Gleichschaltung zügig voran. Der Duden hat sein Wörterbuch mit feministischen Wortschöpfungen wie „Gästin“ oder „Bösewichtin“ angereichert. Genderdeutsch zählt inzwischen nicht nur in den Staatsmedien und rotgrünen Rathäusern zum guten Ton. Auch die Zeitungen schwimmen stolz im Strom der Lemminge und melden „200 Teilnehmende“ (Die Rheinpfalz) bei „Fridays for Future“. „Sprachberater“ bieten irritierten Unternehmen Genderkurse an, so daß Sprachverwüstung zum Geschäftsmodell geworden ist. Der Diskurs zum Genderdeutsch hat sich inzwischen in die Klatschspalten der Gazetten verlagert, wo C-Promis ihre gendereuphorische „Expertise“ zum besten geben, während philologisch versierte Entertainer wie Dieter Nuhr, Dieter Hallervorden oder Jürgen von der Lippe als rückständig gelten, weil sie nicht gendern wollen. In Berliner Bezirksparlamenten soll die SPD-Fraktion beantragt haben, ungegenderte Schriftstücke nicht mehr zu bearbeiten. Studenten, die ihre Seminararbeiten nicht mit Stern und Stotterlücke spicken möchten, müssen Nachteile befürchten.

So hat sich die Jagd auf Genderresistente zu einer Spätform des McCarthyismus ausgewachsen. Und der Kreuzzug gegen angebliche Frauendiskriminierung ist zu einer realen Herabsetzung jener geworden, die ihr Deutsch nicht verunstalten wollen.

Dabei erscheint es geradezu paradox, daß Deutschlands Gender-Ideologen im Umgang mit dem Kulturgut Sprache jede Sensibilität vermissen lassen, ihr eigenes, brachiales Sprachverständnis aber mit wahrer Hypersensibilität zu verteidigen pflegen.

So ist für SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert Fremdsprachenerwerb ein bedenklicher Akt kultureller Aneignung (Cultural Appropriation), da sich „Pol*innen ja verletzt fühlen könnten, wenn wir mit ihnen in ihrer Sprache reden“. Und Berlins grüner Ex-Justizsenator Dirk Behrendt weiß die Absurdität noch zu steigern, indem er ernsthaft einen Sprachausweis für Muttersprachler fordert: „Wenn sich eine Person in einer Diskussion in ihrer Sprache mit Sprecher*innen, die keine Mutter*sprachler*innen sind, nicht wohlfühlt, können sie auf dem Vorzeigen des Mutter*sprachler*innenzer­tifikats bestehen. Das soll ihnen garantieren, daß sie sich in einem geschützten Raum befinden.“

Loriot hätte aus solchen Gesprächen sicher einen unterhaltsamen Sketch gemacht. „Geschützter Raum“? An eine Gummizelle für Verfechter („Verfechtende“?) des „Mutter*sprachler*innenzertifikats“ ist dabei wohl leider weniger gedacht.

Doch die Sprachpolitessen der feministischen Linguistik stehen jetzt selbst unter Repressionsverdacht. Denn eine heute übliche Stellenannonce für „Bewerbende“ mit dem unvermeidlichen Zusatz „(m/w/d)“ gilt inzwischen als rückständig, weil die bloße Erwähnung binärer Geschlechteridentitäten (m/w) als Bedrohung empfunden wird. So sah sich die Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling einem „shitstorm“ ausgesetzt, weil sie statt „Menschen, die menstruieren“ doch lieber „Frau“ sagen wollte.

Wenn das Frankfurter Frauendezernat verkündet, es wolle im Schriftverkehr künftig das „3. Geschlecht“ mehr „einbeziehen“, wird ausgeblendet, daß die Zahl der in Deutschland beanspruchten Geschlechtsidentitäten nicht bei drei, sondern mindestens bei 60 liegt, Tendenz steigend. Der Wanderzirkus der „Gerechten“ wird also weiterziehen und sich an dieser absoluten Minderheit der Zwitter, Drags und Transen abarbeiten. Unter dem Deckmantel eines „respektvollen Umgangs mit allen Menschen“ wird man die Sprache weiterhin respektlos zur Verfügungsmasse degradieren. Wirre Wortschöpfungen wie „sier“ (Zusammensetzung aus „sie“ und „er“) sind im Gespräch, können die neue, inflationäre Identitätenflut aber natürlich nicht annähernd bändigen.

Abzusehen ist, daß die Zersplitterung von Identitäten eine Stimmung weiter anheizen wird, die nach Francis Fukuyama den militanten Trumpismus wie den europäischen Populismus erst ermöglicht hat.






Walter Oldenbürger, Jahrgang 1956, Gymnasiallehrer a. D. (Deutsch, Philosophie, kath. Religion, Ethik) mit Wirtschaftsabschluß. Erfahrungen im Werbe-, Presse- und PR-Bereich. Er engagiert(e) sich gegen die neue Rechtschreibung (1996) und Genderdeutsch.